TAUFE IM GEFÄNGNIS VON PADUA

Zhang stammt aus China, ist 29 Jahre alt und muss noch bis 2024 in Haft bleiben. Am Samstag, den 11.4. hat er im Gefängnis von Padua die Taufe, Firmung und Erstkommunion empfangen. Er wollte „auch diesen Christus kennenlernen, von dem sie immer sprechen.“
Eugenio Andreatta

„Ein Sohn so vieler Tränen kann nicht verloren gehen“, antwortete Ambrosius der heiligen Monika vor mehr als 1.600 Jahren, als sie zu ihm kam, um ihm ihr Herz auszuschütten wegen des Lebenswandels ihres Sohnes Augustinus. Wir alle wissen, welche Früchte diese Tränen getragen haben. Am Samstag, den 11. April 2015, trugen im Gefängnis Due Palazzi andere Tränen ihre Frucht. Jianquing Zhang empfing vom Bischof von Padua, Antonio Mattiazzo, Taufe, Firmung und erste heilige Kommunion. Zhang ist 29 Jahre alt und stammt aus China. Bis 2024 wird er in Haft bleiben müssen.

„In den letzten Jahren habe ich viel gelitten, so manche Nacht geweint, teilweise ohne Grund“, schrieb seine Mutter, eine praktizierende Buddhistin, in einem Brief an Nicola. Der ist einer der Verantwortlichen der Cooperativa Giotto, die sich seit den 80er-Jahren um die Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt von Padua kümmert. „Ich konnte nur weinen, wegen des Leids, das er über unsere Familie und vor allem über die des Opfers gebracht hat. Trotzdem habe ich immer geglaubt, dass er im Grunde ein gutes Herz hat.“ Und wie das gute Herz zum Vorschein kam, beschreibt sie auch: „Jedes Mal, wenn er mir davon erzählte, merkte ich, dass er euch sehr lieb hat. Ich habe noch nie gesehen, dass er einen Menschen so ins Herz geschlossen hat. Mir wurde also klar, dass ihr etwas Besonderes seid. Euch ist es gelungen, ihm bewusst zu machen, dass das Leben ein Geschenk ist.“

Was der Brief beschreibt, ist ein zarter Faden der Freundschaft, der vor sieben Jahren im Gefängnis von Belluno begann, mit Gildo, der dort als Freiwilliger die Häftlinge besuchte, darunter auch Zhang. Bald darauf wurde dieser nach Padua verlegt und begann in der Cooperativa Giotto zu arbeiten, mit großer Leidenschaft und Sorgfalt. Doch mit der Zeit merkte er, dass die Achtung seiner Vorgesetzten und Kollegen nicht nur von seinem Können abhing. „Was haben die davon, dass sie so nett zu mir sind?“, fragte er sich und versuchte, dem auf den Grund zu gehen. Er verbrachte viel Zeit mit diesen neuen Freunden – Häftlingen und „freien“ Mitarbeitern der Kooperative – und ging auch zum Seminar der Gemeinschaft. So entstand allmählich eine andere Frage: „Wie kann ich diesen Christus kennenlernen, von dem sie immer sprechen?“ Und mit der Zeit entwickelte sich bei Zhang der Wunsch, selber Christ zu werden, wenn er auch fürchtete, seine Familie damit erneut zu enttäuschen. Neben den Freunden von der Kooperative begleiteten ihn auch Marco, ein Diakon, der Gefängniskaplan, Don Marco, und viele Freiwillige auf diesem Weg. Schließlich trifft Zhang die Entscheidung, sich taufen zu lassen. Dazu muss er sich zwei Jahre lang vorbereiten und Katechismusunterricht nehmen.

„Jetzt fühlen wir uns wieder als Väter, Ehemänner, Söhne. Wir hoffen, unseren Kindern ein gutes Vorbild zu sein, und machen Pläne für die Zukunft mit ihnen. Hier haben wir durch diese Arbeit unsere Würde wieder entdeckt.“

Mittlerweile darf er als Freigänger das Gefängnis stundenweise verlassen. Doch als Ort und Zeit für seine Taufe festgelegt werden sollen, besteht für ihn kein Zweifel: Er will sich dort taufen lassen, wo sein Glaube begonnen hat, in der Haftanstalt. Es ist eine schwierige Zeit: Die Häftlinge aus dem Hochsicherheitstrakt, darunter auch Freunde von ihm aus der Giotto-Werkstatt, sollen verlegt werden. Damit würden sie ihre Arbeit verlieren. Doch tags darauf kommt die gute Nachricht: Die Anweisung wird einstweilen ausgesetzt. Jeder Fall soll einzeln geprüft werden.

