Über der Grotte, in der Jesus geboren wurde, erhebt sich die Basilika aus dem 6. Jahrhundert.

DIE BAUSTELLE VON BETHLEHEM

Viele von euch werden sie auf dem Meeting in Rimini kennengelernt haben: die italienische Firma, die die Geburtsbasilika restauriert. Hier schildern wir ihre Geschichte. Und
Alessandra Stoppa

Von Beruf sind sie Restaurateure. Gemälden, Palästen, Museen, Mosaiken und großen Monumenten geben sie mit unsichtbaren Eingriffen ihren ursprünglichen Glanz zurück. Ihre Arbeit fördert aber auch andere verdeckte Dinge zutage: den Geschmack an der guten Arbeit, die Schönheit des Menschseins, des Zusammenlebens und Aufbauens. Insbesondere dann, wenn sie an einem Ort tätig werden, wo die Spaltungen evident sind. Das Unternehmen von Giammarco Piacenti, dessen Wurzeln auf die Werkstatt seines Urgroßvaters Vincenzo im Apennin zurückgehen, ist nun bis nach Palästina gekommen, um die Mutter aller Kirchen zu restaurieren: die Geburtsbasilika, wo man durch eine kleine Tür den Ort betritt, an dem im Jahr Null die Zeit begonnen hat.

Über der Grotte, in der Jesus geboren wurde, ließ Kaiser Hadrian im Jahr 132 einen Tempel errichten, um die Erinnerung an dieses Ereignis auszulöschen. Hierdurch markierte er jedoch den Ort und ermöglichte es den Kaisern Konstantin (333) und Justinian (531), dort eine Basilika zu errichten. Die Basilika aus dem 6. Jahrhundert steht heute noch, da die Perser sie aus Respekt vor den Weisen aus dem Morgenland verschonten. Ebenso tat es der Kalif al-Hakim, da sich damals in der Apsis eine Moschee befand.

Diese Kirche hat jahrhundertelang Belagerungen, Erdbeben und Kriege überdauert. Und die große Geschichte, die in dieser Grotte ihren Ursprung hat, durchdringt die Arbeit von heute. Gebeugt über Mosaiken, Tragbalken und Kapitelle leisten die Restauratoren der Firma Piacenti Millimeter für Millimeter eine Arbeit von epochaler Bedeutung, allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie stattfindet. Das Projekt umfasst die gesamte Basilika, vom Dach bis zur Innenausstattung, und ist einzigartig. 170 Personen und 64 Unternehmen, Freiberufler und Universitäten aus verschiedenen Kulturkreisen sind involviert.  Was verloren schien, hat das Projekt wieder zu neuem Leben erweckt. Und es hat das Misstrauen und die Hindernisse des sogenannten status quo durchbrochen: die eisernen Regeln aus dem Jahr 1852, mit denen sich die griechisch-orthodoxe, die römisch-katholische und die armenische Kirche die Basilika aufgeteilt haben.

Das Bild des heiligen Petrus vor und nach der Restaurierung.

Giammarco leitet mit seinen Geschwistern Marcello und Daniela die exzellente  italienische Firma, die im Jahr 2013 den Auftrag erhalten hat, den die palästinensische Autonomiebehörde auf Bitte der drei religiösen Gemeinschaften ausgeschrieben hatte. Bis dahin waren sie nie zu einer Übereinkunft gekommen. „Doch als das Dach einzustürzen drohte, haben wir uns entschieden“, erzählt der Ökonom der Kustodie des Heiligen Landes, Pater Ibrahim Faltas. Die Arbeiten der Firma Piacenti haben dann tatsächlich am Dach begonnen, das wie der umgekippte Kiel eines Schiffes ist. Die Basilika ist ein Meisterwerk byzantinischer Schreinerkunst, mit einem System von Dachträgern, Konsolen und Knoten, das dank seiner Holzkonstruktion, die effizienter ist als die heutigen antiseismischen Systeme, fünfzehn Erdbeben überlebt hat.

