Wie Bettler um den Glauben

Die Begegnung von Papst Franziskus mit den kirchlichen Bewegungen
Julián Carrón

Am 18. Mai ruft der Papst alle kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften zu einer Gebetsvigil zusammen, um vom Geist Christi das Geschenk Seiner Gegenwart zu erflehen, die unser unermessliches Bedürfnis stillt. Wir sind eine Bewegung und möchten Teil dieser Kirche sein, die Papst Franziskus zusammengerufen hat.

Was bedeutet dieser Ruf für jeden von uns? Er ist eine schöne und kostbare Gelegenheit, um erneut zu bekunden, dass der Papst für uns wichtig ist, weil er den geschichtlichen Punkt darstellt, den Christus uns
gegeben hat und den das Böse und die Verwirrung nicht überwinden werden. Daher fahren wir zu ihm als Bettler, um im Glauben gestützt und gestärkt zu werden.

Damit die Wallfahrt kein formaler oder rein „frommer“ Gestus wird, müssen wir ihren existentiellen Inhalt verstehen. Wir sehen alle die allgemeine Verwirrung, die um uns herum herrscht, und fragen uns: Warum
gewinnt diese Verwirrung in uns nicht die Oberhand? Nicht, weil wir besser oder schlauer oder gar kohärenter wären als die anderen. Nicht deswegen, sondern weil wir ständig ein Faktum vor Augen haben, das uns immer wieder aus der allgemeinem Desorientierung befreit.

Wir gehen zum Papst im Jahr des Glaubens. Und gerade dieser Umstand weist uns darauf hin, was das Unterscheidende des katholischen Glaubens ist: die Existenz eines objektiven, geschichtlichen, nicht von uns erdachten Punktes, einer Wirklichkeit, die uns vor der Vielfalt der Deutungen und damit vor der Verwirrung bewahrt. Wie Don Giussani immer sagte: Ohne diesen geschichtlichen Punkt gibt es keine katholische Erfahrung. „Das Christentum ist die Verkündigung eines Faktums, eines für den Menschen heilsamen Faktums, einer Frohen Botschaft: Christus ist geboren, gestorben und auferstanden. Es handelt sich nicht um einen abstrakten Begriff, einen beliebig auslegbaren Gedanken. Das Wort Gottes – das Verbum – ist ein Faktum, das im Schoß einer Frau geschehen ist, es ist Kind geworden, ein Mensch, der auf den öffentlichen Plätzen sprach, der aß und trank mit den anderen Leuten, der zum Tod verurteilt und
ermordet wurde. (…( Das Antlitz jenes Menschen ist heute die Gesamtheit der Gläubigen, die Zeichen für Ihn in der Welt sind, oder – wie der heilige Paulus schreibt – Sein Leib, Sein geheimnisvoller Leib, auch „Volk Gottes“ genannt, das von einer lebendigen Person geleitet und bewahrt wird, dem Bischof von Rom“ (Luigi Giussani, Il senso di Dio e l’uomo moderno).

Nach Rom zu fahren ist für jeden von uns die Gelegenheit, die Tragweite dieses unbezwingbaren Faktums und unsere Verbindung zu Papst Franziskus neu zu entdecken. Wir können diesen Gestus formal leben, dann
gewinnen die Dürre und die Wüste in uns die Oberhand. Oder aber wir können ihn ganz in der Wirklichkeit leben, ausgehend von dieser unbezwingbaren Gegenwart. Dann gewinnen das Interesse, die Neugier, die
Überraschung in uns die Oberhand. Nur dies macht den Unterschied.

Vom Beginn seines Pontifikats an hat uns Papst Franziskus dazu eingeladen, den tiefen Grund zu entdecken, warum wir durch die Taufe auserwählt wurden und weswegen wir einem Charisma begegnet sind. Papst
Franziskus forderte uns auf, „die Türen unseres Herzens, unseres Lebens, unserer Pfarreien, der Bewegungen, der Verbände zu öffnen und ‚herauszugehen‘, den anderen entgegen, zu ihnen zu gehen, um
das Licht und die Freude unseres Glaubens zu bringen im Wissen, dass wir unsere Hände, unsere Füße, unser Herz zur Verfügung stellen, dann aber Gott es ist, der sie führt und der all unser Handeln fruchtbar macht.“ (Generalaudienz, 27. März 2013)

Das Bedürfnis des menschlichen Herzens ist dermaßen grenzenlos, dass nur eine ebenso grenzenlose Antwort ihm entsprechen kann. „Die christliche Wahrheit ist anziehend und gewinnend, denn sie antwortet
auf die tiefen Bedürfnisse des menschlichen Daseins, wenn sie auf überzeugende Weise verkündet, dass Christus der einzige Retter des ganzen Menschen und aller Menschen ist. Diese Botschaft bleibt heute
gültig, wie sie es vom Anbeginn des Christentums war (Audienz für die Kardinäle, 15. März 2013).

Der Papst fordert uns ständig auf, den Glauben als Zeugnis zu leben: „Man kann das Evangelium Jesu nicht ohne das konkrete Lebenszeugnis verkünden.“ Aber er weist uns auch darauf hin, dass dies nur möglich ist,
„wenn wir Jesus Christus erkennen, denn er ist es, der uns gerufen hat, der uns eingeladen hat, seinen Weg zu gehen, der uns erwählt hat. Zu verkünden und zu bezeugen ist nur möglich, wenn wir ihm nahe sind,
genauso wie Petrus, Johannes und die anderen Jünger“ (Predigt in der Basilika St. Paul vor den Mauern, 14. April 2013).

Ich staune, wie Papst Franziskus keinen Tag verstreichen lässt, ohne uns dazu aufzufordern, zu leben wie Jesus. „Christ sein heißt nicht bloß, die Gebote befolgen, sondern in Christus sein, wie er denken, wie er
handeln, wie er lieben; es bedeutet zuzulassen, dass er von unserem Leben Besitz ergreift und es verwandelt und frei macht vom Dunkel des Bösen und der Sünde“ (Generalaudienz, 10. April 2013).

Wir fahren nach Rom, um um den Heiligen Geist Christi zu flehen, auf dass wir in aller Einfachheit des Herzens sagen können: „Alles warst Du und bist Du für mich“ (Ada Negri). Nicht nur „warst Du“, wie eine Reliquie aus der Vergangenheit, sondern „bist Du“, hier und jetzt, eine Gegenwart, die uns mitreißt in einen Wirbel des Lebens.