Meeting in Rimini 2020 - Video-Ausstellung zum religiösen Sinn

Was bedeutet der Titel des Meetings „Des Staunens beraubt bleiben wir dem Erhabenen gegenüber taub“?
Martin Groos

Das Erhabene ist jene letzte Tiefe der Wirklichkeit, nach der unser Bewusstsein wesenhaft dürstet. Wir wissen: Je lebendiger das Staunen über etwas oder jemanden, desto unbezähmbarer wird die Suche nach dem Geheimnis, die Frage nach dem Sinn, der dahinter liegt. Es gibt eine generative Verbindung zwischen Staunen und Denken, Staunen und Suchen. Die Kultur, in die wir eingebettet sind, entspringt einem tiefen, eigentümlichen Staunen, dem Erstaunen über das Sein.

Und die Video-Ausstellung „Das Wirkliche leben“? Sie geht von dem Wunsch aus, sich mit dem Titel des Meetings zu messen, einem Satz von Abraham Heschel, und vor allem mit dem Kontext, aus dem das Zitat entnommen wurde, dem zehnten Kapitel des Bandes Der religiöse Sinn von Luigi Giussani. Ein Wunsch, der sogleich mit dem Ausbruch der Pandemie kollidierte: Ist es vernünftig, vom Erstaunen über die Wirklichkeit zu sprechen, wenn man ihrer tödlichen Wirkung durch einen unsichtbaren Virus ausgesetzt ist?

In dem Moment, als diese Frage aufkam, erschien ein Buch mit dem Titel Das Erwachen des Menschlichen von Julián Carrón, das speziell zu diesem Thema geschrieben wurde. Aus der wechselseitigen Provokation der beiden Texte entstand dann der rote Faden der Ausstellung, die inzwischen in ein Video verwandelt wurde: Was ist das Erstaunen über das Sein, von dem das zehnte Kapitel des Bandes „Der religiöse Sinn“ spricht? Wir alle staunen, mehr oder weniger häufig. Es genügt, dass etwas Angenehmes geschieht, das wir insgeheim erhoffen, aber nicht erwarten: die Bekundung der Zuneigung einer Person, die wir für unempfindsam gegenüber unserer Anwesenheit hielten, eine lang ersehnte Anerkennung, das plötzliche Auftauchen einer Schönheit - eines Gesichts, einer Landschaft. Nun, wie oft konnten wir das gleiche Erstaunen nicht wegen dieses oder jenes Ereignisses, dieser oder jener unerwarteten und willkommenen Angelegenheit erleben, sondern vielmehr aufgrund des Daseins von allem? Wenn wir staunen, liegt das normalerweise daran, dass vor dem Hintergrund des Offensichtlichen, des Üblichen, etwas passiert, das nicht offensichtlich ist: Diese Person wäre bewegt, überrascht. Aber ist es nicht noch weniger offensichtlich, ja unendlich und unvergleichlich weniger offensichtlich, dass alles, was es gibt - das Universum, die Erde, dein und mein Selbst, jeder Atemzug - da ist? Genau, das Staunen über das Seins ist das Staunen angesichts der befremdlichen Ungeheuerlichkeit, dass die Wirklichkeit überhaupt existiert.

Von hier aus stellen sich die Fragen der Vernunft, in welcher Sprache oder Kultur auch immer sie zum Ausdruck kommen: Wie kommt es zu all dem? Warum? Woher kommt alles? Wozu ist alles da? Das Staunen über das Sein ist dieser Blick - aus dem die unausweichlichen Sinnfragen entspringen -, der aus einer Aufhebung der gewohnheitsmäßigen Selbstverständlichkeit entsteht, die den täglichen Bezug zur Realität immer in irgendeiner Weise begleitet. Es ist ein origineller und ursprünglicher Blick, offen für die Anziehungskraft der Dinge, wie der des Künstlers, der das Wesen dessen, was er sieht, nicht als selbstverständlich ansieht; er ist originell, aber nicht „angeboren“; allen ist er möglich, aber nicht unmittelbar, da er den Weg des menschlichen Bewusstseins und das daraus folgende Aufblühen einer Bereitschaft impliziert, sich durch die Anwesenheit dessen, was da ist, durch die vielfältigen und sogar dramatischen Provokationen der Umstände in Frage stellen zu lassen. Ist es möglich, etwas von all dem in einem Video zu vermitteln? Wie? Es ist der Versuch, der hier unternommen wurde, fast ein Glücksspiel, mit allen Risiken, die damit verbunden sind.