Die Faszination der Wehrlosen Liebe
Mitschrift der Versammlung mit den Verantwortlichen von Comunione e Liberazione in Italien Pacengo di Lazise (Verona), 15. Februar 2015„Glauben wir Christen noch, dass der Glaube, der uns geschenkt wurde, eine Anziehungskraft ausüben kann auf die Menschen, denen wir begegnen? Glauben wir an die Faszination seiner wehrlosen Schönheit?“ (J. Carrón, „Die Herausforderung eines echten Dialogs nach den Attentaten von Paris“, Corriere della Sera, 13. Februar 2015, S. 27) Wir dürfen das nicht für selbstverständlich halten. Tatsächlich zeigen wir jedes Mal, wenn wir uns angesichts dieser oder jener Situation fragen, was wir tun sollen, dass wir diese Frage noch nicht beantwortet haben. Nichts beweist es mehr als dieses „Was tun?“ Es gibt nur eins, was wir zu tun haben, nur eins: uns zu bekehren, uns wieder von dieser Faszination erobern zu lassen, die der einzige Grund ist, warum wir hier sind. Alles andere ist eine Folge daraus. Irgendwann hat uns die Faszination des Glaubens erobert, die Faszination seiner wehrlosen Liebe, die uns das Evangelium gestern in Erinnerung gerufen hat: „Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! [Wehrlos, ohne etwas anderes vor Augen zu haben und in jeder Faser unseres Seins zu tragen, als das, was uns erobert hat.] […] Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind [Das heißt, bringt die Neuheit, die jede Krankheit in diesem Haus heilt. Das ist keine Übertreibung. Wenn ein so Verwandelter ein Haus betritt, heilt er die Krankheiten.] […] und sagt den Leuten [nachdem ihr sie geheilt habt, denn nur dann können sie es verstehen]: Das Reich Gottes ist euch nahe.“ (Lk 10,3-9) Es geschieht etwas, und dann können die Menschen den Inhalt dieser Botschaft verstehen. Zuerst geschieht etwas, und dann versteht man es; eben weil es geschieht, versteht man es. Wenn das schon immer die Methode war, so ist sie jetzt noch wichtiger. Aber Don Giussani hat uns immer wieder gesagt: Es scheint, als würden wir irgendwann, ohne es zu merken, diese Faszination gegen etwas anderes tauschen.
1982, bei den ersten Exerzitien der Fraternität nach der päpstlichen Anerkennung, sagte Don Giussani: „Ihr seid groß geworden. Während ihr euch in eurem Beruf eine gewisse menschliche Fähigkeit erworben habt, besteht – möglicherweise – gleichsam eine Ferne von Christus (verglichen mit der Begeisterung vor vielen Jahren und besonders unter gewissen Umständen vor vielen Jahren). [Das Kribbeln des Anfangs ist nicht mehr da; es fehlt diese Faszination, die man mitteilen will; man spürt nicht mehr die Emotionen wie vor vielen Jahren.] Es besteht gleichsam eine Ferne von Christus, außer in gewissen Momenten. Das heißt, es besteht eine Ferne von Christus, außer wenn ihr betet [was oftmals etwas Zusätzliches ist]. Es besteht eine Ferne von Christus, außer wenn ihr euch daran macht, in Seinem Namen, im Namen der Kirche oder im Namen der Bewegung bestimmte Werke zu vollbringen [und damit kann man jene Distanz, wie Kardinal Ratzinger sagt, oft zudecken]. Es ist, als wäre Christus dem Herzen fern. Mit dem alten Dichter des italienischen Risorgimento könnte man sagen: ‚Mit jeder anderen Beschäftigung beschäftigt.‘ Unser Herz ist wie isoliert, oder besser, Christus bleibt dem Herzen gegenüber gleichsam isoliert, außer in den Momenten bestimmter Werke: in einem Moment des Gebets oder einem Moment der Anstrengung, wenn es ein allgemeines Treffen gibt, ein Seminar der Gemeinschaft stattfindet und so weiter. Diese Ferne Christi vom Herzen, außer in gewissen Momenten, in denen Seine Gegenwart zu wirken scheint, erzeugt noch eine andere Ferne, die in einer letzten Unbeholfenheit unter uns zum Ausdruck kommt – ich spreche auch von Ehemännern und -frauen –, in einer letzten gegenseitigen Unbeholfenheit. [...] Die Ferne Christi vom Herzen entfernt den Menschen auch vom letzten Aspekt des Herzens des anderen, außer in bestimmten gemeinsamen Handlungen (man muss den Haushalt führen, sich um die Kinder kümmern und so weiter).