Nachhilfe bei den "Suore della Carità e dell`Assunzione" ©Aldo Gianfrate

Unter demselben Himmel

AVSI Weihnachtsaktion - Unter dem Motto „Wagen wir Solidarität über Grenzen hinweg“ unterstützt AVSI mit seinen Weihnachtsaktionen in diesem Jahr vier Projekte in Syrien, Brasilien, Kenia und Italien.
Paola Ronconi

Ganz unterschiedliche Welten, Nöte unterschiedlichster Art. Aber der Wunsch, ein menschenwürdiges Leben zu führen, ist überall gleich. Unter dem Motto „Wagen wir Solidarität über Grenzen hinweg“ unterstützt AVSI mit seinen Weihnachtsaktionen in diesem Jahr vier Projekte in Syrien, Brasilien, Kenia und Italien.
Mounira war auf dem Weg zur Schule. Ihr Bruder Abdallah hatte ein schlechtes Gefühl, als er sie hinausgehen sah. Aber in Aleppo kann man nicht immer zu Hause bleiben, wenn man ein schlechtes Gefühl hat. Sonst könnte man hier nicht leben. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Ein Raketeneinschlag. „Als ich zu der Explosionsstelle kam, lag meine Schwester verletzt auf dem Boden.“ Die Rakete war acht Meter von ihr entfernt eingeschlagen. „Sie hat Glück gehabt“, sagt Abdallah. Sie wurde „nur“ an einem Arm verletzt. Aber wenn sie nicht schnell operiert worden wäre, wer weiß, ob sich die Infektion nicht ausgebreitet hätte. In dem noch immer vom Krieg gezeichneten Syrien ist medizinische Behandlung teuer. Nur wenige können sie sich leisten. Doch das Saint Louis Hospital in Aleppo nahm Mounira auf und behandelte sie kostenlos.

Das Gleiche gilt für Sidra. Zwar nicht durch die Gewalt des Krieges, aber durch einen Tumor drohte sie zu erblinden. Auch sie wurde im Saint Louis Hospital operiert. Obwohl ihr Vater nicht einmal mehr eine syrische Lira hatte – nachdem er seinen Job, sein Haus und zwei Kinder verloren hatte. Also wurde Sidra kostenlos behandelt. Wie Mounira.

Maria hatte nicht mehr das Geld, um ihre Kinder zu ernähren. Im heutigen Venezuela ist das nicht etwa die Situation einer besonders benachteiligten sozialen Gruppe, sondern die dramatische Realität der Mehrheit. Auch Menschen, die bisher keine größeren Probleme hatten, geraten durch die Krise in Not. Maria sah sich gezwungen, im Müll nach etwas (mehr oder weniger) Essbarem zu suchen. Deshalb beschloss sie, mit ihren Kinder und ein paar Habseligkeiten über die Grenze nach Brasilien zu gehen. Zu Fuß. Und von dort weiter ins Landesinnere. In Boa Vista, 200 Kilometer von der Grenze entfernt, fanden sie und ihre Kinder schließlich Aufnahme in einem Notlager der UN.

Tina stammt Südamerika und lebt jetzt in Mailand. Sie hat zwei Kinder. Als das jüngere, Giorgia, 16 Monate alt war, wurde bei ihr ein bösartiger Tumor festgestellt. Wie sollte sie das schaffen, immer wieder ins Krankenhaus, zu den Untersuchungen und Therapien, und sich gleichzeitig um die Kinder kümmern? Gottseidank kannte sie die Suore di Carità dell’Assunzione. Eine von ihnen, Laura, half Tina mit dem älteren Kind. „Das war ein großer Trost für mich.“ Während der zweiten Chemotherapie bekam die kleine Giorgia einen Erstickungsanfall. Sie musste reanimiert werden. „Ich hatte das Gefühl, das Leben verschwinde aus meinem Kind und aus mir.“ Es ist sehr schwer, wenn man solche Momente alleine durchstehen muss. Jetzt geht es Giorgia wieder besser. Aber Laura ist weiterhin sehr wichtig für die Familie. Sie ist wie eine zweite Mutter.

Kann man durch eine Milchkuh ins Leben zurückkehren? Ja, unbedingt. Denn man fasst wieder Fuß und entdeckt seine Würde wieder. Und man sieht eine Zukunft vor sich. Man kann sich mit anderen Kleinbauern zusammentun und sein eigener „Unternehmer“ werden. Das hat Priscilla erlebt, in Kenia. Heute hat sie drei Kühe und fünf Hühner und kann dadurch ihre Familie ernähren.

