Bei der Veranstaltung in der Stadtkirche in Bruchsal. (Foto: Johann Prach)

Die Politik ist immer eine Baustelle.

Begegnung mit Wolfgang Bosbach am 27. Januar 2025: einem Menschen, der aus Überzeugung in die Politik gegangen und seinen menschlichen Grundsätzen treu geblieben ist, selbst wenn er dadurch mit seiner Fraktion in Konflikt geriet.
Hubert Keßler, Adolf Diefenhardt, Maria Groos

„In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ Unter diesem Motto hatte die Kulturinitiative e.V. Wolfgang Bosbach am 27. Januar 2025 zu einem Vortrag in Bruchsal eingeladen. Wolfgang Bosbach ist CDU-Politiker und bekennender Katholik. Der aus Bergisch Gladbach stammende Jurist leitete lange Jahre den Bundestagsinnenausschuss. Er genießt hohes Ansehen, nicht zuletzt wegen der unprätentiösen Art, mit der er seinen christlichen Glauben auch im politischen Alltag einbringt.

Das Treffen war schon lange vor dem Aus der Ampelkoalition vereinbart gewesen. So ent-hielt sich Bosbach auch wohltuend jeder Wahlkampf-Rhetorik und bemühte sich, in sachlichem Ton über grundsätzliche Fragen der Politik zu sprechen. Dies haben auch die Medienvertreter in ihren Artikeln wohlwollend bemerkt. Hubert Keßler, der die Veranstaltung leitete, meinte gleich zu Beginn mit Blick auf die eingerüstete Kirche, in der die Veranstaltung stattfand: Ecclesia semper reformanda. Die Kirche müsse immer wieder erneuert werden. Das gelte ebenso für die Politik.

Ein Politiker mit Prinzipien
Die Begegnung mit Wolfgang Bosbach war die mit einem Menschen, der aus Überzeugung in die Politik gegangen und seinen menschlichen Grundsätzen treu geblieben ist, selbst wenn er dadurch mit seiner Fraktion in Konflikt geriet. Zu seinen Grundsätzen zählt auch eine rheinländisch geprägte Haltung: „Politik wird nicht besser, wenn die Politiker schlecht gelaunt sind. Lassen sie uns gelassen bleiben!“ Das gilt angesichts manch schriller Töne in der derzeitigen Debatte auch für den Umgang mit Kollegen anderer Parteien. „Wer eine andere Meinung hat als ich, ist nicht mein Feind. Er hat nur eine andere Meinung als ich“, erklärte Bosbach. Deshalb könne man in der Sache ernsthaft streiten, aber stets so, „dass man sich hinterher beim Biertrinken noch in die Augen schauen kann“. „Otto Schily (SPD) war ein harter Knochen, aber er wusste, was ging und was nicht ging“, erinnerte er sich an den damaligen SPD-Innenminister. Nach Verhandlungen gab man sich die Hand und dann kam die Arbeit in der Fraktion. Bosbach erzählte, dass er einmal kurz vor Weihnachten von einem SPD-Ortsverband eingeladen worden sei: ein wunderschöner Abend, weil da „Menschen“ zusammengesessen hätten.

Hubert Keßler und Wolfgang Bosbach. (Foto: Johann Prach)

Nähe zu den Menschen
Bosbach hat als Politiker nie den Blick für die Menschen verloren. Das spiegelte sich auch in der Zustimmung der Wähler wider. Seinen Wahlkreis gewann er stets mit der landesweit höchsten Stimmenzahl. Dabei ist Bosbach kein Populist, sondern jemand, der mit den Menschen lebt und viel mit ihnen spricht. Aus dieser Haltung speist sich sein Realismus, der auch seine politischen Entscheidungen bestimmte. So etwa beim Thema Verkehrswende: „Brauchen wir Flugtaxis für die Wenigen, oder nicht doch mehr Busse für die Landbevölkerung?“

Auch beim Thema Migration ließ er sich nicht zu Polemik hinreißen. Stattdessen berichtete er von den Erfahrungen des Vaters seines Schwiegersohnes aus der Türkei, der sich durch die Arbeit und die Solidarität der Arbeitskollegen sprachlich wie menschlich integriert habe. Das sei keine von oben verordnete Integration gewesen, sondern Ergebnis eines gesunden gelebten Miteinanders. Gerade deshalb forderte Bosbach aber eine offene Diskussion angesichts staatlicher und gesellschaftlicher Überforderung, ohne Scheuklappen oder Sprechverbote. Und er betonte die notwendige Unterscheidung zwischen legaler und illegaler Migration, allerdings mit den nicht unwichtigen Nachsatz: Nicht der Mensch ist illegal, nur möglicherweise sein Aufenthaltsrecht.