“ (L. Giussani, „Die Vertrautheit mit Christus“, in: Spuren-Litterae Communionis Nr. 2/2007, S. 2) Und dann machen wir uns Sorgen angesichts der Herausforderungen, denn „man muss doch etwas tun“, wie man so schön sagt. Aber das hilft nicht, gerade weil wir vor diesem Zusammenbruch der Evidenzen stehen, von dem wir seit Monaten reden, in diesem Schmelztiegel der so unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Weltanschauungen, den wir „Multikulti“ nennen. In diesem Kontext wird der Freiraum, den unser Europa darstellt, durch Leute bedroht, die ihre Sicht der Dinge mit Gewalt durchsetzen wollen, wie ihr heute Morgen wieder in den Schlagzeilen aller Tageszeitungen gesehen habt, zu dem, was in Kopenhagen passiert ist. Daher frage ich mich: Sehen all jene, die uns begegnen, etwas, das menschlich anziehend ist für sie und ihre Vernunft und Freiheit herausfordert? Bei vielen herrscht ein großes „Nichts“, eine tiefe Leere. Wir sehen heute deutlich, dass es keine Evidenz mehr gibt außer diesem Nichts, weil nichts die Menschen anzuziehen vermag und das Leben daher oft in Gewalt mündet. Vor diesem Nichts steht jeder von uns und die ganze Gesellschaft, und jede mögliche Antwort wird beweisen müssen, dass sie diese Leere vertreiben kann. Alles andere ist nur Ablenkung.
Die erste Schlacht spielt sich, wie Don Giussani sagt, in uns selbst ab. Wenn der Glaube für uns seine Faszination verliert, nachdem wir sie schon einmal verspürt hatten, wenn unser Herz fern ist von Christus, was können wir dann anderen anbieten? Meinen wir wirklich, wir könnten auf die beschriebene Situation antworten, indem wir irgendetwas tun, wenn diese Faszination nicht mehr in uns und durch uns aufleuchtet, wenn sich unser Herz von Christus entfernt hat? Mit dem ihm eigenen Scharfsinn hatte Don Giussani das schon früh erkannt, und auch heute sagt er uns: Wir sind vielleicht noch hier, beschäftigen uns mit vielen Dingen, aber die Faszination ist weg, das Herz hat sich von Ihm abgelöst.
Das ist das eigentliche Problem, Freunde. Deshalb ist die derzeitige geschichtliche Situation eine einzigartige Gelegenheit für uns: Können die Menschen, die uns begegnen, von der Wahrheit, die wir ihnen bringen, so fasziniert sein, dass ihre Vernunft und ihre Freiheit geweckt und herausgefordert werden? Diese Frage zeigt, dass wir uns immer tiefer bewusst machen müssen, worin die Beziehung zwischen Wahrheit, Vernunft und Freiheit besteht. Es reicht nicht mehr, diese Worte einfach zu wiederholen, wenn wir nicht begreifen, worin der Zusammenhang zwischen ihnen besteht und was wir unter Wahrheit, was wir unter Vernunft und was wir unter Freiheit verstehen. Auch andere behaupten von sich, sie würden die Wahrheit verteidigen, oder gehören einer Vereinigung an, die den Anspruch erhebt, die Wahrheit zu kennen. Aber sie begehen im Namen ihrer Wahrheit Handlungen, die absolut inakzeptabel sind. Wenn also der Zusammenhang zwischen Wahrheit, Vernunft und Freiheit nicht klar ist, gerät jede Art von Zugehörigkeit ins Zwielicht. Man kann dieselben Worte ganz unterschiedlich verstehen. Wenn der Zusammenhang nicht klar ist, können wir durch einfaches Wiederholen bestimmter Worte sicher keine Antwort auf die Leere geben. Daher müssen wir uns – wie gesagt –, die Beziehung zwischen der Wahrheit und der Freiheit bewusst machen. Die ganze christliche Geschichte hindurch haben wir lernen müssen, „dass es keinen anderen Zugang zur Wahrheit gibt als die Freiheit.“ (J. Carrón, „Die Herausforderung eines echten Dialogs ...