Elliott Erwitt. USA, Wyoming state. 1954. © Magnum/Contrasto

„Wer ist das?“

Eröffnungstag für Erwachsene und Studierende von Comunione e Liberazione. Mediolanum Forum, Assago (Mailand), 28. September 2019
Julián Carrón

In einem kürzlich erschienenen Interview antwortete der Philosoph und Psychoanalytiker Umberto Galimberti auf die Frage nach der häufigsten Angststörung: „die, die durch den Nihilismus verursacht wird. Den jungen Menschen geht es nicht gut, aber sie wissen nicht einmal, warum. Ihnen fehlt ein Ziel im Leben. Die Zukunft ist für sie keine Verheißung mehr, sondern eine Bedrohung.“ Und er fügte hinzu: „1979, als ich meine Tätigkeit als Psychoanalytiker aufnahm, drehten sich die Probleme um Emotionen, Gefühle und Sexualität. Jetzt geht es um die Sinnlosigkeit.“ (U. Galimberti, „A 18 anni via da casa: ci vuole un servizio civile di 12 mesi“, Corriere della Sera, 15. September 2019)

Mir scheint, dass diese Aussagen die Herausforderung gut beschreiben, vor der jeder von uns heute steht. Wir sehen es täglich, auf persönlicher wie gesellschaftlicher Ebene, in den letzten Tagen beispielsweise bei der Diskussion über Sterbehilfe. Das, worum es hier geht, ist so brisant, dass man seine Bedeutung kaum überschätzen kann. Es bestätigt sich nur immer wieder, wie entscheidend das ist.

Auf diese Herausforderung kann man nicht mit Grundsatzvorträgen reagieren, oder mit moralistischen oder sentimentalen Appellen. Das wäre nur Zeitverschwendung. Hier geht es an die Wurzel der eigenen Lebenserfahrung. Professor Galimberti selbst ist sich dessen bewusst. Auf die Frage, was denn der Sinn des Lebens sei, antwortete er: „Man muss ihn in der Ethik des Sich-Bescheidens suchen, in dem, was die Griechen als das rechte Maß bezeichneten.“ Jeder mag überlegen, ob diese Antwort die „Sinnleere“ füllen und dem Nihilismus widerstehen kann, den er selber beklagt hat.

Ich weiß nicht, ob diese Antwort einen Autor wie Houellebecq zufriedenstellen würde, der in einem offenen Brief an Bernard-Henri Lévy schreibt: „Ich finde es schmerzhaft zuzugeben, dass ich immer öfter den Wunsch verspürt habe, geliebt zu werden. Nach kurzem Überlegen überzeugte ich mich natürlich jedes Mal von der Absurdität eines solchen Traums: Das Leben ist begrenzt und Vergebung unmöglich. Aber diese Überlegungen konnten nichts dagegen ausrichten: Der Wunsch blieb bestehen. Und ich muss gestehen, dass er immer noch besteht.“ (F. Sinisi, „Michel Houellebecq. ‚La vita è rara‘, Tracce, Nr. 6/2019, S. 65) Auch Houellebecq nimmt wie Galimberti die Begrenztheit des Lebens wahr. Aber das löscht in ihm den Wunsch, geliebt zu werden, nicht aus, obwohl es ihm absurd erscheint, wenn er darüber nachdenkt.
„Wie wichtig ist es, sich durch die Fragen der Männer und Frauen von heute herausgefordert zu fühlen!“, sagte Papst Franziskus kürzlich bei einer Tagung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung (21. September 2019). Abgesehen davon, dass es oft auch unsere eigenen Fragen sind, zwingen sie uns, uns mit dem kulturellen Kontext, in dem wir leben, auseinanderzusetzen. Um auf diese Herausforderung zu antworten, hat Don Giussani uns einen Weg vorgeschlagen: die Erfahrung. (...)