Elias und Johannes Gagini, Anbetung der Könige (1457). © Genovastudio

Die Weihnachtsüberraschung besiegt die Angst

"Die kühne Initiative, die Gott mit Maria ergriffen hat, erreicht auch uns an diesem Weihnachtsfest und verkündet auch uns etwas radikal Neues". Der Artikel des Präsidenten der Fraternität von CL im Corriere della Sera vom 23. Dezember.
Julián Carrón

Sehr geehrter Herr Chefredakteur,
die existenzielle Unsicherheit, mit der es der heutige Mensch so oft zu tun hat, lässt ihn in Angst versinken. Wie viele Situationen kann er aus eigener Kraft nicht kontrollieren! Das gab es bereits zur Zeit des Propheten Jesaja: Angesichts eines bevorstehenden Krieges versuchte das Haus Juda, ein Bündnis mit einer fremden Macht zu schließen, den Assyrern. Wenn man Angst hat, ist man immer versucht, sich auf die Mächtigen, die Starken zu verlassen, um sich von der Unsicherheit zu befreien. Aber die Rechnung geht nicht auf und die Angst verschwindet nicht. An diesem Punkt ergreift Gott die Initiative und wendet sich durch den Propheten Jesaja an Ahas, den König von Juda. Er macht ihm klar, dass das nicht der einzige Weg ist, dass es einen sichereren Weg gibt: sich der einzigen „Macht“ anzuvertrauen, die in der Lage ist, die Angst an der Wurzel zu packen und sie zu besiegen (vgl. Jes 7,10-14). Der Weg, den wir für unrealistisch halten, wird der realste. Das hat das Volk Israel in seiner Geschichte immer wieder festgestellt.
Gott verkündet nicht nur, dass Ihm das Schicksal des Menschen am Herzen liegt. Er greift selber in die Geschichte ein. Er tut dies, indem Er Initiativen ergreift, die sogar scheinbar unabänderliche Situationen völlig verändern. Wie im Fall einer jungen Frau, Maria, der Braut eines Mannes aus dem Hause David namens Josef (vgl. Lk 1,26-38). Man denkt vielleicht, Gott mische sich da überflüssigerweise ein und bringe die Pläne von zwei Verlobten zum Scheitern. Aber in Wirklichkeit geschieht das, was jeder Mensch erwartet, bewusst oder unbewusst. Auch Maria. „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir!“ Wer möchte nicht so zärtlich betrachtet werden? Es ist, als hätte Gott ihr durch die Verkündigung des Engels gesagt: „Nur eine Gegenwart kann die Antwort sein auf die ganze Angst der Welt und die ganze Unsicherheit des Menschen. Ich lasse dich als erste diese Gegenwart spüren. Ich lasse sie in dir geschehen. Ich lasse sie in dir aufleuchten, damit sie zu jedem Menschen gelangen kann! Du sollst einen Sohn empfangen und zur Welt bringen und du sollst ihm den Namen Jesus geben.“
Mit dieser absolut einzigartigen Initiative versichert Gott ihr und allen Menschen, dass sie nicht mehr allein sind und keine Angst mehr zu haben brauchen. Sie können sich immer auf diese Gegenwart verlassen, egal, in welcher Situation sie sich befinden. Angesichts jedweder Herausforderung brauchen sie keine Angst mehr zu haben. Denn sie können sie mit Ihm zusammen angehen. Sie haben Gnade gefunden bei Gott.
Aber man muss diese Initiative annehmen. Die Antwort ist keineswegs selbstverständlich. Auch nicht die von Maria. Als sie diese Worte hörte, hätte sie auch mit Angst reagieren können, oder so überrumpelt sein, dass sie fliehen wollte. Hier kommen die Vernunft und die Freiheit dieser jungen Frau ins Spiel. Maria stellt sich zur Verfügung, indem sie diese unerwartete und unvorhersehbare Verkündigung annimmt: „Mir geschehe nach deinem Wort.“
Der dramatischste Moment steht aber noch bevor: Wenn der Engel sie wieder verlässt. Warum entfernt sich Gott von ihr? Das Geheimnis will sich nicht aufdrängen. Es zieht sich zurück, um Raum für die Freiheit zu lassen. Warum erspart er Maria das nicht, fragen wir vielleicht bestürzt? Weil sie diese Verkündigung nicht passiv erleiden kann und sie ihr erst recht nicht von außen aufgezwungen werden darf. Nur in Freiheit kann sie sie sich zu eigen machen. Und wie machte sie sich diese Botschaft zu eigen? Maria „bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen.“ So hat die Muttergottes uns die Methode gezeigt, wie wir allen Umständen des Lebens begegnen können. So entsteht ein neues Ich. Ein Ich mit einem neuen Selbstbewusstsein, das nicht mehr von Angst niedergedrückt wird. Denn alles wird von dieser Gegenwart beherrscht. Das ist etwas, was Maria in ihrer Freiheit tun kann. Wie jeder von uns, die uns heute – durch konkrete Begegnungen – diese Botschaft vom „Gott mit uns“ erreicht.
Das Eingreifen des Geheimnisses in unser Leben besiegt die Angst nicht magisch. Aber es erfüllt unser Leben mit Seiner Gegenwart und fordert unsere Vernunft und unsere Freiheit heraus, sie anzuerkennen. Nur diejenigen, die sie anerkennen und ihr vertrauen, werden erleben, dass diese Angst durch Seine Gegenwart besiegt wird. „Selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“ (Lk 1,45)
Gott erspart uns nicht den Weg der Verifizierung, so wie Er ihn Maria nicht erspart hat. Der Sieg über die existenzielle Unsicherheit und über die Angst erfolgt nach einem Plan, der nicht in unseren Händen liegt, sondern der sich ereignet. Die kühne Initiative, die Gott bei Maria ergriffen hat, erreicht auch uns an diesem Weihnachtsfest und verkündet auch uns etwas radikal Neues: „Das Christentum ist eine Gegenwart in deinem Leben, eine Gegenwart, die eine unvorstellbare Veränderung erlaubt. Unvorstellbar!“ (Don Giussani) Die Geschichte hat es uns bezeugt: Es gibt kein Hindernis für Seine Initiative, weder Skepsis, noch Unfähigkeit, Krankheit oder widrige Umstände.
Wenn wir Seine Gegenwart annehmen, die uns heute durch ein menschliches Zeichen erreicht, dann verändert sich etwas in uns. Wir sind nicht mehr allein, auch wenn Unvorhergesehenes geschieht in unserem Leben. Wie Papst Franziskus kürzlich sagte: „Weihnachten bringt unerwartete Veränderungen ins Leben. Der Allerhöchste ist ein kleines Kind. Wer hätte das gedacht? Weihnachten ist das Fest eines ‚unerhörten‘ Gottes, der unsere Logik und unsere Erwartungen auf den Kopf stellt, eine Überraschung, nichts, was wir schon kennen.“ (Generalaudienz, 19. Dezember 2018)
Wird Er auch heute ein Herz finden, das bereit ist, Ihn aufzunehmen?

Präsident der Fraternität
von Comunione e Liberazione