Glaube als Quelle der Gelassenheit
Eine solche Haltung kommt nicht von ungefähr. In Interviews spricht Bosbach offen über seinen Glauben, insbesondere seit seiner Krebserkrankung. „Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand.“ Nach der Diagnose habe er mit Gott gehadert, inzwischen gebe ihm der Glaube jedoch Kraft. Diese Gelassenheit spiegelt sich auch in seinen politischen Einschätzungen wider. Selbst ernste Themen verbindet er mit rheinischem Humor, etwa beim Fachkräftemangel: „Der betrifft inzwischen sogar die Kriminalität. Kürzlich haben Diebe in Köln nicht den Geldtresor gesprengt, sondern den Kontoauszugsdrucker.“

Politik mit Augenmaß
Auch in der Diskussion zeigte sich immer wieder die menschliche Seite Bosbachs. Besonders deutlich wurde das beim Thema Selbstbestimmung. Während die Debatte um Gender oder kulturelle Aneignung ihn wenig beunruhige – „Wir lassen uns doch nicht vorschreiben, welche Kostüme wir im Karneval tragen dürfen!“ –, sei er besorgt über eine zunehmende Relativierung der Menschenwürde, insbesondere in der Abtreibungsdebatte: „Das Selbstbestimmungsrecht darf das Lebensrecht des Kindes nicht komplett überlagern. Das Ungeborene ist ein menschliches Wesen mit eigener Würde.“ Auch zum Zustand der politischen Kultur äußerte er sich kritisch. Vertrauen sei entscheidend: „Koalitionen funktionieren nur, wenn man sich aufeinander verlassen kann. Ohne Vertrauen kann man keine Regierung bilden.“ Wenn es keine entsprechenden Mehrheiten gebe, seien eben Kompromisse nötig. Der Titel eines seiner letzten Bücher lautet: Wer glaubt uns noch? Warum Politik an Vertrauen verliert und was wir dagegen tun können. Bosbach meint, es gebe keine Politikverdrossenheit, sondern eine Politikerverdrossenheit. Diesen Unterschied betonte er auch in seiner Analyse des Scheiterns der Ampel-Koalition.

Martin Groos, einer der Fragenstellenden (Foto: Johann Prach)

Verlässlichkeit als Prinzip
Verlässlichkeit ist für Bosbach nicht nur eine Forderung an andere, sondern eine Haltung, die er selbst lebt. Angesichts des Wahlkampfes hätte er den Termin auch absagen können. Und als am Sonntag vor der Veranstaltung der Anrufbeantworter leuchtete, rechneten wir tatsächlich mit einer Absage. „Hier spricht Wolfgang Bosbach. Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die schlechte zuerst: Ich muss spätestens um 20.40 Uhr aufbrechen.“ (Wir hatten bis 22.00 Uhr geplant.) „Ich muss noch nach Marburg. Die gute Nachricht: Ich komme.“ Verlässlichkeit – und Entschiedenheit.

Bosbach zeigte sich als Politiker, der für mehr Gelassenheit und Gottvertrauen auch in schwierigen Umständen plädierte, der den Respekt im Miteinander lebt und die Probleme mit Realismus angeht. Die Begegnung führte auch uns zu einem persönlichen Nachdenken über die Bedeutung der Politik und ihren Dienst für das Gemeinwesen. Offenbar erging es auch vielen Teilnehmern so. Denn es gab zahlreiche positive und dankbare Rückmeldungen. Und auch Wolfgang Bosbach war wohl recht zufrieden mit der Begegnung – selbst wenn er sie früher verließ als geplant.