Brief von Johannes Paul II. an Don Giussani 2002
Anlässlich des 20. Jubiläums der päpstlichen Anerkennung der Fraternität von Comunione e LiberazioneAn Monsignore LUIGI GIUSSANI Gründer der Bewegung "Comunione e Liberazione"
1. Mit großer Anteilnahme bin ich der Fraternität von "Comunione e Liberazione" am 20. Jahrestag ihrer Anerkennung durch den Päpstlichen Rat für die Laien als Laienvereinigung päpstlichen Rechts in Freude verbunden. Schon 1954 hatten Sie, verehrter Monsignore Giussani, die Bewegung "Comunione e Liberazione" in Mailand gegründet, die sich dann in weiteren Teilen Italiens und später auch in anderen Ländern der Erde ausgebreitet hat. Die Fraternität stellt gleichsam die reife Frucht dieser Bewegung dar.
Ihr zwanzigjähriges Bestehen ist mir ein besonders willkommener Anlass, die bedeutsamen Schritte des Weges der Bewegung innerhalb der Kirche zurückzuverfolgen, um Gott für all das zu danken, was er durch die Initiative von Ihnen und von allen denjenigen, die sich Ihnen im Laufe der Jahre angeschlossen haben, bewirkt hat. Es ist trostreich, sich an die Geschehnisse zu erinnern, in denen sich das Wirken Gottes gezeigt hat, und gemeinsam die Größe seines Erbarmens zu bestaunen.
2. Wenn man das Leben und die Werke der Fraternität und der Bewegung in Gedanken zurückverfolgt, so ist der erste Aspekt, der einen berührt, die Bereitschaft, sich der Bedürfnisse des Menschen von heute anzunehmen. Der Mensch hört nie auf zu suchen: mag sein Leben von dramatischer Gewalttätigkeit, von Einsamkeit und Bedeutungslosigkeit gekennzeichnet sein oder von Heiterkeit und Freude - er bleibt stets auf der Suche. Die einzige Antwort, die ihn befriedigt und sein Suchen zur Ruhe kommen lässt, erfährt er in der Begegnung mit Dem, der am Ursprung seines Seins und Handelns steht.
Die Bewegung wollte und will daher nicht einen Weg, sondern den Weg weisen, der zur Lösung dieses existentiellen Dramas führt. Dieser Weg ist, wie Sie so oft bekräftigt haben, Christus. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, von dem die Person in der Alltäglichkeit ihrer Existenz erreicht wird. Normalerweise wird dieser Weg dank der Vermittlung durch andere Menschen entdeckt. Die Gläubigen, die durch das Geschenk des Glaubens von ihrer Begegnung mit dem Heiland gezeichnet sind, sind dazu berufen, ein Echo des Ereignisses Christi zu werden, gleichsam selbst "Ereignis" zu werden.
Das Christentum ist daher weniger ein System von Lehren oder eine Regel zur Erlangung des Heils, es ist vielmehr das "Ereignis" einer Begegnung. Hierin liegt die Intuition und Erfahrung, die Sie in diesen Jahren an so viele Personen weitergegeben haben, die am Leben der Bewegung teilgenommen haben. "Comunione e Liberazione" strebt weniger danach, irgendetwas Neues anzubieten, als vielmehr die Tradition und Geschichte der Kirche wiederentdecken zu lassen, um diese erneut in einer Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, die den Menschen von heute anspricht und herausfordert. In meiner Botschaft an die Teilnehmer des Weltkongresses der kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften vom 27. Mai 1998 habe ich geschrieben, dass die Originalität des Charismas einer jeden Bewegung "nicht beansprucht, und es auch nicht könnte, dem Reichtum des depositum fidei das von der Kirche mit leidenschaftlicher Treue gehütet wird, etwas hinzuzufügen"(Nr. 4). Eine derartige Originalität "stellt eine mächtige Stütze, einen eindrucksvollen und überzeugenden Aufruf dazu dar, die christliche Erfahrung mit Intelligenz und Kreativität voll und ganz zu leben. Dies ist die Voraussetzung, um angemessene Antworten auf die drängenden Herausforderungen der Zeit und der immer wieder neuen geschichtlichen Umstände zu finden" (ibidem).