“, a.a.O.) Es ist entscheidend, dass wir den Zusammenhang zwischen diesen beiden Dingen verstehen, sonst sind sie bloß Worte, die nebeneinander stehen. Wir müssen die Frage vertiefen, wie die Wahrheit die Freiheit anziehen und die Vernunft zu ihrer Vollendung führen kann. Die Wahrheit ist in der Tat keine Definition, und auch keine Doktrin, die allein aufgrund der Tatsache, dass ich sie behaupte, die Freiheit des anderen wachruft. Eine Definition, hat uns Don Giussani immer gesagt, die nicht schon in der Erfahrung verifiziert worden ist, bleibt ein aufgezwungenes Schema. Wenn eine richtige Definition nicht innerhalb der Erfahrung erkannt wird, empfinden die Menschen sie als ein aufgezwungenes Schema und verteidigen sich dagegen. Aber das Christentum ist keine Definition, keine „Wahrheitslehre“, wie Guardini sagt, und auch keine „Deutung des Lebens. Es ist auch das; aber darin besteht nicht sein Wesenskern. Den bildet Jesus von Nazareth, dessen konkretes Dasein, Werk und Schicksal – das heißt also eine geschichtliche Person.“ (R. Guardini, Das Wesen des Christentums. Die menschliche Wirklichkeit des Herrn. Mainz 1991, S. 14.) Die Wahrheit ist also eine Person. Denkt an Jesu Dialog mit Pilatus: Quid est veritas? Was ist Wahrheit? Vir qui adest, ein Mann, der hier gegenwärtig ist, eine Gegenwart. Deshalb erkennt man die Wahrheit, wie Papst Franziskus sagt, innerhalb einer Beziehung, in einer Begegnung.
Wenn das jemand gut verstehen kann, dann sind wir es. Das Video mit den Bildern und Worten von Don Giussani (das als Beilage zum Corriere della Sera erscheinen wird) belegt das erneut. Das mit Don Giussani ist eine Begegnung. Die Methode der Mitteilung des Christentums ist eine Begegnung. Er sagte dazu: „Was fehlt, ist nicht so sehr, dass man die Botschaft wörtlich oder kulturell wiederholt. Der Mensch von heute erwartet, vielleicht unbewusst, die Erfahrung der Begegnung mit Menschen zu machen, für die das Faktum Christi eine so gegenwärtige Wirklichkeit ist, dass sich ihr Leben verändert hat. [Man braucht sich eigentlich nur diesen Satz anzuschauen: „Das, was der Mensch heute mehr denn je, vielleicht unbewusst, erwartet, ist die Erfahrung der Begegnung mit Menschen zu machen, für die das Faktum Christi eine so gegenwärtige Wirklichkeit ist, dass sich ihr Leben verändert hat.“ Wenn das Leben sich nicht wirklich verändert hat, bewegt sich nichts, weder bei uns noch bei den Menschen, denen wir begegnen, selbst wenn wir die Verkündigung mündlich oder kulturell wiederholen.] Was den Menschen von heute aufrütteln kann, ist eine menschliche Begegnung: ein Ereignis, das Echo des anfänglichen Ereignisses ist, als Jesus aufsah und sagte: ‚Zachäus, steig’ sofort herunter, ich komme in dein Haus.‘ So muss das Geheimnis der Kirche, das uns seit 2000 Jahren überliefert wird, sich durch die Gnade immer wieder ereignen, muss sich immer als eine Gegenwart erweisen, die bewegt, das heißt als Bewegung, eine Bewegung, die aufgrund ihrer Natur die Art, wie man lebt, in der Umgebung, in der sie sich abspielt, menschlicher macht. [Die Menschen erkennen, dass sich das Christentum dort ereignet, weil es eine Gegenwart gibt, die die Umgebung menschlicher macht.] Für jene, die berufen sind, geschieht etwas Analoges zu dem, was das Wunder für die ersten Jünger war. Mit der Begegnung mit dem erlösenden Ereignis Christi geht immer die Erfahrung einer menschlichen Befreiung einher.“ (L’avvenimento cristiano, Bur, Mailand 2003, S. 23-24). Mit der Begegnung mit dem Christentum geht eine menschliche Befreiung einher, weil das eine Begegnung ist, die befreit, eine Begegnung mit der Wahrheit, die die Freiheit wachruft, sie anzieht und daher befreit. Andernfalls wäre es keine christliche Begegnung.
