Eugenia Scabini (© Paola Cuppoletti)

Unerwartete Liebe

Dialog mit der Psychologin Eugenia Scabini über die Familie, über ihre Bedeutung, die Ursachen von Krisen, die Pflege von Beziehungen und die Bedeutung der Vergebung – die Wurzeln der Familie.
Paola Bergamini

„Es waren die Erklärungen meines Mannes, die in mir die Faszination für das Gemälde von William Congdon geweckt haben.“, erzählt mir Eugenia Scabini, emeritierte Professorin für Sozialpsychologie und Präsidentin des wissenschaftlichen Beirats des Zentrums für Studium und Forschung der Familie der Università Cattolica del Sacro Cuore in Mailand, als ich vor dem Bild des amerikanischen Malers stehe, welches in ihrem Wohnzimmer hängt. „Die Liebe bringt auch das hervor: die Entdeckung von etwas Unerwartetem.“ Hervorbringen, erzeugen – dieses Verb wird im Mittelpunkt unseres Dialogs stehen.

Versuchen wir, über die Familie zu sprechen.
Die Familie ist ein sozialer Körper, nicht nur irgendeine soziale Form. Der Ausdruck Körper vermittelt die Vorstellung einer Zugehörigkeit zwischen Menschen. Besser formuliert: Die Familie ist der soziale Körper, der in einzigartiger Weise die Funktion des Erzeugens hat, und zwar durch die Verbindung zwischen Mann und Frau, die ihrerseits erzeugt wurden: Zeugen und Erzeugt-Sein lässt sich beim Menschen nicht trennen. Wir alle sind Kinder, wir sind keine autonomen „Ichs“. Das ist ein wichtiger Punkt: Das menschliche Kind erhält seine Identität ausgehend von der Erkenntnis, dass es von diesem Vater und von dieser Mutter gezeugt wurde und dass es einen Platz in der Geschichte der Familie einnimmt. Die Familie ist ein fruchtbarer Ort. Unter diesem Gesichtspunkt stellen die heutigen Reproduktionstechnologien, insbesondere die heterologen, ein ernsthaftes Risiko für die Identitätsreifung des Kindes dar, da sie einen oder beide Erzeuger anonymisieren. Die Familie erzeugt das Gute schlechthin, das, was am Ursprung liegt: den Schatz des Lebens, welcher, in Bezug auf die Entwicklung der Person in affektiver und ethischer Hinsicht mit der Fürsorge für den anderen einhergeht. In diesem Sinne ist, wie Don Giussani in Il rischio educativo so treffend sagt, die Funktion der Eltern „ist es, Ursprung zu sein. Schon allein dadurch, dass sie „Erzeuger“ sind, führen sie ihre Kinder in ein Verständnis der Wirklichkeit ein, in eine Strömung des Denkens und der Zivilisation..“ In der Tierwelt gibt es das nicht – hier sprechen wir von Fortpflanzungsfähigkeit, denn das einzige Ziel ist der Fortbestand der Art. Der Tigerwelpe ist einer von vielen und nicht dazu in der Lage, seine Vorfahren zurückzuverfolgen. Das Menschenkind hingegen ist ein Unikat, eine unersetzliche Person.

Worin liegt die anthropologische Krise der Familie?
Das Paar steckt in einer Krise. Am Anfang der Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau steht eine Leidenschaft, die die starken emotionalen Eigenschaften des Verliebtseins hat, welches physiologischerweise mit den Jahren weniger werden kann – und dann sagt man „basta“. Das ist, was heute passiert. Man trennt sich und sagt: „Wir lieben uns nicht mehr.“ Aber ist das die Liebe? Die Bindung eines Paares besteht nicht nur aus Zuneigung, sondern beinhaltet auch eine Verpflichtung, ein Versprechen, einen Pakt, den es entschieden einzuhalten gilt. Man könnte sagen, dass es sich um einen Pakt handelt, der jeden Ehepartner täglich herausfordert, der ständig genährt und erneuert werden muss und der verschiedene Phasen der Zuneigung erlebt (Leidenschaft, Zärtlichkeit, reines Teilen, ...).