Wenn der status quo auch ermöglicht hat, dass die Kirche im ursprünglichen und unberührten Zustand erhalten blieb, so hat er andererseits mangelnde Fürsorge vorherrschen lassen. Die Wassereinsickerungen hatten die Kirche bereits völlig durchdrungen, und in den Fenstern waren noch die Schusslöcher von der Belagerung im Jahr 2002, als sich zweihundert Palästinenser hierhin geflüchtet hatten. Erst damals bemerkte die Welt den Verfall der Basilika.

In der Werkstatt aufgewachsen. Von 2013 bis heute hat die Firma Piacenti aufgrund ihrer Nachtarbeit die Basilika keinen einzigen Tag schließen und nie eine Liturgie unterbrechen müssen. Giammarco erzählt von drei Jahren an Entbehrung, Genugtuung und Problemen, von wunderbaren Sonnenuntergängen und von Raketen am Himmel während des zweimonatigen Gaza-Krieges. Doch nicht einmal der hat sie gebremst: „Wir fühlten uns von der Kirche beschützt.“ Es waren drei Monate voll von unvorhergesehenen Ereignissen und von Containern, die Monate brauchten, um von Genua nach Israel zu gelangen und in einem Staat anzukommen, der nicht anerkannt ist, wodurch die Transporte und die Zollabfertigung äußerst schwierig sind. „Es war ein steiler Weg aber es war eine Straße“, sagt er.

Dach und Fenster nach der Restaurierung.

Giammarco und seine Brüder sind mit den Holzspänen aufgewachsen. „Wir waren immer in der Werkstatt“, erzählt Marcello. Der Vater ließ sie von klein auf bei seiner Arbeit dabei sein, denn „für herausragende Fähigkeiten muss man früh beginnen.“ Giammarco hat mit 14 Jahren begonnen, ernsthaft zu arbeiten. Die Werkstatt des Urgroßvaters geht bis auf das Jahr 1875 zurück, dann ging sie auf den Großvater Geremia und dann auf den Vater Gianfranco über. Der war ein Mann von starkem Glauben. Vor seinem Tod hat er noch den Beginn der Restaurierungsarbeiten in Bethlehem erleben dürfen, die unerhoffte Frucht all der Opfer seines ganzen Lebens. Er war es, der ihnen die „Regel“ beibrachte („das, was man gut macht, noch besser machen“) sowie die gemeinsame Arbeit, wodurch eine Werkstatt im Geist des Mittelalters entstand. Giammarco und seine Geschwister haben das gesamte Erbe übernommen und geliebt und es auf die ganze Welt ausgedehnt. Der erste ausländische Auftrag war im Jahr 2006 die Villa Berg in Moskau, und seitdem haben sie großartige Objekte restauriert. „Wir haben sie bewohnt, in ihnen gelebt“, präzisiert Giammarco. Die Wenzhou Pagode in China, die Kathedrale auf der Insel Kizhi, den Palast von Caserta, die Synagoge von Budapest und viele andere.

Über ihre Arbeitsweise reden sie nicht viel. Sie arbeiten und basta. Mit Eingriffen, die nicht zu bemerken sind. Weil sie nach Eichen und Lärchen suchen, wie sie die Venezianer bei der Restaurierung im fünfzehnten Jahrhunderten verwendet haben, und diese dann bis nach Bethlehem transportieren, um Holzteile zu ersetzen. Oder weil sie Mörtel wie zur Zeit Justinians herstellen, indem sie Tonscherben aus Hebron zerkleinern. Zudem sammeln sie Tonnen an archäologischem Material, das den Kunsthistoriker Michele Bacci von der Universität Freiburg sagen lässt: „Man kann für den immensen Erkenntnisgewinn der Restaurierung nur dankbar sein. Er eröffnet neue Perspektiven, löst die Debatten über die Datierungen und enthüllt Dinge, die bislang verborgen waren.“

