„Vertrauen wir diesem Papst. Die Familie besteht aus Mann und Frau. Die Synode wird nicht spalten“

Interview mit Julián Carrón
Antonio Manzo

„Vertraut dem Papst, vertrauen wir dem Papst. Die Bischofssynode ist nicht ein Tribunal, das eingesetzt wurde um die Peripherien der gegenwärtigen Menschheit zu verurteilen. Sie ist vielmehr eine Chance, der Welt wieder die Wahrheit des christlichen Glaubens durch die Freiheit des einzelnen hindurch vorzuschlagen. Ich erwarte mir von der Synode nicht einen Guerillakampf zwischen Lehre und Pastoral, sondern die Suche nach neuen Wegen, um das, was die Kirche immer schon verkündet hat, wieder vorzuschlagen angesichts der neuen Herausforderungen der Gesellschaft, angefangen bei denen, die leiden und die man annehmen muss. Die Kirche sollte sie begleiten, ohne sie zu diskriminieren. Wir brauchen keine Mauern, sondern Brücken. Die Kirche muss dem Menschen zu Hilfe eilen, wo immer er in einem Problem oder einem Leid gefangen ist, indem sie das christliche Ereignis verkündet, das ihn befreien kann.“

Don Julián Carrón leitet seit 10 Jahren die Bewegung Comunione e Liberazione, er ist der Nachfolger von Don Luigi Giussani. Der spanische Priester, 65 Jahre alt, wird bis 2020 an der Spitze dieses „Gottesvolkes“ stehen, das in Italien entstanden ist, sich inzwischen aber in 90 Ländern der Welt verbreitet hat. Er ist der Sohn von Bauern und weiß von seiner Herkunft her genau, dass es eine Zeit der Ernte gibt und eine der Aussaat. Bei CL hat er eine Wende eingeleitet: Die Bewegung sollte kein Arm der Politik mehr sein, sondern zur christlichen Erfahrung zurückkehren. Es ist schon spät in der Nacht, als er in einem Hotel in Neapel noch die Kraft findet, sich mit Jugendlichen von CL zu treffen.

Don Carrón, wir wissen, dass die Kirche letztes Jahr auf der Synode gespalten war, teilweise auch bei grundlegenden Fragen über das Leben und die Familie. Glauben Sie, dass die Uneinigkeit, selbst unter führenden Kardinälen, überwunden werden kann?

„Nichts wird so sein wie früher nach dem, was Papst Franziskus in Amerika Grundlegendes über die Familie als Geschenk gesagt hat. Der Papst aus Amerika hat der Welt, bezeichnenderweise von Amerika aus, gesagt, die Familie sei kein Grund zur Sorge, sondern ein Geschenk für die Gesellschaft. Wie können die Familien heute mit ihrem Zeugnis und ihrem Leben bei Jugendlichen den Wunsch wecken zu heiraten?“

Der Papst hat in die Debatte in aller Welt wieder den Begriff der Familie eingeführt …

„Und zwar auf eine positive Art, nicht dialektisch. Er sieht die Familie nicht als etwas, über das man klagen müsste, oder als ein Problem, das es zu lösen gilt, sondern betont die Schönheit der Familie als eines Guts für alle.“

Spricht die Kirche weiterhin von der Familie in der Ordnung der Schöpfung, also als Einheit zwischen Mann und Frau?

„Ohne Zweifel, sie könnte gar nicht anders. Jede Diskussion über die Familie und ihre Sendung in Kirche und Welt muss von diesem ursprünglichen Faktum ausgehen. Aber wir Christen sollten die Ehe mehr bezeugen als Erfahrung der Liebe zwischen zwei Menschen, die sich freiwillig aneinander binden, um auf ihre Bestimmung zuzugehen. Und nicht als eine Bindung, die eingrenzt, erdrückt und am Ende enttäuscht. Häufig höre ich Jugendliche, die verängstigt sagen: „Vielleicht ist es besser, nicht zu heiraten.“ Sie haben Angst. Genau deshalb sind wir dazu aufgerufen, Christus als die Antwort zu verkünden, die die Angst besiegt. Das Christentum ist die Einladung, an einer Erfahrung teilzunehmen, bei der man feststellen kann, dass das, was menschlichen Augen als unmöglich erscheint, für Gott sehr wohl möglich ist.“

Was bedeutet das konkret?

„Die Kirche muss mehr Räume für die Familie schaffen, statt immer neue Regeln aufzustellen. Es nützt nichts, wenn man über die längst feststehende Lehre der Kirche streitet. Wir müssen die Familien aufnehmen, den Leuten zuhören, die Probleme haben, eine Arbeit zu finden und die Zukunft ihrer Kinder zu sichern. Wer schenkt heutzutage diesen existenziell Vereinsamten noch Gehör? Da wird das Christentum zu Begegnung und Zuhören.“

Sie erinnern sich sicher, dass in dem Bericht von Kardinal Kasper, der vor einem Jahr die Synode eröffnete, von einer Krise des Begriffs Familie die Rede war, derentwegen auch die Pastoral angepasst werden müsse?

