Die schwarze Madonna in Tschenstochau

Wallfahrt nach Tschenstochau - Grußwort von Julián Carrón

Die Wallfahrt ist dazu da, dass man lernt, gehorsam zu sein, und dass man entdeckt, was das Leben in Seiner Gegenwart ist.
Julián Carrón

Liebe Freunde,


es ist schön, dass ihr die Tage der Wallfahrt zur Verfügung habt, um das Gedächtnis Christi als Weggefährten zu erneuern. Und wenn euch irgendwann die Müdigkeit übermannt, wie es in allen Wechselfällen des Lebens geschieht, lasst euch nicht entmutigen, sondern betrachtet sie als eine Gelegenheit zur Rückeroberung eures Herzens, um das Bewusstsein eurer wahren Bedürfnisse zu vertiefen: „dass wir Gott brauchen“ (Papst Franziskus, Brief an Julián Carrón, 30. November 2016). So werdet ihr die Dankbarkeit in euch auflodern sehen, weil Er euch nicht verlässt. Nur deshalb pilgert ihr zur Muttergottes, statt eine Woche am Meer zu verbringen. Worin liegt der Unterschied zwischen den anderen Jugendlichen und euch? Darin, dass ihr tüchtiger wärt als sie? Nein. Nur der Weg, den ihr in diesen Jahren eurer Schulzeit oder während des Studiums gegangen seid, unterscheidet euch von ihnen. Jene, die denken, sie könnten es alleine schaffen mit ihren Zukunftsplänen, haben weder zu danken noch zu bitten. Nicht so ihr. Schon der Wunsch, an diesem Gestus teilzunehmen, zeigt, wie der Weg, den ihr gegangen seid, euch deutlich gemacht hat, dass „der Mensch nicht nur von Brot lebt“ und sich nicht damit zufrieden gibt, eine Arbeit oder eine Freundin zu haben, weil er etwas Anderes braucht, damit das Leben „Leben“ wird.


Wie viel habt ihr erlebt in diesen Jahren! Daher wird es ein Fest sein, nach Tschenstochau zu gehen um zu danken. Wie viele Erinnerungen. [In jenen Tagen sprach Moses zum Volk:] „Du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr, dein Gott, dich während dieser vierzig Jahre in der Wüste geführt hat“ (Dtn 8,2). Das scheint wie für euch geschrieben: Das erste Wort für den Weg ist eine Einladung, alle im Gedächtnis zu halten. Es geht nicht darum, sich etwas auszudenken, sondern sich zu erinnern. An was? An all das, was einem passiert ist. Warum? So wird man noch dankbarer sein können. In der Tat, wer ist dankbarer? Der, der nicht so schnell vergisst, was er alles erhalten hat. Wem nicht bewusst ist, dass er ein Geschenk erhalten hat, der hat auch nicht den Wunsch zu danken. In Spanien gibt es ein Sprichwort: „Lo olvidado, ni agradecido ni pagado“. Für etwas, das man vergisst, bedankt man sich nicht und man gibt es auch nicht zurück. Wenn ich einem Freund etwas leihe und er vergisst es, dann dankt er mir nicht für das, was ich ihm gegeben habe, und er gibt es mir auch nicht zurück. Da Christus keine Rückgabe von uns erwartet, können wir Ihm noch viel mehr danken, aber nur wenn wir uns daran erinnern.


Wie viele Schwierigkeiten musstet ihr in diesen Jahren durchstehen! So war es auch für das Volk Israel, das in der Wüste Demütigungen und Prüfungen erlebte. Warum ließ der Herr das zu? „Um zu erkennen, wie du dich entscheidest.“ „Ich habe dich mit dem Manna gespeist“, sagt Gott, „ich habe dich unterstützt auf deinem Weg, ich habe dich nicht in der Wüste alleine gelassen wie einen Hund, in all den Wechselfällen dieser langen Wallfahrt.“ Auch ihr könnt euch daran erinnern, wie Christus euch auf eurem Weg begleitet hat und euch gespeist hat, euch unterstützt, „wie ihr es nicht kanntet und auch eure Väter nicht“ (vgl. Dtn 8,2-4). Was war das Ziel dieses Weges, auf dem Christus euch begleitet hat, durch alle Wechselfälle des Lebens hindurch? Dass ihr versteht! Und was? „Dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des Herrn spricht“ (Dtn 8,3). Und woher wisst ihr, dass ihr wirklich einen Weg zurückgelegt habt? Wenn in euch das Bewusstsein dessen, wonach ihr euch wirklich sehnt, gewachsen ist. Oft geben wir uns mit den Krümeln zufrieden, weil wir nicht eingesehen haben, was wir wirklich brauchen, um zu leben.


