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Die Barmherzigkeit, die uns wieder aufrichtet

Zu Joseph Haydns „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“
Luigi Giussani

Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun

Nur Gott kann alle Faktoren im Handeln des Menschen ermessen. Für uns bleibt nur die Dimension der Barmherzigkeit. Darum bat der Mensch Jesus: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Am äußersten Rand ihrer Unwissenheit baute er, sterbend, ihre Verteidigung auf, die Verteidigung der Schwäche, der Begrenztheit dieser Menschen, die ihn töteten. Das war die Gelegenheit, durch die der Herr, der Vater, ihr Handeln zum Beginn des Geheimnisses der Kirche machte.
Die christlich verstandene Vergebung ist Nachahmung der leuchtenden und stillen Macht, mit der der Vater die Bestimmung seiner Geschöpfe wieder aufrichtet. Er lässt in ihnen die dauerhafte und wesensmäßige Sehnsucht nach dem Guten wieder auftauchen und stärkt sie – diese Sehnsucht, die die Oberhand behält über alle Katastrophen des hysterischen, überheblichen, ungeduldigen Selbstbehauptungswillens. So ist die Vergebung eine unbegrenzte Macht, die auf dem letzten verbleibenden Rest von Freiheit wieder aufbaut: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

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Ohne Barmherzigkeit, ohne Vergebung kann nichts wachsen, weil man irgendwann gezwungen ist, zu verdammen, und sagt: „Da kann man nichts mehr machen“. Und damit verurteilt man zum Tode. Doch das göttliche Sein ist nicht wie ein Arzt. Der Arzt muss vielleicht tatsächlich irgendwann sagen: „Da ist nichts mehr zu machen.“ Und es stimmt, mit seinen Möglichkeiten kann er nichts mehr machen. Aber das gilt nicht für das Sein selbst. Es kann immer noch etwas machen!

Christus ist gestorben, um uns von unserem Bösen zu befreien. Im Innersten des menschlichen Scheiterns, der menschlichen Schwäche erhebt sich ein Schrei nach dieser Befreiung, die menschlich gesehen unmöglich, für Gott aber sehr wohl möglich ist: Herr, hab Erbarmen mit mir!