An die Teilnehmer der Generalversammlung der Bruderschaft des Hl. Karl Borromäus
Liebe Brüder und Freunde!
Mit echter Freude erlebe ich diese Begegnung mit euch, Priestern und Seminaristen der Bruderschaft des hl. Karl, die ihr aus Anlaß des 25jährigen Gründungsjubiläums zusammengekommen seid. Ich begrüße den Gründer und Generaloberen, Msgr. Massimo Camisasca, und danke ihm, seinem Rat und euch allen, Verwandte und Freunde, die ihr der Gemeinschaft nahesteht. Besonders begrüße ich den Erzbischof der Diözese der Muttergottes von Moskau, Msgr. Paolo Pezzi, und Don Julián Carrón, Präsident der Bruderschaft von »Comunione e Liberazione«, die in symbolischer Weise die Früchte und die Wurzel des Werkes der Bruderschaft des hl. Karl zum Ausdruck bringen. Dieser Augenblick erinnert mich an die lange Freundschaft mit Msgr. Luigi Giussani und zeugt von der Fruchtbarkeit seines Charismas.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf zwei Fragen antworten, die mir die Begegnung mit euch nahelegt: Welchen Platz hat das Weihepriestertum im Leben der Kirche? Welchen Platz hat das Gemeinschaftsleben in der priesterlichen Erfahrung? Euer Hervorgehen aus der Bewegung »Comunione e Liberazione« und euer lebendiger Bezug zu der kirchlichen Erfahrung, die sie repräsentiert, stellen uns eine Wahrheit vor Augen, die sich seit dem 19. Jahrhundert immer wieder bestätigt und in der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils maßgebenden Ausdruck gefunden hat. Ich beziehe mich auf die Tatsache, daß das christliche Priestertum kein Selbstzweck ist. Es ist von Jesus für das Entstehen und das Leben der Kirche gewollt. Jeder Priester kann deshalb in Abwandlung eines Wortes des hl. Augustinus zu den Gläubigen von sich sagen: Vobiscum christianus, pro vobis sacerdos, »Mit euch (bin ich) Christ, für euch (bin ich) Priester.« Die Glorie und die Freude des Priestertums bestehen darin, Christus und seinem mystischen Leib zu dienen. Es stellt eine wunderschöne und einzigartige Berufung in der Kirche dar, die Christus gegenwärtig macht, weil sie an dem einen und ewigen Priestertum Christi teilhat. Das Vorhandensein von Priesterberufen ist ein sicheres Zeichen der Wahrheit und Lebenskraft einer christlichen Gemeinde. Denn Gott ruft uns ständig, auch zum Priestertum; es gibt kein wahres und fruchtbares Wachstum in der Kirche ohne eine echte priesterliche Präsenz, die sie trägt und nährt. Ich danke daher allen, die ihre Kräfte der Ausbildung der Priester und der Erneuerung des priesterlichen Lebens widmen. Denn wie die Kirche insgesamt muß sich auch das Priestertum ständig erneuern, wobei es die für seine Gestaltung wesentlichen Anhaltspunkte im Leben Jesu findet.
Die verschiedenen möglichen Wege dieser Erneuerung dürfen einige unverzichtbare Elemente keinesfalls außer acht lassen. Vor allem eine gründliche Erziehung zu Betrachtung und Gebet, die als Dialog mit dem in seiner Kirche gegenwärtigen auferstandenen Herrn gelebt werden. Außerdem ein Theologiestudium, das die Begegnung mit den christlichen Wahrheiten in der Gestalt einer mit dem Leben der menschlichen Person und der Gemeinschaft verbundenen Synthese erlaubt: Denn nur ein von Weisheit bestimmter Blick vermag die Kraft zu schätzen, die der Glaube besitzt, um das Leben und die Welt durch ihre beständige Hinführung zu Christus, dem Schöpfer und Retter, zu erleuchten. Die Bruderschaft des hl. Karl hat in ihrer kurzen, aber intensiven Geschichte den Wert des Gemeinschaftslebens hervorgehoben. Auch ich habe in meinen Ansprachen vor und nach meiner Berufung auf den Stuhl Petri mehrmals darüber gesprochen. »Es ist wichtig, daß die Priester nicht irgendwo isoliert leben, sondern in kleinen Gemeinschaften beieinander sind, einander mittragen und so das Miteinander in ihrem Dienst für Christus und in ihrem Verzicht um des Himmelreiches willen erfahren und sich das auch immer wieder bewußt machen« (Licht der Welt, Herder Freiburg 2010, S. 177). Wir haben die derzeit anstehenden Dringlichkeiten vor Augen. Ich denke zum Beispiel an den Priestermangel. Das Gemeinschaftsleben ist nicht in erster Linie eine Strategie, um auf diese Notsituationen zu reagieren. Es ist auch nicht lediglich eine Form der Hilfe angesichts der Einsamkeit und Schwachheit des Menschen. Das alles kann es natürlich sein, aber nur wenn das brüderliche Leben als Weg verstanden und gelebt wird, um in die Wirklichkeit der Gemeinschaft einzutauchen. Das Gemeinschaftsleben ist nämlich Ausdruck der Gabe Christi, die die Kirche ist, und hat seine Vorbildgestalt in der Gemeinschaft der Apostel, aus der die Priester hervorgegangen sind. Denn kein Priester verwaltet etwas, das sein Eigentum wäre, sondern er hat mit seinen Mitbrüdern teil an einer sakramentalen Gabe, die unmittelbar von Jesus kommt.
Das Gemeinschaftsleben ist daher Ausdruck einer Hilfe, die Christus unserem Dasein gewährt, indem er uns durch die Anwesenheit der Mitbrüder zu einer immer tieferen Gleichgestaltung mit seiner Person beruft. Miteinander leben bedeutet, die Notwendigkeit der eigenen ständigen Umkehr zu akzeptieren und vor allem die Schönheit dieses Weges zu entdecken, die Freude der Demut, der Buße, aber auch des Miteinandersprechens, der gegenseitigen Vergebung und Unterstützung. Ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum, »Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht leben« (Ps 133,1).
Die regenerierende Kraft des Gemeinschaftslebens kann niemand ohne das Gebet, ohne Hinschauen auf die Erfahrung und die Lehre der Heiligen, besonders der Kirchenväter, ohne ein getreu vollzogenes sakramentales Leben empfangen. Wenn man nicht in den ewigen Dialog eintritt, den der Sohn mit dem Vater im Heiligen Geist hält, ist kein echtes Gemeinschaftsleben möglich. Man muß mit Jesus sein, um mit den anderen sein zu können. Das ist das Herz der Mission. In der Gesellschaft Christi und der Brüder kann jeder Priester die Kräfte finden, die notwendig sind, um sich um die Menschen zu kümmern, um sich der geistlichen und materiellen Bedürfnisse, auf die er trifft, anzunehmen, um mit immer neuen, von der Liebe diktierten Worten die ewigen Wahrheiten des Glaubens zu lehren, nach denen auch unsere Zeitgenossen dürsten.
Liebe Brüder und Freunde, geht weiter hinaus in die ganze Welt, um allen die Gemeinschaft zu bringen, die aus dem Herzen Christi hervorgeht! Die Erfahrung der Apostel mit Jesus möge immer das strahlende Vorbild sein, das euer Priesterleben erleuchtet! Während ich euch dazu ermutige, auf dem in diesen Jahren vorgezeichneten Weg weiterzugehen, erteile ich allen Priestern und Seminaristen der Bruderschaft des hl. Karl, den Missionarinnen des hl. Karl und ihren Angehörigen und Freunden meinen Segen.
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