„Die Familie zeigt, ob der Glaube der Menschen, die da heiraten, trägt. Die Frage, auf die man antworten muss, ist, ob die Kirche den Paaren, und besonders denen, die Schwierigkeiten haben, einen Weg der Reifung im Glauben anbieten kann. Anders gesagt, ob diejenigen, die gerade eine schwierige Zeit durchmachen, offene Türen in der Kirche finden – oder nur ein Urteil, das sie häufig aus dem Leben der christlichen Gemeinschaft ausschließt?“

Was denken Sie?

„Die Kirche muss sich immer mehr öffnen und die menschlichen Schwächen umarmen, auch im Bezug auf die Krise der Familie. Wenn man die Grenzen des anderen mit dem Maß des Glaubens umarmt, dann entdeckt man ihn erst und erkennt, was die Liebe zu ihm bedeutet.“

Selbst hochrangige Kardinäle warnen: Bei der Synode besteht die Gefahr eines Schismas innerhalb der Kirche.

„Es täte mir leid, wenn dadurch die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Problem abgelenkt würde. Denn die Kirche sollte sich fragen, wie sie das Leben jedes einzelnen und jeder Familie bei allen Schwierigkeiten begleiten kann.“

Gibt es eine Kluft zwischen Lehre und Pastoral bei dieser Debatte?

„Im Christentum kann es keine Kluft zwischen Lehre und Pastoral geben. Denn das Christentum ist das Eintreten Gottes in die Geschichte, ein Ereignis also, durch das die Begriffe, die Lehre Fleisch und Blut werden, wie Papst Benedikt XVI. gesagt hat. Sie werden Fleisch in der menschlichen Erfahrung. Wie als Jesus in das Haus des Zachäus kam. Seine göttliche Gegenwart stellte eine Umarmung dar, die diesen befreite und bei ihm den Wunsch weckte, sich zu ändern. Jesus drängt diesen Menschen nicht, sich zu ändern, sondern lässt ein neues Lebens in ihm beginnen. Eine Doktrin reicht nicht, denn das Wort ist Fleisch geworden, das heißt ein Leben, das den Inhalt des Glauben in sich trägt.“

Also sind das einfach nur Debatten unter Theologen?

„Das ist eine falsche Dialektik. Im Christentum wird das Wort Gottes Fleisch, das heißt Wirklichkeit. Jesus aß und trank und weinte um seinen Freund Lazarus.“

Kardinal Kasper meint: Lassen wir die Lehre, wie sie ist, und passen wir die Pastoral an.

„Der Versuch, die Vermittlung des Glaubens stärker der Zeit anzupassen, war das meistbehandelte Thema des Zweiten Vatikanischen Konzils. Aber das ist keine Frage der Pastoralstrategie. Man muss verstehen was das Wesen des Christentums ist, um es den Menschen unserer Zeit verständlich vermitteln zu können. Das Christentum ist ein Ereignis, keineswegs eine Doktrin. Ein paar italienische Studenten haben sich neulich mit einigen chinesischen Kommilitonen getroffen. Danach haben diese festgestellt, wenn man das Christentum ernst nehme, sei es ein Vorschlag, aus dem Leben entspringe, und nicht eine Reihe von Riten.“

Der Dialog mit Homosexuellen – welchen Weg soll man da einschlagen?

„Christus ist nicht für einige wenige gekommen, sondern für alle. Er hat sein Leben für alle hingegeben, damit alle einen menschlichen Weg gehen können. Man muss mit jedem in Dialog treten, denn jeder braucht Begleitung. Bei den Fragen nach dem Sinn des Lebens, was gut für einen ist, was richtig ist im Bezug auf Homosexualität und Heterosexualität. Das Problem ist, wie die Kirche jeden auf dem Weg seines Lebens begleiten kann, auch wenn dieser manchmal eine Richtung nimmt, die in eine Sackgasse führt.“

Wird die Synode schwule und lesbische Paare anerkennen?

„In dieser Hinsicht ist die traditionelle Lehre sehr klar. Aber das heißt nicht, dass wir die Leute diskriminieren. Die Kirche muss Homosexuelle in ihrem Menschsein umarmen, wie sie es mit jedem anderen auch tut.“

Ist die Keuschheit für katholische Priester immer noch ein Wert, auch im Lichte der aktuellen Entwicklungen?

„Aber sicher. Heute mehr denn je.“

Wird eine Tür zur Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten geöffnet werden?