Kierkegaard sagt: „ Christentum ist das Mitteilen eines Lebens [...] Unsere Aufgabe besteht darin, Christ zu werden oder zu bleiben, und die gefährlichste Illusion ist es, wenn wir uns so sicher sind, es zu sein, dass wir uns daran machen möchten, die gesamte Christenheit [gegen ihre Gegner] zu verteidigen, anstatt in uns selbst den Glauben gegen diese Illusion zu verteidigen“ (vgl. S. Kierkegaard, Unwissenschaftliche Nachschrift)
Ein kultureller Diskurs reicht nicht, eine kulturelle Botschaft reicht nicht, sonst hätte Gott sich die Inkarnation Seines Sohnes sparen können. Er hätte uns die Botschaft per Post schicken können – was hätte Er sich erspart! Dadurch, dass Christus Mensch wurde und Fleisch angenommen hat, hat er die Methode gewählt, mit der Er die Wahrheit mitteilen wollte. Indem er sich jeder Macht entkleidete, die nicht der Abglanz des Wahren ist, hat er wehrlos die Faszination der Wahrheit bezeugt. Wenn wir unsere Zugehörigkeit nicht mit dem Zeugnis verbinden, werden wir unseren Mitmenschen kaum helfen können. Nur durch unser Zeugnis können andere unsere Zugehörigkeit als eine positive Herausforderung für ihre Vernunft und ihre Freiheit erkennen. Doch diese Faszination des Wahren, diesen Abglanz der Wahrheit produzieren wir nicht selbst. Nur „wer mir nachfolgt, wird das Hundertfache auf Erden gewinnen“, wie es uns gestern die Liturgie gesagt hat. Ob die anfängliche Faszination erhalten bleibt, hängt von einer echten Nachfolge ab. Und man erkennt an der Faszination, die unsere Präsenz bei anderen hervorruft, ob wir nachfolgen. Es sind in der Tat die anderen, die uns sagen, dass sie fasziniert davon sind, vielen von uns zu begegnen.
Darum scheint mir, dass der Artikel, der im Corriere della Sera erschienen ist,den Vorschlag zusammenfasst, den wir uns und allen machen: „Angesichts der Ereignisse in Paris ist jedes Sich-Berufen auf eine Idee, mag sie auch noch so richtig sein, nutzlos.“ Wenn es nämlich kein Zeugnis gibt, das die Freiheit herausfordert, werden die Menschen kaum aus der Leere auftauchen können, in der sie stecken. Das eigentliche Problem ist also, dass der Freiheitsraum Europa nicht ein leerer Raum bleibt, „der keinerlei Vorschlag für das Leben macht“, sondern ein Raum, in dem man die Faszination des Wahren bezeugen kann, die Faszination, die uns aus dem Nichts befreit, uns zuerst, da wir die ersten sind, die sich von Christus entfernen, selbst wenn wir in der Bewegung bleiben und viele Dinge tun, wie uns Don Giussani 1982 gesagt hat. Nur so kann Europa der Ort werden „für eine wirkliche Begegnung zwischen den verschiedenen Sinnhypothesen, wie viele und wie unterschiedlich sie auch sein mögen“, ein Freiheitsraum, „in dem jeder einzelne und jede Gruppe öffentlich sagen kann, was er oder sie denkt“. Daher möge jeder „allen seine Sicht der Welt und seine Lebensweise vorschlagen. Sich das gegenseitig mitzuteilen, wird zu Begegnungen führen, die auf der realen Erfahrung des einzelnen basieren, und nicht auf ideologischen Vorurteilen, die einen echten Dialog verhindern.“ (J. Carrón, „Die Herausforderung eines echten Dialogs ...“, a.a.O.)
Wenn das, was ich bisher gesagt habe, nicht klar ist, versteht man auch den Papst, seine Sorge und sein Zeugnis nicht. Man erkennt die Tragweite dessen nicht, was er gesagt hat: „Am Anfang des Dialogs steht […] die Begegnung. Aus dieser ergibt sich eine erste Kenntnis des anderen. Wenn man aber von der Voraussetzung der allgemeinen Zugehörigkeit zur menschlichen Natur ausgeht, kann man die Vorurteile und die Falschheit überwinden und man kann beginnen, den anderen in einer neuen Perspektive zu verstehen“ (Ansprache zum 50. Jahrestag der Eröffnung des päpstlichen Instituts für arabische und islamische Studien in Rom, 24. Januar 2015). Doch das scheint manchem zu wenig und dann sucht er eine schnellere Art, die Wahrheit durchzusetzen, wodurch er nur Verwirrung erzeugt, bei den einen wie bei den anderen.