In diesem Zusammenhang sagte Benedikt XVI. in seiner Ansprache an die römische Kurie im Dezember 2012: „Da ist zunächst die Frage nach der Bindungsfähigkeit oder nach der Bindungslosigkeit des Menschen. Kann er lebenslang sich binden? Ist das seinem Wesen gemäß? Widerspricht es nicht seiner Freiheit und der Weite seiner Selbstverwirklichung?“ Ist es das „für immer“, das beängstigend ist?
Der moderne Mensch hat eine strukturelle Schwierigkeit, Bindungen zu akzeptieren. Unsere Gesellschaft ist schnelllebig und ihr Ideal besteht darin, Beziehungen nach Belieben einzugehen und wieder zu lösen. Das Wort „Bindung“ wird in einem negativen Sinne erlebt. Fügen wir ein Element hinzu, um das Verständnis zu erleichtern: die Ethik der Zuneigung. Denn zu der bloßen Zuneigung gehört auch ein Versprechen – es steht in der Eheformel geschrieben –, ein Pakt der Treue. In diesem Versprechen gibst du alles von dir hin, auch deine Zerbrechlichkeit. Der Bund der Ehe wird zu einer totalen Hingabe deiner selbst an den anderen. Deshalb sage ich, dass sie, die Ehe, etwas Heiliges ist. Benedikt XVI. fügt hinzu: „Mit der Absage an diese Bindung verschwinden auch die Grundfiguren menschlicher Existenz: Vater, Mutter, Kind; es fallen wesentliche Weisen der Erfahrung des Menschseins weg.“ In der christlichen Ehe wird die Beziehung des Paares durch einen Anderen besiegelt, und verweist damit auf die trinitarische Beziehung: die Umarmung zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Geist.

Und wenn es, so schmerzhaft es ist, zur Trennung kommt?
Das ist eine große Prüfung. Es ist wichtig, dass man auch durch das Drama und den Schmerz hindurch das Positive sehen kann, das die Beziehung hervorgebracht hat und dass man um jeden Preis die Gemeinschaft zwischen den Eltern aufrechterhält. Wenn man dagegen dabei stehenbleibt, dass „alles schiefgelaufen sei“, werden einem alle möglichen bedeutsamen Beziehungen entfliehen. Oder, schlimmer noch, man wird zum Sklaven der Bindungen und neigt dazu, das Drehbuch der vorherigen Beziehung in gleicher Weise zu wiederholen.

Sie haben eingangs angedeutet, dass in der Hingabe seiner selbst auch Fürsorge für den anderen liegt?
Es ist die Fürsorge innerhalb der Beziehung, die heute in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Man muss einen Raum für sich als Paar bewahren. Das bedeutet auch, den anderen nicht als Konkurrenten zu betrachten, sondern zu versuchen, sich in seine oder ihre Lage zu versetzen und auf seine oder ihre Wünsche, Bedürfnisse und Schwierigkeiten zu achten. Zum Beispiel hat jeder das Erbe seiner Herkunftsfamilie als Ressource, welches aber auch Ecken und Kanten haben kann, die es zu „schleifen“ gilt. Der Ehepartner kann einen Kampf gegen die Herkunftsfamilie führen oder dem anderen helfen, eine unglückliche Beziehung zu glätten, indem er dabei hilft, das Negative zu verstehen und gleichzeitig das Positive zurückzugewinnen. Die Geschichte des anderen anzuerkennen ist eine Möglichkeit, ihn zu lieben. Die Fürsorge zeigt sich in ganz alltäglichen, kleinen Dingen: vom Kochen eines Lieblingsgerichts über das Schenken eines Blumenstraußes bis hin zur Beteiligung an Arbeitsproblemen und dem Teilen von Erziehungsaufgaben. Gesten, die einerseits nicht in Routine verfallen und andererseits einen manchmal unerwarteten Reichtum erzeugen.

Ist es das, was Ihnen bei der Entdeckung von Congdons Gemälde passiert ist?
Ja, nicht nur Congdon, sondern die Kunst im Allgemeinen. Durch meinen Mann, der Arzt war, konnte ich auch die Welt der Kranken verstehen. Jedes Fitzelchen Realität wird so zu einer Entdeckung, die anzieht.