Als Bischof Mattiazzo diese „Gefängnispfarrei“ zum ersten Mal besucht, ist er beeindruckt von der Stimmung die dort herrscht. „Man kann hier in Frieden leben, zuversichtlich und hoffnungsvoll. Ich bin euch nahe“, sagt er den Häftlingen, „ihr seid im Herzen unserer Kirche.“

Dann kommt der große Tag. Zhang wird auf den Namen Agostino getauft, gefirmt und macht sich bereit, den langerwarteten „Freund“ zu empfangen. „Wir wurden getauft“, berichtet sein heiliger Namenspatron in den Confessiones, „und von Stund an wich auch die Unruhe wegen des vergangenen Lebens von uns.“ Das sieht man auch in Zhangs strahlenden Augen, und in der heterogenen Gemeinde, die in der Werkhalle versammelt ist, in der die Zeremonie gefeiert wird. „Egli è il tuo bon Jesù“, singt der Chor, nachdem Zhang zum ersten Mal die heilige Kommunion empfangen hat: „Er ist dein guter Jesus und wird dir seine Liebe schenken.“ „Wie weinte ich bei den Hymnen und Gesängen auf Dich, mächtig bewegt vom Wohllaut dieser Lieder Deiner Kirche!“, schreibt der Heilige aus Hippo. Und auch in der Werkhalle in der Via Due Palazzi, die üblicherweise zur Herstellung von Panettone verwendet wird, tritt eine ungewöhnliche Stille ein. Alle Anwesenden sind bewegt und gerührt.

Nach der Feier scharen sich die jungen Männer aus dem Hochsicherheitstrakt um den Bischof. „An diesem speziellen Ort hat man uns eine Methode gelehrt, um neu geboren zu werden“, berichten sie ihm. „Jetzt fühlen wir uns wieder als Väter, Ehemänner, Söhne. Wir hoffen, unseren Kindern ein gutes Vorbild zu sein, und machen Pläne für die Zukunft mit ihnen. Hier haben wir durch diese Arbeit unsere Würde wieder entdeckt.“ In der Halle nebenan packen einige befreundete Häftlinge Zhang und werfen ihn in die Luft. Es gibt Beifall, einen Empfang mit Gebäck, Süßigkeiten und Eis aus gefängniseigener Produktion und dann eine Feier mit Liedern und Sketchen. Alle lachen über die Fotos von Zhang als Bruce Lee und schauen aufmerksam das Video vom 7. März an, als Papst Franziskus auf dem Petersplatz die Häftlinge umarmte. Große Rührung auch bei den Grußbotschaften. Ein Richter schreibt an Zhang: „Ich bin sicher, dass Sie diesen Tag nie bereuen werden.“ Patrizia Impresa, die Präfektin von Padua, spricht über die Bedeutung der Taufe als Wiedergeburt des Menschen. Schwester Matilde schreibt aus dem Vatikan: „Der gute Vater hat dir Menschen zur Seite gestellt, die echte Werkzeuge Seiner Güte sind.“ Und ihre chinesische Mitschwester Maria Stella macht es kurz und knapp: „Gott hat dich erwählt. Gott liebt dich sehr.“

Marino, der seit drei Jahren im offenen Vollzug ist, liest den Brief von Zhangs Mutter vor: „Ich bin froh, dass er nun als reifer Mensch und mit vollem Bewusstsein lebt, auch wenn er die Religion gewechselt hat. Aber ich habe verstanden in meinem Leben, dass man manchmal nicht zu viel verlangen sollte; man muss sich auch zufriedengeben können.“ Marino kann sich einen Kommentar nicht verkneifen. „Sie werden sehen“, sagt er, „es geht nicht um ein Sich-Zufriedengeben.“ Sondern darum, dass man sich ganz unvorhergesehen von einer grenzenlosen Liebe geliebt fühlt, „wie Matthäus beim Geldzählen“. Das schreibt Don Julián Carrón in seiner Grußbotschaft, in der er Zhang dafür dankt, dass er einfach ja gesagt hat: „Ja, Herr, Du weißt, dass ich Dich liebe.“ Mit einem solchen Ja im Herzen und vor Augen braucht man nichts mehr zu fürchten.