3. Wir müssen zu Christus zurückkehren, dem Wort Gottes, das für das Heil der Menschen Fleisch geworden ist. Jesus von Nazareth, der die menschliche Erfahrung gelebt hat wie kein anderer es hätte tun können, stellt sich als Ziel eines jeden menschlichen Strebens dar. Nur in ihm kann der Mensch zur vollen Erkenntnis seiner selbst gelangen.
Der Glaube stellt somit ein wahres Abenteuer des Erkennens dar. Er ist weder ein abstrakter Diskurs noch ein vages religiöses Gefühl, sondern eine persönliche Begegnung mit Christus, der allein dem Leben neuen Sinn verleiht. Die erzieherische Aufgabe, die so viele Eltern und Erzieher in Euren Gemeinschaften und Aktivitäten zu erfüllen versuchen, besteht genau darin, die Kinder, Verwandten und Freunde zu begleiten, damit sie in der erfahrenen Zuneigung, in der Arbeit und in den unterschiedlichsten Berufungen die Stimme entdecken mögen, die einen jeden zur entscheidenden Begegnung mit dem Fleisch gewordenen Wort führen will. Nur im eingeborenen Sohn des Vaters kann der Mensch eine vollständige und endgültige Antwort auf seine innersten und grundlegendsten Erwartungen finden.
Dieser permanente Dialog mit Christus, genährt vom persönlichen und liturgischen Gebet, spornt zu einer aktiven Präsenz in der Gesellschaft an, wie die Geschichte der Bewegung und der Fraternität von "Comunione e Liberazione" bezeugt. Eure Geschichte ist in der Tat auch eine Geschichte kultureller, caritativer und erzieherischer Werke sowie, unter Berücksichtigung des Unterschieds zwischen den Zielen der bürgerlichen Gesellschaft und der Kirche, des Einsatzes im Bereich der Politik, der von seiner Natur her reich an gegensätzlichen Positionen ist, und der es einem daher manchmal besonders schwer macht, treu der Sache des Gemeinwohls zu dienen.
4. In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich innerhalb der Kirche viele weitere Bewegungen, Gemeinschaften und Vereinigungen gebildet und entwickelt. Die Kraft des Geistes Christi hört nie auf, die von der Vergangenheit fest gefügten Schemata und Formen zu überwinden und gleichsam zu sprengen, um zu ganz neuen Ausdrucksformen zu gelangen. Dies ist das Kennzeichen der lebendigen Mission der Kirche, in der sich das Antlitz Christi in den Zügen menschlicher Gesichter aller Zeiten und Orte der Geschichte abzeichnet. Wie sollte man nicht staunen angesichts dieser Wunder des Heiligen Geistes? Er vollbringt erstaunliche Zeichen und spornt die Gläubigen zu Beginn dieses neuen Jahrtausends dazu an, bei ihrer Mitarbeit am Reich Gottes nach immer neuen und ferneren Ufern Ausschau zu halten.
Aus Anlass des dreißigsten Jahrestages der Entstehung von "Comunione e Liberazione" sagte ich Euch schon vor Jahren: "Geht hinaus in alle Welt, um ihr die Wahrheit, die Schönheit und den Frieden zu bringen, denen man in Christus, dem Erlöser, begegnet" (Rom, 29. September 1984, Nr. 4). Am Beginn des dritten Jahrtausends der christlichen Zeit vertraue ich Euch von Neuem mit Kraft und Dankbarkeit diese Aufgabe an. Ich rufe Euch dazu auf, mit beständigem Bewusstsein an der Mission der Diözesen und Pfarreien mitzuarbeiten und deren missionarische Tätigkeit mutig bis an die äußersten Grenzen der Erde auszuweiten.
Möge der Herr Euch begleiten und Eure Anstrengungen fruchtbar werden lassen. Maria, die treue Jungfrau und der Stern der Neuevangelisierung, sei Eure Stütze und geleite Euch auf dem Weg einer immer wagemutigeren Treue zum Evangelium.
In diesem Sinne erteile ich Ihnen, Monsignore Giussani, Ihren Mitarbeitern, allen Mitgliedern der Fraternität und allen Angehörigen der Bewegung gerne meinen besonderen apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 11. Februar 2002,
dem Gedenktag Unserer Lieben Frau in Lourdes.
Joannes Paulus II.