Das sind Geschichten aus ganz unterschiedlichen Regionen der Welt, aus dem Nahen Osten, Südamerika, Italien, Afrika. Und ganz unterschiedliche Situationen. Aber sie berichten alle von Menschen, die unter schwierigen Bedingungen leben und denen jemand geholfen hat. Nun können sie wieder neu anfangen. Und sie haben Hoffnung für die Zukunft. Auch wenn man weiß, dass die zumindest kurzfristig nicht besonders rosig aussieht. Sie können in Würde leben. Dafür setzt sich die Fondazione AVSI ein und das will sie mit ihren „Weihnachtsständen“ unterstützen. Jedes Jahr gibt es in der Vorweihnachtszeit unterschiedliche Aktionen, bei denen Spenden für bestimmte Projekte gesammelt werden.

Das erste Projekt, für das in diesem Jahr in Italien gesammelt wird, sind die „Open Hospitals“ in Syrien. Damit soll armen Menschen in diesem vom Krieg gebeutelten Land freier Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglicht werden. Drei Krankenhäuser nehmen an dem Programm teil: das Italian Hospital und das French Hospital in Damaskus und das Saint Louis Hospital in Aleppo. Bis heute haben schon mehr als 13.000 Patienten eine kostenlose medizinische Behandlung erhalten. AVSI hofft, das in den nächsten zwei Jahren 45.000 Menschen ermöglichen zu können.

Eingang des italienischen Krankenhauses in Damaskus ©Aldo Gianfrate

Das zweite Projekt ist im nördlichsten Teil von Brasilien, wo jeden Tag Hunderte von Venezolanern wie Maria ankommen, die vor der extremen Armut in ihrem Land fliehen. In Boa Vista verwaltet AVSI zusammen mit dem UNHCR drei Erstaufnahmelager. Das Projekt „Bem-vindo“ („Willkommen“) soll venezolanischen Familien helfen, sich in verschiedenen brasilianischen Städten ein neues Leben aufzubauen. Es unterstützt sie zum Beispiel dabei, Arbeit zu finden, die Sprache zu lernen, oder im Bereich Ausbildung und Gesundheitsfürsorge.

„La casa allargata“ („Das erweiterte Haus“) heißt das Projekt der Suore di Carità dell’Assunzione. Die „Schwestern der Nächstenliebe“ haben ihre Häuser in sozial benachteiligten Vierteln von Mailand, Triest, Rom, Neapel, Turin und Madrid. Sie betreuen alte und kranke Menschen zu Hause, bieten Nachhilfe und Tagesheime für Jugendliche mit Problemen, helfen Familien in Notlagen und kümmern sich um Bedürftige in ihrer Nachbarschaft. AVSI unterstützt die Arbeit der Schwestern finanziell.

Arbeit ist der Königsweg aus der Armut. Das Projekt „Work to stay“ in Kenia und Burundi fördert deshalb Alphabetisierungskurse, Aus- und Weiterbildung, Berufsschulen und ähnliches. Damit soll besonders armen Familien die Möglichkeit geben werden, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern und eventuell auch selbständig tätig zu werden. Wie Priscilla es gemacht hat.

Auch die deutsche Schwesterorganisation von AVSI, Support International e.V., führt unter dem Motto „Gesichter einer Hoffnung“ solche Weihnachtsaktionen durch. Sie sammelt zum Beispiel für den Wiederaufbau eines Kindergartens in Quarakosh, Irak, für Kurse in libanesischen Flüchtlingslagern, die Frauen grundlegende Kenntnisse der Landwirtschaft vermitteln sollen, für Aidswaisen in Uganda oder ein Projekt für Obdachlose in Griechenland.

Die Menschen in all diesen unterschiedlichen Welten haben etwas gemeinsam: Sie leben „unter demselben Himmel“, wie der Titel der AVSI-Kampagne sagt. Sie alle wünschen sich eine Zukunft für sich selbst und ihre Lieben. Alle wollen ein menschenwürdiges Leben führen. Alle wollen glücklich sein und, bewusst oder unbewusst, auf eine erfüllende Bestimmung zugehen. Wie wir. Und gerade weil wir alle in einer Welt leben, die ihre Grenzen abschottet und Millionen von Armen, Hunderttausende Opfer von Krieg und Hunger produziert, werden Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden immer dringender. Daher ruft AVSI auch dieses Jahr auf: „Wagen wir Solidarität über Grenzen hinweg“.