Die Entdeckung. Die Basilika Justinians muss ein Spektakel an Licht gewesen sein. Es fiel durch die vielen Fenster (damals gab es 32 mehr als heute) und spiegelte sich in dem weißen Marmor und den vergoldeten Mosaiken. Im Hauptschiff waren 2.000 Quadratmeter Mosaiken. Heute sind noch 130 Quadratmeter erhalten, unverändert seit acht Jahrunderten. In dem unteren Fries war die Ahnenreihe Jesu dargestellt. Die Geschichte, die mit Abraham beginnt und das lange Warten auf diese Geburt dokumentiert. Im mittleren Fries sind die ökumenischen Konzilien und einige Provinzialkonzile dargestellt – der Weg, auf dem die Kirche sich bewusst geworden ist, was in dieser Grotte eigentlich passiert ist. Wie Tertullian schreibt: „Die Kirche braucht die Verfolgung, damit sie versteht, was sie liebt, und die Häresie, damit sie versteht, was sie glaubt.“

Der oberste Fries schließlich zeigte ursprünglich eine Prozession von 24 Engeln, die den Pilger begleiteten. Von ihnen sind noch sechs übrig, vom Ruß der Kerzen geschwärzt und mit Einschusslöchern, weil die Soldaten des Osmanischen Reiches auf die Mosaike geschossen haben. Jeder Engel hat einen Flügel angelegt und einen ausgebreitet, Symbol dafür, dass hier der Himmel die Erde berührt hat. „Den Kopf haben sie noch im Gold des Himmels und die Füße berühren schon den Erdboden, weil sie gerade gelandet sind“, erklärt Silvia, die Tochter von Daniela (also die fünfte Generation der Piacenti). Sie war es, die den siebten Engel entdeckt hat.



 „Man hat mir berichtet, dass im Laufe der Restaurierungen in Bethlehem auf einer Mittelschiffwand ein siebter Mosaikengel zum Vorschein gekommen ist [...] Diese Tatsache lässt uns daran denken, dass auch das Antlitz unserer kirchlichen Gemeinschaften von ‚Verkrustungen‘ bedeckt sein kann, die verursacht werden von verschiedenen Problemen und von den Sünden. Und doch muss euer Werk stets geführt werden von der Gewissheit, dass es unter materiellen und moralischen Verkrustungen, auch unter vom Krieg, von Gewalt und Verfolgung hervorgerufenen Tränen und Blutvergießen – unter dieser Schicht, die undurchdringlich zu sein scheint –, ein leuchtendes Antlitz gibt wie das des Mosaikengels. Und ihr alle mit euren Projekten und Aktivitäten tragt zu dieser ‚Restaurierung‘ bei, damit das Antlitz der Kirche erkennbar das Licht des fleischgewordenen Wortes widerspiegelt.“ (Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Union der Hilfswerke für die Orientalischen Kirchen, 16. Juni 2016)

Silvia ist eine schüchterne Frau, aber ihre Augen leuchten, wenn sie von ihrer Entdeckung spricht. Papst Franziskus hat sie als Symbol der Erneuerung bezeichnet, die unser Leben, unsere Beziehungen und unsere Gemeinschaften brauchen. „Wochenlang brachte die Untersuchung des Verputzes mit der Thermokamera keine Ergebnisse. Aber dann haben wir ein Gebiet mit starken Kontrasten entdeckt.“ Zunächst entnahmen die Restauratoren Proben, um das Alter des Putzes zu bestimmen, bevor sie ihn vorsichtig mit Hammer und Meißel entfernten. „Ein Mosaikstein nach dem anderen kam zum Vorschein ... Es war die vollständige Figur eines Engels, der seit 1840 verdeckt war.“ Was auf der Baustelle einem passiert, passiert allen, daher ist dies auch eine Entdeckung aller. Silvia sagt: „Genau das hilft uns, wenn es mühsam wird. Wir teilen alles, die Verantwortung und die Freuden.“

Heute glänzen die Steine der Mosaiken wieder. Sie bestehen aus gefärbtem Glas, teilweise mit Gold- oder Silberfolie, manche auch aus Perlmutt. Sie stehen in unterschiedlichen Winkeln, was die Lichteffekte erzeugt. Keiner der Mosaiksteine ist größer als ein Quadratzentimeter, bei der Haut und den Gesichtern sind sie noch kleiner. Die Piacentis haben über eineinhalb Millionen Steine elektronisch analysiert und kartographiert. Stein für Stein haben sie jedem eine Art „persönliches Profil“ zugeordnet. Das war im Vertrag nicht vorgesehen. Dank der Renovierung sieht man nun Details, die vorher nicht mehr zu erkennen waren: Kinder, die ihre Kleider schwenken, kleine Tiere, Pilze. Oder dass Jesus das Handgelenk des Thomas ergreift, um dessen Finger in seine Seite zu legen.

