„Wie können wir den Abgrund in uns füllen?“

Das 2. Kapitel des Buchs von Julián Carrón Das Leuchten der Augen - Was entreißt uns dem Nichts?. Das ganze Buch wird in den kommenden Wochen als e-book erscheinen.
Julián Carrón

Die Frage, die wir ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit gestellt haben, ist grundlegend: „Was entreißt uns dem Nichts?“ Wie schaffen wir es, im unausweichlichen Drama des Lebens nicht vor unserer Verletzlichkeit und unserer Ohnmacht zu kapitulieren? Haben wir eine Antwort auf die Sinnlosigkeit? Das Coronavirus hat uns einen Schlag versetzt, der jeden von uns erschüttert hat und viele um ihr Leben fürchten ließ. Er hat diese Frage noch dringlicher gemacht und uns in die Lage versetzt, die einzelnen Antwortversuche noch klarer gegeneinander abzuwägen.


1. Ungenügende Versuche

a) Argumente, die niemanden mehr fesseln
Einige Leute meinen, schlaue Reden würden genügen, um die Herausforderung des voranschreitenden Nichts zu besiegen. Doch aus Erfahrung wissen wir, dass das nicht reicht. Ein Gedanke, eine Philosophie, eine psychologische oder intellektuelle Analyse können den Menschen nicht wieder in Bewegung setzen, können der Sehnsucht keinen neuen Atem einhauchen oder das Ich wieder aufbauen. Die Bibliotheken sind voll von solchen Versuchen und durch das Internet ist alles leicht abrufbar. Trotzdem breitet sich das Nichts unaufhaltsam aus. Je aufmerksamer wir auf das achten, was uns im Innersten aufwühlt, desto mehr werden wir uns bewusst, dass das alles nicht reicht. „Im Menschen ist etwas, das verdunkelt, unterdrückt, ignoriert und verzerrt wird. Wie können wir diesen Panzer durchdringen und erkennen, was wirklich sein letzter Wunsch ist? Wir sind so mit dem Studium des menschlichen Verhaltens beschäftigt, dass wir allzu oft sein Verlorensein übersehen.“
Wie viele Worte, die wir hören und auch selber sagen, verhallen im Nichts? Shakespeare prangert das scharf an: Er „spricht unendlich viel nichts […]. Seine vernünftigen Gedanken sind wie zwei Weizenkörner, in zwei Scheffeln Spreu versteckt: Ihr sucht den ganzen Tag, bis Ihr sie findet, und wenn Ihr sie habt, so verlohnen sie das Suchen nicht.“ Die Vernunft kann sich mit Argumenten ohne jeden realen Inhalt im Kreis drehen. „Der Verstand […] ist stets versucht, sich von einem Spiel der Ideen ablenken und faszinieren zu lassen, ohne dabei zu bemerken, dass er so das Band zerstört, das ihn mit der Wirklichkeit verbindet.