Die Kirche Saint Paul in Abu Dhabi, die 2015 eingeweiht wurde. (Photo credit should read STR/AFP/Getty Images)

Bischof Hinder - Abhu Dhabi

DER WANDERBISCHOF - Eine Million Christen leben in seinem Territorium – alle Arbeitsmigranten. Das ist die „unsichtbare Herde“ von Bischof PAUL HINDER. „Aber sie sind auch meine Lehrer im Glauben“, sagt er.
Luca Fiore

Nicht zuletzt die vier Schwestern, die im Jemen das Martyrium erlitten haben.  „Ich bin Wanderbischof einer wandernden Kirche“, sagt Paul Hinder. Der Kapuziner stammt aus Lanterswil, einem Dorf im schweizerischen Kanton Thurgau. Am 22. April wird er 75 Jahre alt. Das ist ein wichtiger Einschnitt, denn dann muss er dem Papst seinen Rücktritt anbieten. Seit dreizehn Jahren lebt er in Abu Dhabi, Sitz des Apostolischen Vikariats Südliches Arabien. Es umfasst die Vereinigten Arabischen Emirate, den Oman und Jemen. Alle Länder sind islamisch geprägt (es gilt die Scharia), aber den Christen wird an bestimmten Orten Kultfreiheit gewährt. Die Stadt Dubai ist das Symbol für den Aufschwung dieser Länder: Ehemals ein Fischerdorf, ist sie in 40 Jahren zu einem der großen Wirtschaftszentren der Welt geworden. Das Kapital stammt aus dem Öl, doch die Hände, die all die glitzernden Wolkenkratzer errichten, kommen von jenseits des Ozeans.

Hauptsächlich aus Indien, von den Philippinen, aus Pakistan und Südkorea kommen hunderttausende von Migranten in die Emirate, die wenig Rechte besitzen und meist nur Hungerlöhne erhalten. Unter ihnen sind sehr viele Christen. Ungefähr eine Million zählt die „Herde“, die Bischof Hinder Tag für Tag betreut. Und wenn in den Arabischen Emiraten und im Oman das Leben für Christen schwierig ist, dann ist die Situation im Jemen dramatisch. Dort herrscht ein Krieg, den viele vergessen zu haben scheinen. Nur noch wenige Dutzend Christen sind dort geblieben. Darunter waren bis vor einem Jahr auch fünf „Schwestern von der Mutter Teresa“ und ein Salesianerpater in Aden. Sie kümmerten sich um eine Gruppe von Behinderten.

Am Morgen des 4. März 2016 drangen Unbekannte in die Räumlichkeiten ein, töteten vier Schwestern und entführten Pater Thomas Uzhunnalil. Das, sagt Bischof Hinder, „war der schwierigste Moment für mich.“

 Bischof Hinder weiht einen jungen Mann zum Priester.

 Was haben die Jahre in Abu Dhabi Sie gelehrt?

Ich musste erst einmal lernen, was es bedeutet, Bischof zu sein, noch dazu für so spezielle Länder. Meine Gläubigen sind meine Herde, aber sie sind auch Lehrer, die mir geholfen haben, im Glauben zu wachsen. In einem so andersartigen Land zu leben mit Menschen, die kulturell so weit von uns entfernt sind, hat mich sehr bereichert.

 Inwiefern?

Hier kommen alle von weit her, einschließlich des Bischofs. Wir sind eine Kirche auf Wanderschaft. Es gibt keine Sicherheit hinsichtlich des Aufenthaltsrechts, keiner weiß, wie lange er in diesen Ländern bleiben kann. Das erinnert mich immer wieder an den Exodus, die Geschichte des Volkes Israel auf der Wanderschaft. Oder an Abraham, zu dem Gott gesagt hat: „Zieh weg aus deinem Land [...] in das Land, das ich dir zeigen werde.“ In diesem Sinne sind wir eine pilgernde Kirche.

Was ist das Besondere einer solchen Kirche?

