Der Vorrang der Begegnung - Der Beginn von Einheit und Frieden

Papst Benedikt XVI. in der Türkei
Luigi Geninazzi

«Zum Schluss möchte ich der ganzen Bevölkerung Istanbuls und der anderen türkischen Städte für die Herzlichkeit danken, mit der ich überall empfangen worden bin. Und dieser Dank will alles andere als eine Formsache sein. Denn ich weiß, dass Sie meinetwegen in diesen Tagen nicht wenige Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen mussten. Danke noch einmal von Herzen für das Verständnis und die Geduld, die Sie aufgebracht haben.»
Die Worte des Papstes am Ende seiner Türkeireise bezeugen die Menschlichkeit seines Glaubens. Sein Besuch hat allen Befürchtungen ein Ende bereitet und ist bedeutender gewesen, als viele gedacht haben. Damit hat er einen Weg in die Zukunft gebahnt.
Seine Begegnung mit den Muslimen war geprägt von der Positivität einer Öffnung, die nur auf der Gewissheit in Christus gründen kann.
In der Begegnung mit den Orthodoxen zeigte sich die Leidenschaft für die Einheit der Christen, die ein katholisches Herz kennzeichnet.
In der Begegnung mit der «kleinen Herde» der Katholiken gab sein väterlicher Blick neue Hoffnung.


Es war eine großzügige und mutige Reise. Schon jetzt verbinden wir sie mit dem Bild des Papstes, der, die Hände auf der Brust, ganz gesammelt in der Blauen Moschee steht und ein stilles Gebet spricht, wie die Bewegung seiner Lippen verrät. Der Papstbesuch in der Türkei hat allen negativen Stereotypen und aller böswilligen Kritik den Wind aus den Segeln genommen, die noch am Vorabend in der islamischen Welt kursierten und in Großbuchstaben in den Zeitungen zu lesen waren. Was wie eine risikoreiche Operation aussah – nicht nur in Sachen Sicherheit –, endete mit einem Erfolg, den man fast ungläubig wahrnahm. Die Schlagzeilen und Kommentare der türkischen Presse waren so begeistert, dass sie schon etwas Peinliches hatten: «Der Papst, unser Freund», «Der Papst, unser Verbündeter», «Der Papst betet wie ein Muslim». Mit jedem Tag seines Besuches wuchsen Sympathie und Bewunderung. Benedikt XVI. hat die Herzen der Türken in seiner einfachen und demütigen Art und mit einigen höchst symbolischen Gesten erobert. Lächelnd schwenkte er die Fahne mit dem Halbmond nach der Messe in Ephesus, er ließ drei Tauben in den Himmel Istanbuls aufsteigen und wandte sich gemeinsam mit dem Mufti nach Mekka zum Gebet. Und bevor er wieder abreiste, entschuldigte er sich dafür, dass sein Besuch aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen mit Unannehmlichkeiten für die Bevölkerung verbunden war. Das entsprach nicht unbedingt dem, was man sich vom Papst erwartet hatte. In den Wochen zuvor hatten die Medien das Bild eines «Führers der neuen Kreuzfahrergeneration der Ungläubigen» und eines «strengen Theologen» verbreitet, der «ein Feind des Islam» sei.

Die Macht der Gesten
Istanbul hat Regensburg wieder wettgemacht. Die Macht der Gesten hat Anschuldigungen und Missverständnisse weggefegt. In den Medien wurde das Bild eines ganz neuen Papstes gezeigt. Aber die Reden, die der Papst in der Türkei gehalten hat, stehen in voller Kontinuität zu dem, was er seit Beginn seines Pontifikates sagt und betont. Schon in seinen ersten Worten bei der Begegnung mit dem Präsidenten für religiöse Angelegenheiten Ali Bardakoglu vertrat Benedikt XVI. Vorstellungen, die er bereits bei anderen Gelegenheiten in Bezug auf die islamische Welt formuliert hatte. Er spricht vom Dialog «als absoluter Notwendigkeit» und erinnert daran, dass das Fundament des gegenseitigen Respekts zwischen Christen und Muslimen die «Aufmerksamkeit für diese Wahrheit ist: die Person ist heilig und besitzt eine Würde». Der Heilige Vater hat keinen neuen Kurs eingeschlagen. Es gab nur einen Unterschied: Dieses Mal zitierte er nicht Manuel II. Palaeologos mit seiner kritischen Position gegenüber dem Propheten Mohammed, sondern Papst Gregor VII. in seinem wohlwollendem Urteil über einen muslimischen Prinzen. Von daher kann man sagen, dass der Wortwechsel am Anfang des Gesprächs zwischen dem Papst und Bardakoglu sehr erhellend gewesen ist. «Wir müssen die Vorurteile gegenüber dem Islam aus dem Weg räumen», betonte die türkische Autorität in religiösen Fragen polemisch. Direkt darauf antwortete der Papst: «Wir müssen die Vernunft auf andere Weise gebrauchen.» Die gefährliche Liaison zwischen Islam und Gewalt ist also für Bardakoglu ein feindseliges Vorurteil, für den Papst dagegen ist es eine tragische Realität, der man entgegenwirken muss. Er wird später sagen, dass «die Christen und die Muslime einen gemeinsamen Auftrag haben, nämlich eine glaubhafte Antwort auf die Frage zu geben, die sich in der heutigen Gesellschaft mehr und mehr stellt: die Frage nach der Bedeutung und dem Sinn des Lebens». Auf diese Weise hat Benedikt XVI. eine Pädagogik vorgeschlagen, nicht eine neue Ideologie.