„Der Papst hat entschieden, die kanonischen Verfahren für die Nichtigkeitserklärung einer Ehe zu vereinfachen. Das Thema der Kommunion für Wiederverheiratete ist eine delikate Angelegenheit, und die Väter werden ihre ganze Glaubensweisheit anwenden müssen, um es anzugehen.“

Besteht nicht die Gefahr, dass die volksnahe Theologie des Papstes in theologischen Populismus umschlägt?

„Der Papst ist kein Populist, auch wenn mancher ihn dafür hält. Er hat ein großes Gespür für das Volk, aber er nutzt das nicht zu einem ideologischen Zweck und instrumentalisiert es nicht. Denn es geht ihm um das Wohl jedes einzelnen.“

Was glauben Sie, wünscht Papst Franziskus sich heute von Comunione e Liberazione?

„Was er uns am 7. März diesen Jahres gesagt hat: dass wir dem Charisma von Don Giussani treu bleiben, der uns den Glauben als etwas vermittelt hat, das den Bedürfnissen des Lebens entspricht. Und er hat uns darum gebeten, das Charisma noch tiefer zu leben, damit wir wirklich eine Kirche werden, „die herausgeht“. Das können wir nur tun, wenn wir in Christus verwurzelt sind, und nicht auf der Schwelle stehen bleiben und zum Opfer unserer Selbstbezüglichkeit werden.“

Gab es Ihrer Meinung nach in der Geschichte der Bewegung Momente, in denen sie dem Charisma untreu geworden ist?

„Aufgrund der Fehler von Menschen, ja. Im Verlaufe unserer Geschichte hat uns Don Giussani immer wieder korrigiert, wie Jesus auch die Apostel immer wieder korrigiert hat.“

Was hat der Papst Comunione e Liberazione vorgeworfen?

„Er hat mit großer Väterlichkeit zu uns gesprochen, mit den gleichen Worten, die er zum Beispiel den amerikanischen Bischöfen gesagt hat. Er hat zu missionarischer Umkehr aufgerufen, zur Dezentralisierung, um Christus verkünden zu können, denn sonst wird die Kirche krank.“

Gibt es bei CL eine Rückkehr zur Spiritualität? Oder wird es wieder mehr Werke geben?

„Spiritualität und Werke schließen sich nicht aus. Wir wollen ein CL, das mit allem zu tun hat, sogar mit dem Essen und dem Schlafen, wie der heilige Paulus sagt. Die Werke versuchen, auf die Bedürfnisse der Menschen zu antworten, dafür braucht man sich nicht zu schämen. Natürlich muss man darauf achten, Fehler zu vermeiden, die bei jeder menschlichen Handlung möglich sind.“

Was gibt es für Degenrationen bei CL?

„Wenn wir Einfluss und Erfolg mehr Aufmerksamkeit schenken als dem Menschen. Andererseits ist jedes Handeln ein Risiko. Es wäre noch schlimmer, wenn man nichts täte, um kein Risiko einzugehen. Und Gott war der erste, der ein Risiko eingegangen ist, indem er uns als freie Menschen schuf.“

Und im Bezug auf die Politik?

„Ziel der Bewegung ist es, reife Persönlichkeiten hervorzubringen, die fähig sind, sich im öffentlichen Leben zu engagieren. Die Verantwortung liegt bei dem einzelnen, daher ist jeder im jeweiligen Handeln verantwortlich für das, was er tut.“

Hat es da Missverständnisse gegeben?

„Immer wenn ich bemerkt habe, dass wir vom Weg abkamen sind, habe ich darauf hingewiesen. Wir haben kein Problem damit zuzugeben, dass wir Fehler gemacht haben. Wenn wir die Wahrheit mehr lieben als uns selbst zu behaupten, koste es, was es wolle, dann können wir immer wieder neu anfangen.“

Ist die italienische Kirche immer noch verwirrt nach der Wahl Bergoglios?

„Verwirrung, wenn wir es so nennen wollen, hat es überall gegeben, nicht nur in Italien. Aber eine providenzielle Verwirrung. Der Papst hat eine schöne Neuheit gebracht, die alle aufgerüttelt hat. Das ist ein gesunder Weckruf, sich einzubringen und der Menschheit, die außerhalb unserer Kirchen auf uns wartet, entgegenzugehen. Genau dort, wo auch wir Christen leben und arbeiten, spielen und leiden, wie alle.“

Wie viele Kardinäle haben es schon bereut, Bergoglio gewählt zu haben?

„Vielleicht ist der ein oder andere überrascht worden, weil er nicht geahnt hatte, was dieser Papst Neues bringen würde, den sie „fast vom Ende der Welt geholt“ hatten, wie er selber am Abend seiner Wahl gesagt hat. Aber das passiert immer, wenn jemand auftritt und eine radikale Änderung von uns verlangt, wie der Papst es jetzt tut, um uns wieder auf Christus zu zentrieren, auf dass wir keine Angst haben, den Menschen von heute zu sagen, wer Christus ist.“