Gott hat es nicht so gemacht

Predigt von Kard. Joseph Ratzinger vom Jahr 1978: „Gott teilt mit uns die Last des Lebens“

„Gott hat es nicht so gemacht, wie wir es uns träumen würden und wie es dann Karl Marx groß in die Welt hinausgeschrien hat, dass er nämlich das Leid wegzaubert und das System ändert, so dass man keinen Trost mehr braucht. Das hieße ja, uns das Menschsein abnehmen. Und wir wünschen uns das im Stillen. Ja, das Menschsein ist uns zu schwer. Aber wenn es uns abgenommen würde, dann würden wir eben aufhören, Menschen zu sein, und die Welt wäre unmenschlich. Gott hat es nicht so gemacht. Weiser hat er es getan, schwerer in mancher Hinsicht und gerade damit besser, göttlicher. Er hat uns das Menschsein nicht abgenommen, sondern er teilt es mit uns. Er ist in die Einsamkeit zerstörter Liebe als Mitleidender eingetreten, als Trost. Und das ist die göttliche Weise der Erlösung. Vielleicht können wir gerade von daher am besten begreifen, was Erlösung christlich heißt, nämlich nicht Verzauberung der Welt und nicht, dass uns das Menschsein abgenommen wird, aber dass wir getröstet werden, dass Gott die Last des Lebens mit uns teilt und dass nun für immer das Licht seines Mitleidens und Mitliebens unter uns steht.“

Joseph Ratzinger, Predigt am 10.12.1978 in der Pfarrkirche St. Martin in Unterwössen