Wir haben wenige Pfarreien im Verhältnis zu der Anzahl der Gläubigen. In Abu Dhabi, in der Pfarrei Saint Joseph, halten wir 18 Sonntagsgottesdienste. Die gemeinsame Sprache ist Englisch. Aber wir zelebrieren auch in anderen Sprachen, da es ungefähr 90 Nationalitäten gibt. Jede Kirche ist von einem Compound [einer abgezäunten Siedlung] umgeben. Dort kommt man häufig nicht nur zum Gebet hin, sondern dort finden sich die Leute auch so zusammen und fühlen sich zuhause. Es ist ein Ort, wo der Glaube praktiziert wird, aber wo man auch soziale Beziehungen mit Menschen aus dem eigenen Land oder Angehörigen anderer Kulturen pflegt. Allerdings ist es für viele nicht leicht, am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen.

Warum?

Wer in einer Residence in der Nähe seines Arbeitsplatzes lebt, der muss am Freitag teilweise 100, 150, manchmal bis zu 300 Kilometer fahren, um zur Messe zu kommen. Und nur wenige können sich hier ein Auto leisten.

Was sind weitere Herausforderungen?

Die Hauptschwierigkeit ist, seinen Glauben aufrechtzuerhalten in einer Umgebung, die vielleicht nicht direkt feindlich, aber sicher auch nicht günstig dafür ist. Als Minderheit in einer Gesellschaft zu leben, die so stark vom Islam geprägt ist, ist nicht einfach. Manchmal hat man Angst zuzugeben, dass man Christ ist, aus Sorge vor beruflichen Konsequenzen. Aber im Allgemeinen bewundere ich, wie treu unsere Leute in dieser Hinsicht sind, trotz allem. Und natürlich hängt es auch von den Umständen ab. Es gibt hier Leute, die ziemlich wohlhabend sind, und solche, die ums Überleben kämpfen müssen. Alle haben ein mehr oder weniger regelmäßiges, wenn auch meist bescheidenes Einkommen. Doch ein Großteil des Geldes geht an die Familien in der Heimat. Ein weiteres großes Problem ist für viele die Einsamkeit. Verlobte oder Ehepartner sind oft tausende von Kilometern weit weg. Da ist es für niemanden leicht, treu zu bleiben.

Was hilft der Glaube unter diesen Umständen?

Entweder man geht ihm auf den Grund oder man verliert ihn. Kürzlich waren zwei Priester aus Indien hier zu Besuch. Sie erzählten, dass die gleichen Leute sich hier am Leben der Gemeinschaft beteiligen und daheim kaum. So ist das Leben eines Migranten. Es zwingt einen, den Dingen stärker auf den Grund zu gehen. Ich sage nicht, dass die Bedingungen ideal sind. Aber es kommen auch werktags viele Menschen zu uns, um zu beten. Viele gehören zu charismatischen Gruppen und der Sakramenten-Empfang ist ihnen sehr wichtig. Wenn ich sie sehe, fühle ich mich ganz klein angesichts dieser Intensität des Glaubens, der in seinen Ausdrucksformen etwas ganz Anderes ist als die Schweizer Nüchternheit, in der ich aufgewachsen bin. Anfangs fiel es mir nicht leicht, mich daran zu gewöhnen. Auch heute muss ich noch manchmal bremsen, weil die Gefahr besteht, dass übertrieben wird.

Wie haben sich die Beziehungen mit der muslimischen Welt in den letzten Jahren verändert?

Mein Eindruck ist, dass sich die Situation, zumindest was die Arabischen Emirate und Oman betrifft, verbessert hat seit der Zeit, als ich herkam. Vielleicht sind meine Erwartungen auch kleiner geworden. Aber im Laufe der Zeit habe ich gelernt, geduldig zu sein, und ich lerne es weiterhin. Die Beziehungen mit den Obrigkeiten sind heute anders. Und auch ich fühle mich freier und akzeptierter. Für einen Schweizer ist es nie einfach, sich in einer Monarchie zu bewegen.

 Wo mussten Sie geduldig sein?

