Pater Romano Scalfi starb 93jährig am 25. Dezember 2016.

„ALLES WIRD HELL“

Pater Romano Scalfi, der Gründer von "Russia Cristiana" ist am 25. Dezember 2016 gestorben
Luca Fiore

Seine Leidenschaft für die orthodoxe Welt hat viel bewegt. Mit 93 Jahren ist Padre ROMANO SCALFI, der Begründer von Russia Cristiana, jetzt gestorben. Den Seinen hinterließ er den Auftrag: „Liebt Russland, trotz allem“. Ein Interview mit seinem Nachfolger, Francesco Braschi.
Er liebte das Gold der Ikonen und den Weihrauch der byzantinischen Liturgie. Er vereinte Spiritualität und Tatkraft. Er schmuggelte Bibeln und Freundschaft durch den Eisernen Vorhang. Wie kaum ein anderer verbreitete er das Denken der sowjetischen Dissidenten, den Samisdat, im Westen. Er machte Bekanntschaft mit dem KGB und war mit dem Märtyrer Alexander Men befreundet. Er war sanftmütig und geduldig, konnte aber auch öffentlich für etwas streiten. Etwa als er sich gegen den Vorwurf verteidigen musste, vom CIA bezahlt zu werden. Oft blieb er unverstanden – auch von der katholischen Welt. Und nur wenige wissen, dass er die letzten zehn Jahre größtenteils als Beichtvater der einfachen Leute in seiner Wahlheimat Seriate bei Bergamo verbracht hat. Wie ein richtiger Starez.

Eine Aufnahme aus dem Russicum von 1954, in dem Pater Scalfi studiert hatte.

Romano Scalfi wurde 1923 in Tione (Trento) geboren und starb am Weihnachtstag des Jahres 2016. Begleitet haben ihn auch im Sterben viele von denen, mit denen er über lange Jahre in der Vereinigung Russia Cristiana zusammengearbeitet hat, die er 1957 gegründet hatte. Vor einigen Jahren bereits hatte er Don Francesco Braschi, den Direktor der Slawistik-Abteilung der Biblioteca Ambrosiana, zu seinem Nachfolger bestimmt. Ihn haben wir nach seinen Erinnerungen an Padre Scalfi gefragt, der in seinem geistlichen Testament schreibt: „Ich bitte die Freunde von Russia Cristiana, Russland trotz allem zu lieben.“

Pater Francesco Braschi

Wieso „trotz allem“?
Russland ist ein Paradox: Es fasziniert und es ist schwer zu ertragen. Eine Kleinigkeit reicht und das, was offen zu sein schien, verschließt sich wieder. Dann findet wieder unerwartet eine Begegnung statt, in großer Offenheit füreinander. Wir sollten wirklich von der orthodoxen Tradition lernen. Aber wenn Russen sich von diesen Wurzeln lossagen, entsteht eine existenzielle Leere, die viel „endgültiger“ ist als bei uns. Weil sie sie weniger gut verstecken können.

Wie meinen Sie das?
Im Westen hat man versucht, die grundlegenden Werte, auf denen die christliche Kultur fußt, von ihrer Verwurzelung im Glauben zu lösen. In Russland verlief die Entwicklung anders. Sie ging von anderen Voraussetzungen aus und hatte weniger Zeit. Deswegen entstehen in jener Region aus der Christusvergessenheit unmittelbar Gewalt und Barbarei. Russland ist wie ein Bild mit sehr kräftigen und klaren Farben. In einem gewissen Sinn lässt es einen die Farben und Konturen der Realität genauer erkennen. Doch erst wenn man es aus dem Blickwinkel Christi betrachtet, erhellt es sich. Ohne diesen Blick werden Ideologie und Gewalt dagegen umso mächtiger. „Russland trotz allem zu lieben“ bedeutet also, bereit zu sein, dieser Dramatik ins Auge zu schauen. Und gleichzeitig anzuerkennen, dass wir dort – wenn Christus anerkannt wird – Beispiele des Glaubens und der Fähigkeit, die Wirklichkeit zu beurteilen, finden, wie sie anderswo undenkbar sind.

