Ansprache von Peter J. Schulz beim Requiem für Nikolaus Lobkowicz

Das Requiem fand am 26.9.2019, eine Woche nach seinem Tod, in der Ludwigskirche in München statt.
Peter Schulz, Universität Lugano, Schweiz

Acht Jahre lang habe ich Nikolaus Lobkowicz in Eichstätt aus nächster Nähe erlebt. Er war Präsident, ich sein persönlicher Assistent und Pressesprecher der Katholischen Universität.

Was waren das für Umstände, unter denen Nikolaus Lobkowicz 1984 nach Eichstätt kam, wo er schließlich zwölf Jahre blieb? Die Universität hatte soeben ihren vormaligen Präsidenten verloren, einen Professor für Altes Testament, der im Streit mit den kirchlichen Vorgesetzten der Katholischen Universität Eichstätt (KUE) über Fragen der konfessionellen Bindung von Professoren seinen Dienst vorzeitig quittiert hatte. Daraufhin war eine kleine Gruppe von Professoren nach München gereist, um Nikolaus Lobkowicz für das Amt zu gewinnen. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Rektor und Präsident der Ludwig-Maximilians-Universität sowie als überzeugter Katholik und international renommierter Marxismus-Experte schien er der ideale Nachfolger in Eichstätt zu sein.

Als er seine Tätigkeit als Präsident aufnahm, sah er sich zunächst mit schier unüberbrückbaren Differenzen zwischen der KUE auf der einen Seite und ihrem Träger, der kirchlichen Stiftung, auf der anderen Seite konfrontiert. Diese Spannungen konnten jederzeit und bei den geringsten Anlässen ebenso wie bei großen grundsätzlichen Fragen, wie etwa der Besetzung von Professorenstellen oder auch Fragen einer angemessenen Stiftungsverfassung, zum Vorschein treten.

Wie sollte ein Präsident unter diesen Umständen überhaupt wieder Vertrauen auf beiden Seiten gewinnen? Das war wohl die größte Herausforderung, vor der Nikolaus Lobkowicz seit Amtsbeginn stand. Vertrauen des Trägers der KUE unter dem damaligen Bischof zu gewinnen, verlangte ein erhebliches Maß an Überzeugungsarbeit. Nahezu täglich rang Lobkowicz darum. Erst nach einigen Jahren konnte man sehen, dass so manche Voreingenommenheit und Engstirnigkeit aufseiten des kirchlichen Trägers einem Vertrauen in die Person von Nikolaus Lobkowicz wich.

Das hatte wohl entscheidend damit zu tun, dass er vorbehaltlos im Glauben der katholischen Kirche verankert war und darin nicht den geringsten Widerspruch zu seiner Tätigkeit als Akademiker erblicken konnte. Ihm war die Auffassung völlig fremd, dass der Glaube einem Menschen abverlange, Abstriche zu machen – sei es in seiner akademischen Tätigkeit oder, allgemeiner gesagt, auf der Suche nach der Wahrheit. Vertrauen und Anerkennung hat er so auch bei manchem Kollegen an der KUE gewonnen. Von diesem großen Maß an Vertrauen, das er in kirchlichen Kreisen und unter Akademikern aufzubauen verstand, profitierten und profitieren seine Nachfolger im Amt des Präsidenten der KU wohl bis heute.

Für Lobkowicz war klar, dass eine katholische Universität zunächst eine gute akademische Einrichtung zu sein hatte. Und er erhoffte sich, dass Professoren wie Mitarbeiter sich in ihrem akademischen Tun Problemen und Fragen widmeten, die man sich woanders nicht stellte. Vor allem sollten sie – dies lag Nikolaus Lobkowicz besonders am Herzen – fähig sein, mit anderen Positionen in einen Dialog zu treten, in dem das Proprium des Katholischen als etwas Innovatives zum Vorschein kommen konnte. Satzungen oder Grundsatzdiskussionen über das Katholische einer Universität können dies nicht bewirken. Das war allen anvertraut, die an der KUE tätig waren. In zahllosen Gesprächen hat er das immer wieder in Erinnerung gerufen.

So ist der eigentliche Beitrag, den Nikolaus Lobkowicz während seiner Zeit als KUE-Präsident leistete, wohl weniger daran zu ermessen, dass er die Einrichtung der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Ingolstadt herbeigeführt hat, neue Studiengänge, eine neue Stiftungsverfassung und nicht zuletzt das Zentralinstitut für Mittel- und Osteuropastudien (ZIMOS) geschaffen hat. Gewiss, all das wäre ohne sein Wirken kaum zustande gekommen. Er war sich jedoch bei all diesen Entwicklungen wie kaum ein anderer bewusst, dass solche Einrichtungen ohne Personen, die sie mit Leben füllen und verantwortlich mitgestalten, vergeblich sind.

Mir wurde das insbesondere bei der Gründung des ZIMOS deutlich. Er hatte damit eine Plattform schaffen wollen, die es der katholischen Kirche ermöglichen sollte, sich den Herausforderungen in einst kommunistischen Ländern zu stellen. Es war viel Geld in dieses Institut geflossen, das er bei Förderern in der Wirtschaft aufzutreiben verstand. Was geblieben ist, sind Personen, häufig damals junge Akademiker aus Mittel- und Osteuropa, denen er – oft mit einer großen Anzahl von „Bettelbriefen“ – ein Stipendium verschaffte, um unter den guten Studienbedingungen der KUE arbeiten und forschen zu können, und die ihm das heute noch danken. So manch einer von ihnen ist heute an einer Universität tätig.

So spreche ich wohl im Namen einiger der hier Anwesenden, die das Glück hatten, mit Nikolaus Lobkowicz eine Zeitlang arbeiten zu können, gleich in welcher Funktion, wenn ich sage, dass wir dankbar sind für die Zeit, die wir mit ihm verbringen durften, eine Zeit, die auch uns geprägt hat.

Was Nikolaus Lobkowicz als Präsident wie als Akademiker auszeichnete, war seine Offenheit, die sich am besten mit dem Worte des hl. Paulus beschreiben lässt: „Prüft alles und behaltet das Gute“. Diese Freiheit und Unvoreingenommenheit gab ihm eine beeindruckende Unabhängigkeit. Mehrfach war er als Gastredner eingeladen beim Meeting für die Freundschaft unter den Völkern in Rimini. Hier fand er, was ihm selbst so sehr am Herzen lag: den Austausch mit Positionen Andersdenkender und Andersgläubiger, eine Öffnung für Fragen, die heute die Menschen bewegen. Für dieses Ringen um die Wahrheit legte er selbst Zeugnis ab mit seiner schier unbegrenzten Bereitschaft, das, was ihm zur Überzeugung geworden war und was er getan hatte, zu hinterfragen, anstatt sich dessen zu rühmen, was er erreicht hatte. Diese Demut, diese Bereitschaft, sich selbst, seine Annahmen und sein Tun zu hinterfragen, konnte einen häufig im Gespräch überraschen. Er konnte einem gelegentlich mit viel feiner Ironie begegnen, einer Ironie, wie man sie aus den sokratischen Dialogen kennt, die gegenüber dem anderen eine Distanz wahrt, um in dem so entstandenen Raum tatsächlich um die Wahrheit zu ringen. Und dies in der Gewissheit, dass es im Leben wirklich um etwas geht, nämlich um die Bestimmung des Menschen.