Es gab tausende Schwierigkeiten, aber wir haben etwas erreicht: In den letzten zehn Jahren konnten wir sieben Kirchen bauen oder wieder eröffnen. Hier in den Emiraten haben wir zwei Schulen eingeweiht. Und der Emir von Ra’s al-Chaima hat uns ein großes Grundstück geschenkt, auf dem wir eine weitere Schule bauen werden. Dies sind Dinge, die ich zu Beginn meiner Amtszeit nicht für möglich gehalten hätte.

 Schulen für wen? Für die Kinder der Emigranten?

Offiziell stehen sie jedem offen. Überwiegend werden sie aber von den Kindern der Christen besucht. Aber nicht nur: Es kommen auch Muslime, Buddhisten und Hindus zu uns. Die Schulen in Dubai und Fudschaira besuchen auch Bürger der Emirate.

Welchen Eindruck gewinnt man von Abu Dhabi aus von den Problemen Europas mit der muslimischen Welt?

Mich wundert die Atmosphäre der Angst, die sich da entwickelt. Dieses Klima, das die Parteien der Rechten oder extremen Rechten schüren, scheint mir nicht gerechtfertigt. Bei der Integration sind Fortschritte gemacht worden, nicht zuletzt in Italien. Es gibt Probleme und es sind Fehler gemacht worden, das ist klar. Aber mittlerweile ist eine Atmosphäre des Misstrauens entstanden, die in jedem Muslim einen Terroristen sieht. Ich sehe allerdings auch Fortschritte, besonders in Italien. Man müsste noch mehr Mut haben, mit diesen Leuten in Kontakt zu treten und ihre Welt besser kennenzulernen.

 Wie haben Sie die Tragödie von Aden erlebt?

Das war ein sehr harter Schlag. Ich war gerade in der Schweiz und musste mich darum kümmern, die Schwester, die überlebt hatte, in Sicherheit zu bringen. Bis heute wissen wir nicht genau, wer für den Überfall verantwortlich war. Wir wissen, dass es eine radikalisierte Gruppe gibt aus dem Umkreis des Imams einer Moschee, in deren Nähe die Schwestern lebten. Mir war bewusst, dass es ein Risiko war, dass sie dort blieben. Aber ein derartiges Verbrechen hätte ich mir niemals vorstellen können.

Sind diese Schwestern Märtyrer?

Ja. Das ist das Zeugnis der Märtyrer für den Glauben. Ein Glaube, der – so hoffe ich – in Zukunft Früchte tragen wird. Aber vergessen wir nicht die weiteren zwölf Menschen, die bei dem Attentat ums Leben gekommen sind. Von denen war nur einer Christ, die anderen waren Muslime. Ihre Schuld war, dass sie an einem Werk der Nächstenliebe mitgewirkt haben. Ich fühle mich da mitverantwortlich für ein Drama, das hätte verhindert werden können. Andererseits bin ich weiterhin überzeugt, dass ihre Präsenz dort, ihr Zeugnis wichtig war in einem Land, das zerstört wird von einem Bürgerkrieg, der durch Interventionen von außen verursacht ist.

 Haben Sie die einzig Überlebende, Schwester Sally, getroffen?


Sie hat mir gesagt, sie sei bereit, nach Aden zurückzukehren und warte nur auf den Tag, an dem sie das könne. Sie ist vor allem die einzige Zeugin für das, was passiert ist. Vor einigen Wochen habe ich in Amman (Jordanien) eine Gedenkmesse für diese vier Schwestern gelesen im Beisein der Missionarinnen der Nächstenliebe. Etwa ein Dutzend von ihnen kannte die Getöteten, da sie zuvor im Jemen gewesen waren. Einige arbeiten jetzt woanders, andere warten darauf, nach Aden zurückkehren zu können.

Und was ist mit Pater Thomas?

Ich bitte den Herrn, dass er uns die Gnade gewährt, ihn heil und gesund nach Hause zu bringen. Jeden Tag bete ich für ihn und lade andere dazu ein, für ihn zu beten. Aber mehr möchte ich dazu nicht sagen, um nicht falsche Zeichen an diejenigen zu senden, die ihn gefangen halten.