Das Geheimnis hat euch durch einen Weg auf die Zukunft vorbereitet, damit ihr den Mist, den ihr gemacht habt, nicht noch einmal macht. Und damit ihr die Antwort nicht dort sucht, wo ihr sie nicht finden könnt. Wenn ihr daher nicht im Gedächtnis lebt und nicht aus dem lernt, was euch geschehen ist, nämlich dass Gott euch „durch die große und furchterregende Wüste geführt hat“ (Dtn 8,15) – was manchmal unsere Tage sein können –, dann könnt ihr die Bedeutung der Begegnung mit Christus nicht verstehen und die Verheißung, die in Seinen Worten liegt: „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch.“ Und weiter: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben“, das heißt, er wird beginnen, etwas zu erfahren, was auch in der Zukunft anhält, ein Leben, das bleibt. In der Tat, „wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben.“ Jesus lädt euch ein, einen Weg zu gehen, damit die Beziehung, die Er mit dem Vater lebt, auch die eure wird. „Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe“ (Joh 6,53-57). Aus eurer Erfahrung heraus werdet auch ihr lernen, wie Söhne und Töchter zu leben, denn nur der, „der mich isst, [wird] durch mich leben“ (Joh 6,57), sagt Christus. Was sonst brauchen wir, um die Zukunft anzugehen, außer dieser Verheißung? Alles wird für euch sein, wenn es in der Begleitung durch Christus gelebt wird. Sonst wäre es wirklich zermürbend zu leben, auch wenn jemand Arbeit „findet“, die richtige Frau oder den richtigen Mann, und wenn ihm die Zukunft zu Füßen zu liegen scheint.


Jetzt seid ihr dran. Ich habe euch eine Fährte gelegt für den Weg, den niemand an eurer Stelle gehen kann. Die Wallfahrt ist dazu da, dass man lernt, gehorsam zu sein, und dass man entdeckt, was das Leben in Seiner Gegenwart ist.


Den Blick fest auf die Muttergottes gerichtet zu halten, wird euch helfen, das Wesentliche zu erkennen. Versetzt euch in ihren Weg hinein, durch den sie immer mehr verstanden hat, was die Natur ihres eigenen Ichs war. Die Gottesmutter ist das Sinnbild für die neue Schöpfung, der wir uns immer mehr annähern wollen, als Haltung und als Erfahrung des Lebens. Denn sie hat verstanden, wer ihr Herz erfüllt, wer ihr Sohn war und welche Bedeutung ihr Sohn in ihrem Leben hatte. Was für ein Bewusstsein muss sie von der Tatsache gehabt haben, dass sich alles in der Beziehung zu ihrem Sohn abspielte! Deshalb ist die Muttergottes die Gestalt, die wir im Blick haben können, während wir gehen, nicht nur als Ziel, das es zu erreichen gilt, sondern als eine Gegenwart entlang des Weges. Wir können sie fragen: „Wie hast du es gemacht? Wie hast du es geschafft, als du gesehen hast, wie sie deinen Sohn behandelten? Wie hast du es geschafft, als du bestimmte Situationen bewältigen musstest, in denen sich dein Sohn befand?“


Stellt euch vor, den Weg so zu leben, wie sie es getan hat! Sie ist nicht nur eine Gegenwart, die man etwas fragen kann, sondern vor allem eine Gegenwart, in die man sich hineinversetzen kann, um die Begleitung durch Christus zu erfahren, während man den Weg nachgeht. So wie sie Ihn im Schoß trug und am Morgen nicht aufwachen konnte, ohne das neue Sein zu bemerken, das sie selbst wurde. Und als dann Jesus geboren wird, kamen die Hirten und alle erstarren vor dem, was geschehen ist. Und als das Kind verloren ging und sie es im Tempel wiederfanden, verstand sie es nicht, weil Sein Leben ein so großes Geheimnis war. Und als dann die Probleme begannen ... und bis zum Schluss. Der Muttergottes ist nichts erspart geblieben. Dennoch hat niemand sonst in dieser Vertrautheit mit Christus gelebt. Don Giussani sagt: Wenn das nicht auch bei uns so ist, dass „erkennen wir – im biblischen Sinne des Wortes – Christus nicht“ (Una strana compagnia, Bur, Mailand 2017, S. 89). Nicht, dass wir nichts wissen von Christus als Formel, als Definition, als Daten über Sein Leben. Wir erkennen ihn nicht im biblischen Sinn: wie jemand die geliebte Person erkennt.


Gemeinsam mit der Muttergottes kann auch in uns die Vertrautheit mit Christus und unter uns wachsen, die die anderen um euch herum anstecken wird. Lernt, was es bedeutet – wie der Papst sagt –, eine Kirche zu sein, die „herausgeht“, etwas völlig anderes, als sich in dem Grüppchen der üblichen Freunde zu verschließen. Die Wallfahrt ist dazu da, dass ihr versucht, alles mit den anderen Jugendlichen zu teilen, die ihr treffen werdet. Und das wird euch offen machen für wunderbare Beziehungen.


Das ist das Schöne und der erzieherische Aspekt der Wallfahrt: Wenn jemand sieht, dass Christus in der Gegenwart siegt, dann kann er auch die Zukunft angehen. Wer lieber ans Meer fährt, der wird es später lernen; es bleibt ihm nicht erspart. Diese Dinge lernt man entweder früher oder später, aber man muss sie auf jeden Fall lernen.


Denkt an mich bei der Muttergottes.



Julián Carrón