Eine Brücke zwischen Orient und Okzident
Die Türkeireise war von der Frage nach der Beziehung zum Islam beherrscht. Benedikt XVI. sieht das Land des Halbmonds als Brücke zwischen Orient und Abendland, zwischen Islam und Christentum. «Ich liebe die Türken», sagte er und zitierte damit Giovanni Roncalli (den späteren Johannes XXIII.), der in den Dreißiger Jahren päpstlicher Legat in Istanbul war, «ich schätze die natürlichen Qualitäten dieses Volkes, das bei der Entwicklung der Zivilisation eine bedeutende Rolle gespielt hat». Es ist ein Weg in Richtung Europa, der da eingeschlagen worden ist, der sich aber gerade in den Tagen der Türkeireise des Papstes als besonders steinig und schwierig erwiesen hat, da Brüssel beschloss, einige Kapitel aus dem Paket der Beitrittsverhandlungen auszusetzen. So ließ Premierminister Erdogan, der den bedeutenden Gast am Flugzeug willkommen hieß (nachdem er Wochen lang gesagt hatte, er könne ihn nicht treffen), die Gelegenheit nicht ungenutzt und erklärt nach seiner kurzen Unterredung mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche, dass «der Papst einen Beitritt der Türkei zur EU befürwortet». Und dabei ging es ihm darum zu sagen, dass Ratzinger als Kardinal die entgegengesetzte Haltung in dieser Frage eingenommen hatte. Eine derartige Auslegung der Worte des Papstes wird ein paar Tage später relativiert, als Benedikt XVI. und der Ökumenische Patriarch gemeinsam erklären, dass auf dem Weg in die Europäische Union auch die Religionsfreiheit und die Rechte von Minderheiten geachtet werden müssen, ohne dass dabei die christlichen Wurzeln des Kontinents zensiert werden dürfen. Insgesamt fünf Mal erwähnte der Heilige Vater während seiner Reise das fundamentale Recht auf Religionsfreiheit.

Die «kleine Herde» und die Einheit der Christen
In der Türkei sind die Christen eine Minderheit. Von den 125.000 Christen sind 30.000 Katholiken. Sie genießen Freiheit des Kultes, können ihren Glauben aber nicht in all seinen Dimensionen leben. Sie werden diskriminiert, eingeschüchtert und auch Opfer von Gewalt, wie der italienische Priester Don Andrea Santoro, der im Februar diesen Jahres in Trabzon getötet würde. An ihn erinnerte der Papst in dem wohl bewegendsten Moment seiner Reise, als er vor mehreren hundert Gläubigen in Ephesus an jenem Ort die Heilige Messe feierte, wo mitten in einem Waldgebiet ein kleines Haus aus Stein steht, in dem die Mutter Jesu der Tradition nach die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte. Die Frage der Religionsfreiheit ist nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch für das Ökumenische Patriarchat, das den «Primat» unter den orthodoxen Kirchen einnimmt, entscheidend. Die Zahl der Orthodoxen hat auf türkischem Boden in den letzten 80 Jahren immer weiter abgenommen, ist von 180.000 auf nur mehr 3.000 geschrumpft. Für den Papst war die brüderliche Begegnung mit Bartholomaios I. der Hauptgrund seiner Türkeireise. Sie sollte den Dialog zwischen den beiden Kirchen wiederbeleben. Dieser Weg begann vor 40 Jahren mit der Umarmung zwischen Paul VI. und Athenagoras. Dann setzte ihn Johannes Paul II. fort. In der Gemeinsamen Erklärung, die Benedikt XVI. und der Ökumenische Patriarch unterschrieben haben, setzen sich beide Seiten zum Ziel, sich für die volle Einheit zwischen Katholiken und Orthodoxen einzusetzen. Gleichzeitig werden in diesem Dokument aber auch die Gefahren betont, die der «Säkularismus, der Nihilismus und der Relativismus» darstellen. So hat es der Papst auch schon an anderer Stelle formuliert. Es scheint, als wolle er damit sagen, dass der gemeinsame Feind der Christen sich eher in einer bestimmten westlichen Mentalität als im Islam zeigt.

(Heilige Messe im Marienheiligtum von Meryem Ana Evi. Ephesus, 29. November)