Die geschichtliche Situation, in der wir uns befinden, ist eine einmalige Gelegenheit, um zu vertiefen – zuallererst für uns selbst –, was die Wahrheit ist, die uns fasziniert hat. Es reicht nicht, wenn wir wiederholen, dass die Wahrheit Fleisch geworden ist, wenn das nicht in unser Inneres dringt, in die Art, wie wir der Wirklichkeit gegenübertreten, wenn wir uns nicht bewusst werden, dass die einzige Weise, wie man die Wahrheit mitteilen kann, das Zeugnis ist. Und das ist genau, was der Papst sagt: „Nur so kann man die befreiende Verkündigung der Liebe Gottes und des Heils, das Christus uns schenkt, in all ihrer Kraft, Schönheit und Einfachheit anbieten. Nur auf diese Weise kann man den Menschen respektvoll entgegentreten.“ (Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung des Päpstlichen Rats für die Laien, 7. Februar 2015) Die entscheidende Frage, auf die wir antworten müssen, ist daher jene, die ich am Anfang gestellt habe: „Glauben wir Christen noch, dass der Glaube, der uns geschenkt wurde, eine Anziehungskraft ausüben kann auf die Menschen, denen wir begegnen? Glauben wir an die Faszination seiner wehrlosen Schönheit?“ In seiner Botschaft zur Fastenzeit erinnert uns Papst Franziskus: „Diese Sendung ist das geduldige Zeugnis für Ihn, der die ganze Wirklichkeit und jeden Menschen zum Vater führen will. Die Mission ist das, worüber die Liebe nicht schweigen darf. Die Kirche folgt Jesus Christus auf dem Weg, der sie zu jedem Menschen führt, bis an die Grenzen der Erde.“ (Botschaft zur österlichen Bußzeit 2015)
Der Glaube steht heute auf dem Spiel, vor allem heute. Aus diesem Grund gehen wir zum Papst – wir machen keinen Ausflug zum Papst! –, wir gehen hin, um den Glauben zu erflehen, der seinen sicheren Bezugspunkt in der Beziehung zu Petrus hat, gerade in einem Augenblick, in dem die Rolle des Papstes von einer Reihe von Christen infrage gestellt wird. Wie wir gesagt haben, ist eine Zugehörigkeit ohne Nachfolge etwas Konfuses. Daher sagt Giussani: „Wenn einer nicht an unserer Geschichte teilnimmt, um das Problem seines Lebens zu lösen, verursacht er auch Probleme innerhalb der Gemeinschaft [...], und das erste Symptom dafür ist, dass man der zentralen Leitung der Bewegung nicht folgt!“ (L. Giussani, Certi di alcune grandi cose. 1979-1981, Bur, Mailand 2007, S. 21-22) Und man folgt nicht der Kirche in ihrer zentralen Leitung. Wenn wir uns so verhielten, würden wir, wie ich in meinem Brief zur Papstaudienz geschrieben habe, zu einer der vielen Interpretationen des Christentums, in der Meinung, wir bräuchten nichts anderes, und würden ein auf unser Maß reduziertes Christentum verwalten.
Wir stehen alle vor einer Herausforderung, vor einem Vorschlag, den es zu verifizieren gilt. Wir gehen nach Rom als Bettler, die um den Glauben bitten. Wir haben dieses ganze Jahr, um Don Giussani, 10 Jahre nach seinem Tod, darum zu bitten, dass er sich weiterhin um uns kümmert, damit wir uns nicht von Christus abwenden. Wenn wir nicht immer wieder neu die Faszination entdecken, die uns antreibt, was werden wir dann bei den anderen wohl bewegen! „Das, was wir bei den anderen bewirken, ist ein Überfließen dessen, was wir bei uns selbst bewirken, und nichts anderes“, sagt Don Giussani (ebd., S.22).
Die Wallfahrt nach Rom wird eine Gelegenheit für alle, wenn jeder von uns in seinem Umfeld die Gründe für diesen Gestus mitteilt, also die Gründe, warum wir betteln, nämlich unsere wahren Bedürfnisse. Wir gehen zum Papst, weil es ohne die Verbindung mit ihm eine Erfahrung wie die der Bewegung nicht gäbe. Das letzte Fundament dieser Erfahrung ist, wie uns Don Giussani immer in Erinnerung gerufen hat, die Verbindung mit Petrus in seiner Zerbrechlichkeit. Ohne diese Verbindung könnte man von einer Erfahrung wie CL nicht einmal träumen! Helfen wir uns daher, bewusst präsent zu sein bei diesem großen Ereignis, indem wir die Reise nach Rom selbst als eine Wallfahrt leben.
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