Daryls Begegnungen

„Wieso hassen die Leute mich, obwohl sie mich gar nicht kennen?“ Diese Frage, die er als Kind stellte, hat ihn ein Leben lang begleitet. Der Pianist Daryl Davis hat Freunde im Ku Klux Klan.
Luca Fiore

Die Hände von Daryl Davis tanzen über die Tasten. Im Rhythmus des Boogie-Woogie, schnell und mitreißend. Davis hat eine beneidenswerte Karriere hinter sich. In seinem Erinnerungsalbum sind Fotos seiner Auftritte mit den Größen der amerikanischen Musik: Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, B.B. King. Musik ist seine Leidenschaft. Aber bekannter ist er geworden durch sein unkonventionelles Eintreten für die Rechte der Schwarzen. 1998 erschien sein Buch Klan-destine Relationships. A Black Man’s Odyssey in the Klu Klux Klan.

Angesichts der Wut und Intoleranz so vieler, die jetzt gegen die Diskriminierung protestieren, sagt er: Konfrontation führt zu nichts. Der einzige Weg ist Begegnung und Dialog. Und dem widmet er sein ganzes Leben. Vorträge, Treffen, Diskussionen haben praktisch ganz die Konzerte abgelöst. Im Januar 2020 berichtete er beim New York Encounter über sein Leben. Und kürzlich, nach den großen Demonstrationen der Black Lives Matter-Bewegung nach dem Tod von George Floyd, an denen Zehntausende teilnahmen in den großen Städten Amerikas, antwortete er auf die Fragen einer Gruppe von Schülern von CL.

Davis ist überzeugt: „Es hat in der ganzen Geschichte der USA keine so große und heterogene Bewegung gegeben wie jetzt. Und nie haben die Behörden so schnell auf das gewaltsame Vorgehen der Polizei reagiert. Wir stehen vor einer Wende.“ Aber seine persönliche Geschichte zeigt auch, dass friedliche Proteste – und erst recht gewalttätige – nicht reichen werden, um die Spaltung der Gesellschaft in den USA zu überwinden.

Für Davis begann alles 1983 in der Silver Dollar Lounge, einem Lokal mit Country-Musik in Frederick, Maryland. Er war der Pianist der Gruppe, die dort spielte. Und der einzige Schwarze im ganzen Lokal. Nach der Show kam ein Mann zu ihm und gratulierte ihm. Doch dann fügte er hinzu: „Ich habe noch nie einen Schwarzen besser spielen hören als Jerry Lee Lewis“ [ein weißer Country-Musiker; AdR]. Davis, der Lewis persönlich kannte, erwiderte, dieser sei von den gleichen schwarzen Musikern beeinflusst, von denen auch er gelernt habe. Der Mann will ihm das nicht glauben, aber er wird neugierig und lädt Davis zu einem Bier ein. Sie unterhalten sich lange. Am Schluss erklärt der Weiße, das sei das erste Mal in seinem Leben gewesen, dass er mit einem Farbigen an einem Tisch gesessen habe. Später stellte Davis fest, dass der Mann ein Mitglied des Ku Klux Klan war, der Speerspitze des weißen Überlegenheitswahns in den USA. Aber bei beiden hatte dieses Gespräch etwas ausgelöst.

Das war nur die erste einer langen Reihe von Begegnungen mit Mitgliedern dieser rassistischen Sekte. Einige sind sogar Davis’ Freunde geworden und haben sich vom Ku Klux Klan distanziert. Der wichtigste ist wohl Robert Kelly, der Vorsitzende des Klans in Maryland. Die erste Annäherung fand unter dem Vorwand statt, ihn für ein Buch interviewen zu wollen. Davis hatte den Termin mit der Sekretärin vereinbart und Kelly rechnete nicht damit, dass der Besucher ein Farbiger sei. Es folgten weitere Gespräche und Davis wurde sogar zu Treffen des Klans und deren nächtlichen Ritualen eingeladen. Er hörte zu, machte sich Notizen, stellte Fragen, diskutierte mit den Leuten. Und nach und nach begannen die Vorurteile zu bröckeln.

Daryl Davis scheut sich nicht, Fragen zu stellen und nach den Gründen für die Position des anderen zu forschen. Das erste Mal war er zehn. Er war in einem vorwiegend weißen Viertel aufgewachsen und machte dort bei den Pfadfindern mit. Eines Tages, bei einer Parade im Stadtzentrum, bemerkte er, dass die Leute ihn beschimpften und ihm sogar Steine nachwarfen. Es war das Jahr 1968. Als ihm seine Eltern erklärten, das läge an der Farbe seiner Haut, wollte er es zunächst nicht glauben und fragte: „Wieso hassen die Leute mich, obwohl sie mich doch gar nicht kennen?“ Diese Frage kehrte immer wieder im Laufe seines Lebens. „Die Antwort lautete immer: ‚Es gibt einfach Leute, die sind so gemacht.‘ Aber mir genügte das nie als Begründung. Was soll das bedeuten? Seitdem versuche ich immer, die Gründe für die rassistische Einstellung zu verstehen. Aber auf meine Frage bekomme ich weiterhin keine Antwort.“

Daryl Davis mit einem Mitglied des Ku Klux Klans.