Der Brief von Zhangs Mutter
Lieber Nicola,

ich bin Zhangs Mutter. Obwohl wir nie die Gelegenheit hatten, uns persönlich kennenzulernen, habe ich deinen Namen schon viele Male von meinem Sohn gehört. Er hat oft mit mir über eure Gruppe und eure Aktivitäten gesprochen. Und jedes Mal, wenn er mir davon erzählte, merkte ich, dass er euch sehr lieb hat. Ich habe noch nie gesehen, dass er einen Menschen so ins Herz geschlossen hat. Mir wurde also klar, dass ihr etwas Besonderes seid. Ihr habt ihm beibringen können, was Verantwortung und vor allem was Arbeit bedeutet. Es ist euch gelungen, ihm klar zu machen, dass das Leben ein Geschenk ist und dass man es ehrlich und würdevoll leben soll. Dafür möchte ich euch meinen tiefen Dank aussprechen. Ich kann bestätigen, dass ihr mir einen neuen, reiferen, gütigeren Sohn geschenkt habt.

 Wir kommen aus einer einfachen, ganz normalen Familie. Sein Vater und ich haben immer ehrlich gearbeitet, sowohl in China als auch in Italien. Wir waren eine glückliche Familie, das glaubte ich zumindest. Ich habe zwei Kinder: Zhang und seine Schwester. Ich praktiziere meinen Glauben, glaube fest an Buddha. Zhang war als kleiner Junge immer unser Liebling und wir haben ihn auf Händen getragen; wir haben ihm nie etwas abgeschlagen, um das er bat. Ich dachte, dass sei die beste Art, seinen Sohn zu lieben, aber ich hatte Unrecht ... Das ist mir erst bewusst geworden, als er dieses schwere Verbrechen begangen hat. Es war sehr schwer zu akzeptieren, was er getan hat. Ich hatte deswegen auch Probleme mit seinem Vater, weil er die ganze Schuld mir gegeben hat. In diesen Jahren habe ich viel gelitten, so manche Nacht geweint, teilweise ohne Grund. Aber inzwischen ist mir bewusst, weswegen ich weinte. Ich konnte nur weinen, wegen des Leids, das er über unsere Familie und vor allem über die des Opfers gebracht hat. Trotzdem habe ich immer geglaubt, dass er im Grunde ein gutes Herz hat. Früher oder später würde er verstehen, was er getan hatte. Deswegen habe ich mich in all den Jahren nie von ihm abgewendet.

Ich bin froh, dass er nun als reifer Mensch und mit vollem Bewusstsein lebt, auch wenn er die Religion gewechselt hat. Aber ich habe verstanden in meinem Leben, dass man manchmal nicht zu viel verlangen sollte; man muss sich auch zufriedengeben können. Wenn ich an ihm diese Veränderung wahrnehme, freue ich mich und bin zufrieden; das Übrige hat keine Bedeutung mehr. Ich bin wirklich froh, dass er den Weg gefunden hat, dem er folgen will, und ich bin sicher, dass ihm dieser Weg immer mehr Gelassenheit und Glück bringen wird. Für mich ist heute das Wichtigste sein Gewissen. Wenn jemand ein gutes Gewissen hat, kann er im Leben guten Willens handeln. Das reicht mir.

Deswegen wollten wir an diesem Ritus teilnehmen, um ihm deutlich zu machen, dass wir ihn lieben. Wir wollten ihm nicht das Gefühl geben, allein zu sein. Wenn wir ihn vorher nicht verlassen haben, dann erst recht nicht nun, da wir den Sohn gefunden haben, den wir uns erhofften.

Er hat mir gesagt, dass er hier seinen Frieden gefunden hat, weil er so viele Freunde und Brüder hat, die ihn gern haben und wissen, wie sie ihm helfen können zu wachsen. Daher bin ich sehr dankbar und möchte deswegen auch diese Gelegenheit nutzen, um euch zu danken, weil ihr ihm in den letzten Jahren beigestanden habt.

Ich möchte mit einem Wunsch schließen, sowohl für meinen Sohn als auch für euch alle, die ihr hier anwesend seid. Ich wünsche euch einen lebendigen Glauben, der euer Herz erwärmen und es immer in die richtige Richtung führen kann.