Geldgeber. Diese Schönheit hat auch einen wichtigen ökumenischen Aspekt. Die Mosaike gehen auf die Kreuzfahrerzeit zurück (etwazwischen 1160 und 1169) und Manuel Komnenos, der byzantinische Kaiser, Amalrich, der König von Jerusalem, sowie Rudolph, der damalige Bischof von Betlehem, haben sie gemeinsam in Auftrag gegeben. Damals bestand das Schisma zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche schon ein Jahrhundert lang. Die Schönheit hat also eine Einheit geschaffen. Auch heute haben die unterschiedlichsten Menschen und Gruppen Geld für die Restauration gespendet. Darunter sind sowohl muslimische als auch christliche Staaten, Banken aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen, Privatleute aus aller Welt. Ein Palästinenser hat einen beträchtlichen Betrag gespendet mit der Bemerkung: „Diese Kirche gehört der Menschheit. Und ich bin ein Mensch.“ Das zeigt, dass die Geburtskirche nicht einfach ein Denkmal ist, sondern ein lebendiger Ort. Auch Giammarco hat bei der Arbeit zwischen den Mauern, Gesichtern, Geräuschen dieser Kirche festgestellt: „Das Christentum ist ein Faktum.“

Papst Franziskus begrüßt bei seinem Besuch am 25. Mai 2014 in der Geburtskirche Marcello und Giammarco Piacenti.

Auf der Baustelle arbeiten auch Muslime. Sie arbeiten sogar freitags und folgen auch den Anweisungen von Frauen. Die Piacentis fühlen sich sehr angenommen von den Leuten in Betlehem. Sie werden von Familien zum Mittagessen eingeladen, spielen mit den Leuten Fußball und arbeiten täglich mit vielen zusammen. So entstehen Freundschaften. Es hat sie auch beeindruckt, wie viele Pilger verschiedener Religionen noch heute kommen, um in der Basilika zu beten. Und das Zusammenleben der verschiedenen Konfessionen im Alltag. „Bei der Beerdigung eines Griechisch-Orthodoxen waren einmal sehr viele Muslime“, erzählt Giammarco. „Da habe ich einen Palästinenser gefragt, warum er gekommen sei. Der war ganz überrascht von der Frage und antwortete: ‚Er war ein Freund.‘“

Mariella Carlotti hat Literatur und Kunstgeschichte studiert und arbeitet als Lehrerin in Florenz. Sie hat die Ausstellung über die Restaurierung der Geburtskirche beim Meeting in Rimini kuratiert. Zuerst einmal ist sie nach Betlehem gefahren, um sich selber ein Bild zu machen. „Dort habe ich etwas gesehen, von dem ich immer geträumt hatte: die Bauhütte einer mittelalterlichen Kathedrale.“ Den Maurer neben dem Historiker arbeiten zu sehen, den Mosaikleger neben dem Ingenieur, Männer und Frauen, viele junge Leute (das Durchschnittsalter liegt bei 30 Jahren), Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen, die mit der gleichen Aufmerksamkeit sehr große und sehr kleine Dinge tun. „Sie halten den Kontakt zu Staatschefs und fegen den Boden. Mit einem Bewusstsein, das auch mir geholfen hat, meine Arbeit anzugehen. Man lernt, dass die Freude nicht davon abhängt, welche Arbeit man macht, sondern davon, dass jede Arbeit, was auch immer es sei, ein kleines Steinchen eines viel größeren Mosaiks ist, das man der Geschichte übergibt.“