Die jüngste Begegnung, über die sogar CNN berichtet hat und von der Davis beim New York Encounter erzählte, war die mit Richard Preston, Imperialer Hexenmeister, also die höchste Autorität im Ku Klux Klan von Maryland. 2017 wurde er festgenommen, weil er bei einer White Supremacy-Demonstration in Charlottesville (Virginia) auf einen Farbigen geschossen hatte. Davis bezahlte für ihn die Kaution, so dass er wieder frei kam. Darauf folgte ein Treffen im Haus von Preston, und dieser erläuterte Davis die Gründe für seinen Rassenhass. Er ging dabei die verschiedenen Etappen der Geschichte der Vereinigten Staaten aus seiner Sicht durch. „Ich habe ihm zugehört“, berichtet Davis, „und ihn dann darauf hingewiesen, wo er falsch lag. Zum Schluss habe ich ihn zu mir nach Hause eingeladen und gesagt, anschließend würden wir in das Museum für afroamerikanische Geschichte und Kultur in Washington gehen.“ Preston kam mit seiner Verlobten, Stacy Bell, die auch Mitglied im Ku Klux Klan war. Davis zeigt ein Foto von dem Tag: Beide lachen, als seien sie alte Freunde.

Ein paar Wochen später kommt die Einladung zur Hochzeit von Richard und Stacy. Daryl nimmt an. Es ist eine Zeremonie ganz im Stile weißer Überheblichkeit, mit jeder Menge Konföderierten-Flaggen. Doch am Vorabend erreicht Davis eine völlig unerwartete Anfrage: Der Vater von Stacy ist krank und kann nicht kommen. Daher soll der farbige Freund die Tochter zum Altar führen. Wenn man ihn fragt, warum er akzeptiert hat, antwortet Daryl: „Weil wir Freunde sind.“ Eine Freundschaft, bei der er nicht verlangt, dass Preston auf seine Mitgliedschaft im Ku Klux Klan verzichtet. Davis reicht es, dass es diese Verbindung zwischen ihnen gibt, dass sie real ist. Es ist ein Same, der wachsen wird, wann und wie Gott will.

Den jungen Leuten, die ihn fragten, wie man mit jemandem in Dialog treten kann, der völlig entgegengesetzte Ansichten hat, antwortete Davis, er lasse den Gesprächspartner vor allem er selbst sein. „Ich respektiere nicht das, was die Leute sagen. Aber ich respektiere ihr Recht, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. Wenn man will, dass einem zugehört wird, dann muss man zuerst selber bereit sein zuzuhören.“ Aber das reicht noch nicht. Wenn es um kontroverse Fragen geht, wie beim Rassismus, dann bringt es nichts, die Position des anderen zu attackieren, erklärt Davis. „Dadurch werden nur Barrieren aufgebaut. Ich spreche lieber über meine Position und nenne meine Gründe. Das ist die einzige Möglichkeit für den anderen, sich damit zu beschäftigen und darüber nachzudenken.“

Wenn jemand aggressiv auftritt, versteckt sich dahinter meist eine Schwäche. Oder Angst vor dem anderen. Aber tatsächlich gibt es immer einen gemeinsamen Grund, auf dem man einen Dialog aufbauen kann. Davis fragte die Schüler: „Glaubt ihr, dass eure Kinder eine bessere Erziehung verdient hätten? Meint ihr, dass man alles tun sollte, um junge Leute von Drogen fern zu halten? Wenn ihr so denkt, stimmt ihr damit mit Neonazis und Suprematisten überein. Das hat nichts mit der Rasse zu tun. Wenn man feststellt, dass man die gleichen Wünsche und Sehnsüchte hat, dann ist es leichter, den Gesprächspartner als Person zu sehen und nicht als Feind. Je mehr solche Berührungspunkte es gibt, um so näher kommt man sich. Und wenn man nicht dabei stehenbleibt, kann sogar eine Freundschaft daraus werden. Unwichtige Dinge, wie die Farbe der Haut, spielen dann keine Rolle mehr.“

Davis macht sich keine Illusionen bezüglich der Lage in seinem Land. Die Spannungen nehmen zu und die rechtsextremen Gruppen haben immer mehr Zulauf. Der Grund dafür ist, meint der Musiker, dass das Gesicht der USA sich verändert hat und weiter verwandeln wird: „In wenigen Jahren werden 50 Prozent der US-Amerikaner keine Weißen mehr sein. Und in der folgenden Generation werden die Weißen dann in der Minderheit sein. Das bringt ihre Macht in Gefahr, die seit 400 Jahren besteht. Viele machen sich deshalb Sorgen. Sie haben Angst.“ Dank dieser Angst gewinnen die neonazistischen und suprematistischen Gruppen immer mehr Anhänger.

„Die Leute sollten aufhören, sich auf die Symptome des Hasses zu konzentrieren“, sagt Davis. „Das ist, als würde man ein Pflaster auf ein Krebsgeschwür kleben. Die Krankheit muss bis in ihr Mark geheilt werden, und das ist die Unwissenheit. Das Heilmittel dagegen ist die Erziehung. Das gegenseitige Sich-Kennenlernen. Wenn man die Unkenntnis heilt, dann gibt es nichts mehr, wovor man Angst zu haben braucht. Wenn es keine Angst mehr voreinander gibt, dann gibt es auch keinen Hass mehr. Und wenn es keinen Hass mehr gibt, dann braucht man auch nichts und niemanden mehr zu zerstören.“