Begegnung mit Volker Kauder und Prof. Reimer in Bruchsal © Foto: Stefan Reger

Religionsfreiheit als Grundrecht und ihre Bedrohung

Ein Gespräch mit Volker Kauder und Professor Dr. Franz Reimer über Religionsfreiheit. Am 12. November im Vinzentiushaus in Bruchsal trafen sich 55 Personen, um dieses wichtige Thema zu vertiefen.
Hubert Keßler

Im Zentrum stand die Frage: Was bedeutet Religionsfreiheit als Grundrecht in Zeiten des politischen und gesellschaftlichen Umbruches? Angenommen hatten die Einladung der Kulturinitiative e.V. zu dieser geschlossenen Gesprächsrunde der örtliche Bundestagsabgeordnete Olaf Gutting MdB, einige Bürgermeister des Umkreises, Vertreter des Gemeinderates, der Pfarrgemein-den, evangelische und katholische Pfarrer, Direktoren und Lehrer und einige Freunde von CL.

Die Begegnung mit einem Freund, der diese Frage aus der Sicht des Glaubens durch die juristische Brille stellte, und Volker Kauder, einem Politiker, der zum weltweiten parlamentarischen Netzwerk für Religionsfreiheit gehört und diese Frage mit jahrzehntelanger politischer Erfahrung aufnimmt, führte zur regen Diskussion unter allen Beteiligten im Saal.

Volker Kauder ist in dieser Frage kein Unbekannter. Der Einsatz für die Religionsfreiheit und für verfolgte Christen ist und bleibt für den evangelischen Christen ein Herzensanliegen. Auf sein Engagement geht es zurück, dass die Bundesregierung seit 2017 einen Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit hat, der jährlich einen Bericht zur Lage der Religionsfreiheit und Verfolgung von Christen veröffentlichte.

Dass es Franz Reimer und Volker Kauder möglich war, die Frage der Neutralität des Staates auch sehr kontrovers zu diskutieren, zeigte, wieviel Freiheit im gemeinsamen Glaube mitschwingt. Kann man überhaupt neutral sein, war aus dem Publikum die Frage gestellt worden: Es prägt doch der Glaube mein Tun als Person! Der nun aus dem Bundestag ausgeschiedene Kauder verteidigte mit Vehemenz die staatliche Neutralität von Beamten und widersprach damit Professor Reimers Bemerkung von einem „wolkigen Neutralitätsgrundsatz“. Ist nicht ein offensichtliches Bekenntnis zur eigenen Identität einer Lehrerin mit Kopftuch eine notwendige Provokation angesichts des Verlustes der Wahrheitsfrage? Bedeutet das Kopftuch einer Rechtsreferendarin schon eine Infragestellung der notwendigen Neutralität der im Staatsdienst tätigen Person? Die Diskussion an diesem Punkt blieb offen.

Es zeigte sich, dass Religionsfreiheit eine Provokation auf vielen Ebenen ist: Auf der Seite der Gläubigen, die im Wettbewerb der unterschiedlichen „Wertegeber“ zum Zeugnis herausgefordert sind und nicht nach „Vater Staat“ rufen können. Und ja, wer Freiheit für sich einfordert, muss sie auch anderen zugestehen. An diesem Punkt war die Provokation von Herrn Kauder sehr klar. Er forderte, und das in seinem öffentlichen Wirken nicht zum ersten Mal, die Gläubigen im Saal heraus, ihren Missionsauftrag ernster zu nehmen und sich nicht zu beklagen, wenn die Moscheen sich füllen und die Kirchen sich leeren.

Interessant in diesem Kontext war der Beitrag des ehemaligen Schulleiters einer katholischen Mädchenschule in Kairo. Er erzählte, dass es die muslimischen Eltern waren, die ihn gebeten hatten, neben dem Freitag den Sonntag als den Feiertag der Christen schulfrei zu belassen und nicht aufgrund der muslimischen Mehrheit seiner Schülerinnen den Samstag zu wählen.

Auf der Ebene einer sich breit machenden nationalistischen Instrumentalisierung der Religion, wie Kauder von Erfahrungen aus Indien und China berichtete, bedeutet die Religionsfreiheit als Grundrecht ein klares Stoppschild.

Auf der Seite derjenigen, die Grund- und Menschenrechte zur neuen Zivilreligion erheben möchten, erinnert die Religionsfreiheit an die eigentliche transzendente Dimension im Menschen, in unseren Worten: an den Religiösen Sinn und das Warten auf eine Antwort, die sich ereignet.
Einer der Anwesenden hob in seinem Beitrag die gefährliche Reduzierung des Glaubens auf Werte und die Verstärkung der Selbstsäkularisation des Christentums durch den Verlust der Wahrheitsfrage hervor – und fand bei Franz Reimer und anderen breite Zustimmung.

Wie ist es nun mit dem kirchlichen Arbeitsrecht? Die Parteien der „Ampel“ sprachen in ihren Wahlprogrammen von der Abschaffung dieses Rechtes. Franz Reimer wies auf das unaufhebbare Recht der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, ihre Angelegenheiten selbst regeln zu dürfen. Kauder fordert eine Konzentration dieses Rechtes auf die Bereiche, in denen es um Verkündigung und Bildung geht.

In einer seiner Botschaften 2014 zur Religionsfreiheit sagte der Papst: „Die Vernunft erkennt in der Religionsfreiheit nicht nur ein Grundrecht des Menschen, das seine höchste Würde widerspiegelt – die Würde, die Wahrheit suchen und sich in ihren Dienst stellen zu können –, sondern auch die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass der Mensch sein ganzes Potential entfalten kann. Die Religionsfreiheit ist nicht nur die Freiheit des Denkens oder der persönlichen Religionsausübung. Sie ist die Freiheit, gemäß den ethischen Prinzipien, die aus der gefundenen Wahrheit hervorgehen, zu leben, und zwar sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich.“ So ist die Frage der Religionsfreiheit eine Frage von einem Jeden von uns. Vor dieser Frage und in unserem konkreten geschichtlichen Kontext stehen wir, wie es uns Carrón beim Eröffnungstag sagte, mit einer Ressource da, unserem Charisma. Es fehlt uns keine Gnade. Was uns bewegte, können wir mit Giussani sagen, war „der Wunsch, dass der Glaube mit dem Leben zu tun hat, dass er vernünftig ist, frei und schöpferisch“. Wenn unter uns das Charisma, dieses Ereignis nicht Fuß gefasst hätte: niemand von uns hätte die Mühe auf sich genommen und den Mut gehabt, sich diesem Gespräch zu stellen.

Es war ein Abend, an dem die Präsenz von Christen, nicht nur von der Bewegung von CL und auch nicht nur von der katholischen Kirche, eine Anziehungskraft entfaltete, die sich in der Diskussion und in mehreren Rückmeldungen zeigte. Es blieb der Wunsch bei Vielen, dieses Gespräch fortzusetzen, auch bei Volker Kauder.