Wie wichtig ist in dieser Art von Beziehung das Verzeihen?
Grundlegend. Im Buch Una rivoluzione di sé sagt Giussani: „Wir sind so hart, so unempfindlich gegenüber den anderen. Wir sind so undurchlässig, so abweisend, so ungastlich, weil wir uns selbst gegenüber ungastlich sind. Die Menschen, die am entschlossensten, am meisten draufgängerisch zu sein scheinen, sind oft psychologisch überfordert, weil sie Angst vor sich selbst haben oder, besser noch, weil sie sich selbst nicht vergeben.“ Es klafft immer eine Lücke zwischen den Erwartungen, die das Subjekt an sich selbst und an den anderen hat, und auch ihrer Verwirklichung. Vergebung ist die Haltung der Demut, die dich dazu bringt, in primis dich selbst und dann den anderen zu akzeptieren, weil die Dimension der Forderung wegfällt. Darin sehe ich die Größe des Geheimnisses der Beziehung: Sie ist ein Abenteuer der emotionalen Verständigung, welches ein Leben lang anhält. Heutzutage muss leider alles darauf programmiert werden, einen vordefinierten Standard zu erreichen – bezüglich der Arbeit, der Schönheit, usw. Was bis zu einem gewissen Grad auch sein muss – es würde uns sonst fehlen! Aber die Schönheit liegt auch im Risiko, darin, Raum für das Unerwartete zu schaffen. Sowohl in der ehelichen Beziehung als auch bei den Kindern. À propos Kinder – da sehe ich eine weitere Gefahr.

Welche?
Daniele Marcelli, ein berühmter Kinderpsychotherapeut, hat einmal gesagt, dass die Eltern heutzutage nicht mehr dazu neigen, das Kind zu erziehen (ex-ducere), in dem Sinne, sein Potenzial zu entfalten, sondern eher dazu tendieren, es an sich zu ziehen (se-ducere), um gefällig zu sein und zu versuchen, jedem Bedürfnis vorzubeugen. Kinder sind das wichtigste Gut einer Familie, aber sie laufen Gefahr, zum Sinn des Lebens selbst zu werden, während Erziehung eigentlich bedeutet, das weiterzugeben, was deinem Leben einen Sinn gibt.

Aber wenn keine Kinder kommen und die Voraussetzungen für eine Adoption nicht gegeben sind, wo bleibt dann der fruchtbare Aspekt des Paares?
Adoptieren ist nicht die einzige Möglichkeit, fruchtbar zu sein, wenn man keine Kinder bekommen kann. Die Sorge für das Leben kann sich in Projekten ausdrücken, die anderen Gutes tun: zum Beispiel in der Gründung eines Werkes für verlassene Kinder, Kranke oder ältere Menschen. Oder man öffnet das eigene Haus für verschiedene Formen der Gastfreundschaft. Dies sind typische familiäre Wege, fruchtbar zu sein. Ein Gutes, das von einem Paar gefördert wird und über das Paar hinausgeht, es überlebt... genau wie Kinder. Das ist soziale Fruchtbarkeit, für die Gastfreundschaft ein wichtiger Ausdruck ist.

Welche Zeichen der Hoffnung, eines möglichen Neuanfangs, sehen Sie?
Das erste Zeichen ist, dass sich trotz aller Kritik jeder eine Familie wünscht. D.h., man sehnt sich nach einem verlässlichen Ort, an dem man so akzeptiert wird, wie man ist, und an dem man ohne Angst die tiefsten Aspekte seiner selbst zum Ausdruck bringen kann. Nur die Familie kann diese fruchtbare Liebe hervorbringen, aber nicht die Familie allein. In einer so komplexen und vielfältigen Welt müssen sich Familien vernetzen, um zu erziehen – eine abenteuerliche und zukunftsoffene Fortsetzung des Zeugens. Ich habe oft gesehen, wie sich junge Familien gegenseitig geholfen haben. Es ist notwendig, Bande der Freundschaft und der Solidarität zu knüpfen, die in die Welt hineinreichen; ich würde von der Gemeinschaft als „Mitbeteiligung“ sprechen. Das einfachste Beispiel sind die Kinder: Ein Blick von außen kann helfen, eine bestimmte Situation, die vielleicht schwierig ist, zu verstehen. Ich erinnere mich, dass ich einmal mit dem Pfarrer des Gebetsraums, den meine Kinder besuchen, gesprochen habe und er mir einfach sagte: „Merkst du nicht, dass deine Kinder doch gut aufwachsen?“ Das war sehr wichtig für mich, denn er hatte eine meiner Ängste, die ich vielleicht nicht ganz zum Ausdruck gebracht hatte, interpretiert, indem er mir zeigte, wie er sie betrachtete.