„VON SYRIEN NACH RUSSLAND – EIN GEWINN FÜR MEIN LEBEN“
Brief aus Sankt PetersburgAls ich in Syrien lebte – noch vor den tragischen Ereignissen –, hatte ich eine gute Beziehung zu Jesus, dem ich durch meine Familie, meine Kinder und meine Frau begegnet bin. Im Familienleben und als Arzt konnte ich Seine liebende und friedenschenkende Gegenwart spüren. Ich habe viel gearbeitet, weil ich ein Werkzeug in den Händen des Herrn sein und Seine Barmherzigkeit an die Kranken weitergeben wollte. Aber der Terrorismus hat alles zerstört, er hat die liebevollen Beziehungen durch Gefühle der Trauer, Angst und des Verlustes ersetzt. Das Resultat ist Böses und Egoismus in allen menschlichen Beziehungen. Wir haben alles verloren, was uns den Dialog und das Zusammenleben ermöglicht hatte. Weil ich glaube, dass auf den Tod die Auferstehung folgt, habe ich zum Herrn gebetet, dass er mir Kraft und Geduld geben möge auszuharren und mir in meiner Ohnmacht einen Weg aufzeigen. Ich weiß, dass die Wege des Herrn nicht unsere sind, und habe Ihm gesagt: „Mir geschehe nach Deinem Wort. Das ist besser für mich und ich werde glücklicher.“ Ich begann, meine Rückkehr nach Italien zu planen, aber wegen der schwierigen Umstände in meinem Land hat sich das zerschlagen. Doch dann tat sich mir ein neuer Weg auf: Russland. Wenn dies Sein Wunsch wäre, so habe ich Gott gebeten, dann möge Er mir das Gute darin zeigen. Nach meiner Ankunft in Moskau lebte ich zunächst in Dunkel und Angst. Doch dann ließ der Herr mich Leuten von Comunione e Liberazione begegnen. Das erste Mal traf ich sie am 23. Februar 2012. Ich wusste nichts von ihnen, außer dass sie eine Gruppe von Freunden waren, die sich im Namen des Herrn trafen. Wegen meines schlechten Russisch konnten wir uns kaum verständigen. Aber ich bin trotzdem immer wieder zu den Treffen gegangen, denn ich fühlte mich bei ihnen geborgen und geliebt. Das gab mir Kraft und ich schloss mich ihnen an. Gleichzeitig war ich unsicher. In meinen Augen ist es eine Schwäche, etwas nicht zu können oder zu wissen. Und ich fragte mich, was wichtiger sei für den wahren Glauben: das Verstehen oder die Liebe? Mir ist die Liebe wichtiger. Deshalb bin ich weiter zu den Treffen gegangen, obwohl ich Probleme mit der Sprache hatte. So wie bei einem Arzt, der vielleicht nicht so viel medizinisches Wissen hat, aber seine Kranken liebt und alles für sie tut – im Gegensatz zu einem Mediziner, der viel weiß, aber seine Patienten nicht liebt und ihnen nicht so viel zukommen lässt. Auf diese Weise habe ich auf meinem Weg mit der Bewegung gemerkt, dass zum wahren Glauben sowohl die Erkenntnis als auch die Liebe gehören. Tatsächlich kann ja ein Arzt, der liebt, aber nicht viel weiß, den Patienten auch nicht heilen. Inzwischen lebe ich in einer anderen Stadt. Und andere Menschen aus der Bewegung begleiten mich. Bei unseren Begegnungen habe ich innegehalten und nachgedacht: über den, der ich war, und den, der ich geworden bin. Ich bin ein anderer geworden, wie Zachäus und die Samariterin. Ich habe Freude und Licht gefunden. Haben sich die Umstände gebessert und sind die Herausforderungen geringer geworden? Nein, vielleicht sind sie sogar härter als vorher. Was ist dann passiert? Die Bewegung hat mir ein neues, realistisches Verständnis des christlichen Lebens geschenkt, und ich habe gelernt, mich den Schwierigkeiten des Lebens zu stellen. Ich habe die Herausforderung angenommen, darin die außerordentliche Anteilnahme des Herrn zu sehen. Und ich nehme sie an, um darin Seine Gegenwart zu erkennen. Die Rolle der Bewegung in meinem Leben ist wie die therapeutische Strategie für einen Arzt. Diese Leitlinien helfen dem Arzt, dem Kranken und seiner Krankheit zu begegnen. Aber die wichtigsten Entscheidungen muss der Arzt selbst treffen. Der Glaube ist für mich die Methode, die Gott uns an die Hand gibt, um Seine Gegenwart zu entdecken und Ihn in unserem Leben zu erkennen. Diese Methode verändert unser Leben. Wenn wir ihr folgen, wird das, was hässlich war, schön (wie bei der Samariterin), was traurig war, froh (bei Zachäus). Und wahre Schönheit und Freude werden noch schöner und größer (wie bei Maria, der Mutter Gottes).