„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“
Liebe Freunde, ihr habt diese Wallfahrt angetreten – ob es euch bewusst ist oder nicht – aufgrund eines Bedürfnisses, das euch in Bewegung versetzt hat, noch bevor ihr den Weg nach Loreto begonnen habt. Euch dieses Bedürfnisses bewusst zu werden ist eure erste Aufgabe heute Nacht. Denn nur so könnt ihr gehen, ohne dass es mechanisch oder selbstverständlich wird.
Doch wie können wir uns gegenseitig helfen zu erkennen, was unser eigentliches Bedürfnis ist? Wir bräuchten uns nur unsere Ängste und Leiden, unsere Traurigkeit und Einsamkeit einzugestehen, ohne etwas auszuklammern, um zu erkennen, wie bedürftig wir sind.
Was war der vorherrschende Gedanke, der euch dazu gebracht hat, euch auf den Weg zu machen? Was steht „wie ein Turm im weiten Feld“ (G. Leopardi) inmitten all der Wechselfälle des Lebens, in denen wir uns so oft verheddern, die uns enttäuschen und Angst einflößen?
Nachdem Er sich bei Zachäus zum Essen eingeladen hat, sagt Jesus: „Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden.“ Wie ist es bei uns? Interessiert uns das Heil noch? Oder ist es ganz vergraben unter dem Berg unserer Gewohnheiten? Geben wir uns lieber mit weniger zufrieden? Reduzieren wir das grenzenlose Bedürfnis, das wir im Herzen tragen? Wie wichtig es ist doch, dass wir unsere Armseligkeit erkennen!
„Selig, die arm sind vor Gott“, sagt Jesus, „denn ihnen gehört das Himmelreich“ – also das Heil. Deswegen erklärt Don Giussani immer wieder, dass „der wahre Protagonist der Geschichte der Bettler“ ist. Und Papst Franziskus sagt: „Diese Armut ist notwendig, denn sie kennzeichnet das, was unser Herz wirklich ausmacht: dass wir Gott brauchen.“
Geht deshalb zur Muttergottes und stützt euch gegenseitig durch euer Zeugnis auf dem Weg. Bittet Maria um diese Armut, deren Königin sie ist, auf dass Gott Erbarmen mit uns habe. Möge Er, der „auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut hat“, auch auf unsere Niedrigkeit schauen.
Es wird euch helfen, wenn ihr beim Gehen die Frage vor Augen habt, die Jesus an die Niedrigkeit des Petrus gerichtet hat: „Liebst du mich?“ Habt ihr je darüber nachgedacht, wie Er Petrus gesehen haben muss, dass Er ihm diese Frage stellte, nachdem dieser ihn dreimal verleugnet hatte? Nicht einmal der Verrat konnte das unermessliche Erbarmen Christi mit ihm verhindern. Und habt ihr je daran gedacht, was Petrus in seiner Nichtigkeit empfunden haben muss, dass er so eine demütige Antwort gab? „Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich liebe.“ „Meine ganze menschliche Zuneigung gilt dir, Jesus von Nazareth“, wie Don Giussani sagt. Ich lese den Abschnitt des Evangeliums über das Ja des Petrus (Joh 21) oft. Wie könnte ich meinen Weg gehen, ohne immer wieder darauf zurückzukommen? Ich würde mich verlieren. Ich wäre unfähig zu erkennen, was mein wahres Bedürfnis ist und wer mir jetzt darauf antwortet.
Einen guten Weg wünsche ich euch! Möget ihr erfüllt sein allein von dem Bedürfnis nach Ihm.
Don Julián Carrón
Mailand, den 30. Mai 2017