Glaube und Einsamkeit

Was bedeutet es wirklich, „allein“ zu sein? Welche Antwort gibt der Glaube auf dieses uralte Problem des Menschen? Der Präsident der Fraternität von CL, Julián Carrón, hielt bei einer Konferenz in Florenz am 16. November 2019 den folgenden Vortrag.
Julián Carrón

JULIÁN CARRÓN
Einsamkeit ist ein Phänomen, das viele Facetten hat, die bei diesem Kongress sicher auch zur Sprache kommen werden. Schon die Definition von Einsamkeit, die im Programm gegeben wird, zeugt von der Vielfalt der Bedeutungen, die dieses Wort annehmen kann. Einsamkeit wird da definiert als „das subjektive Gefühl fehlender Unterstützung in der Not“ und etwas, das „einen negativen Einfluss auf die Gesundheit“ hat. Aber auch bei solchen Definitionen bleibt immer noch die Frage, was denn diese „Not“ ist oder was einem wirklich „fehlt“.
Mir fallen dazu die folgenden Verse des Dichters Mario Luzi ein:

Was ist das für ein Mangel, Herz,
von dem du ganz und gar erfüllt bist?
Wovon? Der Damm ist gebrochen,
die Flut deines Elends
überflutet und überwältigt dich.
Es kommt,
vielleicht kommt
von jenseits dir
eine Erinnerung,
die du jetzt in deiner Not nicht hörst.
Aber sie ist da, sie bewahrt ihre Kraft,
das ewige Lied ... wird wiederkehren.
Bleib ruhig
.“

(M. Luzi, Sotto specie umana, Garzanti, Mailand 1999, S. 190. Eigene Übersetzung aus dem Italienischen)

Der Dichter stellt hier eine Frage, die es noch dringender erscheinen lässt, der Natur der Einsamkeit auf den Grund zu gehen.
Im Rahmen dieses Kongresses, der, wie im Programm zu lesen ist, „einen Überblick über die Hauptursachen bieten will, die heute die Einsamkeit von Menschen aller Altersgruppen, insbesondere der älteren Menschen, bewirken“, wurde ich gebeten, über „Glaube und Einsamkeit“ zu sprechen. Um aber aufzuzeigen, was der Glaube dazu beitragen kann, muss man zunächst genau feststellen, worin die Einsamkeit des Menschen besteht, die bei älteren Menschen oft besonders dramatisch ist. (...)