In Ihrer Ansprache am Schluss der Begräbnismesse sagten Sie, Russia Cristiana und CL seien eng miteinander verwandte Charismen. Was meinten Sie damit?
Padre Romano erzählte einmal, dass er in den ersten Jahren seiner Tätigkeit von Don Giussani eine Korrektur erfahren habe, die für ihn einen fundamentalen Umbruch bedeutete. Giussani sagte, Ökumene mache man nicht nur und nicht zuerst mit Konferenzen, sondern durch Erfahrung, durch eine Gemeinschaft, in der erfahrbar wird, was Einheit ist. Scalfi sagte, daraus sei Russia Cristiana entstanden. Deswegen meine ich, das Charisma von CL ist eng mit uns verbunden. Es ist kein Zufall, dass diese Korrektur gerade von Don Giussani kam, der seit seiner Zeit als Seminarist eine große Leidenschaft für die östliche Kirche und Theologie hegte.

ater Scalfi 1984 mit Don Giussani. Anfang der 70er-Jahre gehörte Scalfi auch formell zu CL.

Man kann sagen, dass sein Werk – auch innerhalb der Bewegung von CL – darin bestand, das Bewusstsein für Russland und den christlichen Osten zu wecken und mit Inhalten und Leidenschaft zu füllen. Das hat sich dann in vielfältiger Weise entfaltet. Das liebste Werk von Padre Scalfi war die „Bibliothek des Geistes“ in Moskau, die auch Giussani sehr am Herzen lag. Sie war ein Ort der Begegnung, wahrer Freundschaft, des Austausches und der Vermittlung christlicher Erfahrung. Ich wage zu behaupten, Padre Scalfi und Russia Cristiana hatten großen Einfluss auf die Weise, wie CL in Russland präsent wurde. Sie haben es Don Giussani überhaupt erst ermöglicht, nach Russland zu reisen. Auch wenn nicht die gesamte Aktivität der Bewegung in den Ländern des Ostens mit dem Werk von Padre Scalfi zusammenhängt, so verdankt doch das, was heute in Russland, Weißrussland und der Ukraine unter Orthodoxen geschieht, die sich dem Charisma von CL zugehörig fühlen, sehr viel den Beziehungen, die Russia Cristiana in all den Jahren aufgebaut hat. Diese Arbeit trug auf geheimnisvolle Weise auch durch andere viele Früchte. Auch da sieht man, dass der Traum, den Padre Scalfi und Don Giussani hatten, weitergeht.

Wie sah Padre Romano den Zusammenhang zwischen kultureller Arbeit und kirchlicher Erfahrung?
Padre Scalfi brachte bis in die letzten Monate seines Lebens immer das Beispiel des Samisdat, als eines kulturelles Phänomens, das ein ganzheitliches Bild vom Menschen vermittelt, auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Also Respekt vor der Wahrheit, vor der Person, man ist nicht „gegen“ jemanden, sondern für ein Ich, das sich selbst bejaht und zugleich darum bemüht, auch die anderen zu bejahen. Padre Scalfi baute die christliche Gemeinschaft auf durch sein Priestertum. Daraus, aus seiner Beziehung zu Christus erwuchs die Einheit seiner Person und auch die Einheit mit jenen, die ihm nahestanden. Alle unsere Aktivitäten, von den Kongressen bis zu den Ikonografie-Kursen, sind darauf ausgerichtet, eine Begegnung und die Erfahrung von Kirche zu ermöglichen. Was alle, die nach Seriate kommen, beeindruckt (auch Russen und Nicht-Glaubende), ist die ernsthafte kulturelle Arbeit verbunden mit dem Leben echter Brüderlichkeit. Das macht den Unterschied zu anderen Erfahrungen ähnlicher Art aus. Nur das Bestehen einer christlichen Gemeinschaft garantiert, dass die Arbeit mit Russland nicht zum Selbstzweck wird.

„Es gibt nichts Erfüllenderes als das Glück, sich geliebt zu wissen von Christus und Ihm begegnen zu können in jedem Antlitz, in allen Umständen.“ (Aus dem geistlichen Testament von Padre Scalfi)

Man hat Padre Romano oft mit einem Starez verglichen. Wieso?
Dafür gibt es viele Beispiele. Mich hat beeindruckt, was mir einmal eine Mutter erzählte. Als sie krank war, kleine Kinder hatte und einen Mann, der nach ihrer Schilderung wenig verständnisvoll war, ging sie zu Padre Scalfi und beklagte sich. Er schaute sie sanftmütig an und sagte: „Vielleicht ist dies der Moment anzufangen, wahrhaft zu lieben, bedingungslos und ohne etwas dafür zu erwarten.“ Diese Worte haben, nach anfänglichem Widerstand, das Leben dieser Frau verändert und es ihr ermöglicht, die Beziehung zu ihrem Mann wieder aufzunehmen. Es war kein Zufall, dass Romano Scalfi, dem als Diözesanpriester eigentlich die Anrede „Don“ gebührte, von allen „Padre“ („Vater“) genannt wurde.

Streckenweise mutet das Leben von Padre Romano wie ein Agentenroman an. Dennoch war der Auftrag von Russia Cristiana nicht mit dem Kalten Krieg zu Ende.
Es war eine Veränderung in Kontinuität. Padre Romano sagte immer wieder, die Ökumene sei das ehrliche Angebot einer Freundschaft in Christus. Und das bleibt weiter bestehen.

Was brauchen diese Freunde heute?
Sie müssen sehen, wer wir sind. Die Ikonografie-Kurse, die Reisen, die Aufenthalte russischer Schüler in Seriate und – dank der Familien von Russia Cristiana – auch in Mailand, an der „Ambrosiana“, dass Künstler, Kulturschaffende, Geistliche und Studenten aus Russland zum Meeting nach Rimini kommen können … All das sind Versuche, die Begegnung mit anderen als etwas vorzuschlagen, wodurch das Ich wachsen kann.

Wie hat Padre Scalfi auf das Treffen zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill in Kuba reagiert?
Fragend, staunend und dankbar. Als das Treffen angekündigt wurde, hatte er zunächst Fragen im Bezug auf die Beweggründe. Dann war er aber schnell bereit anzuerkennen, dass es sich hier um ein Faktum handelte und dass es ein Zeichen war für eine Initiative, die viel größer ist als alles diplomatische Gehabe. Und als dann einige – Katholiken wie Orthodoxe – die Bedeutung des Treffens herunterspielten oder ganz negierten, wiederholte er immer wieder: „Aber es hat stattgefunden.“

1970 in Nowgorod, Russland.

Russia Cristiana entstand zunächst, um der verfolgten Kirche hinter dem Eisernen Vorhang zu helfen. Was lehrt uns diese Erfahrung im Bezug auf das, was gerade im Nahen Osten geschieht?
Wir sind nach Russland gegangen, um den Menschen zu begegnen, mit ihnen zu teilen und von ihnen zu lernen. Und um möglicherweise auch mit ihnen zu kooperieren. Aber sicher nicht, um ihnen unser Modell oder unsere Vision aufzudrängen. Als wir dorthin gingen, haben wir das große Zeugnis der Märtyrer und Verfolgten dort anerkannt. Wir haben uns von ihm in Frage stellen lassen und es auch im Westen immer wieder bekanntgemacht. Denn wir waren sicher, dass es eine Bereicherung ist, die auch wir nötig hatten (und haben). Vielleicht ist das der Schlüssel eines wahrhaft christlichen Zugangs zu dem, was heute geschieht.

Bei Padre Scalfi gibt es auch den Aspekt der völligen Hingabe. Er hat für Russland sein Leben hingegeben.
Er sagte selber, diese völlige Hingabe käme daher, dass seine priesterliche Berufung mit dem Ruf nach Russland verbunden gewesen sei. Es war sein Weg zur Heiligkeit.

Wie hat er seine letzten Stunden verbracht?
In seinen letzten Wochen war Padre Scalfi ganz eins geworden mit seiner Erwartung Christi. Er sehnte sich nach dieser Begegnung. Er starb am Weihnachtstag. Beim Begräbnis verglich Francesco Beschi, der Bischof von Bergamo, ihn mit Simeon: Der Gerechte, der den Messias erwartet und erst vom Leben Abschied nimmt, nachdem er das Jesuskind in seinen Armen gehalten hat.

Was wird jetzt aus Russia Cristiana?
Wir werden versuchen, dem Aufruf von Padre Romano zu entsprechen und Russland „trotz allem“ zu lieben, und zwar so, wie die jeweiligen Umstände es uns vorgeben werden.