„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“

Rhein-Meeting 2021 – ein Rückblick. Mit dem Grußwort von Kardinal Woelki, Schirmherrn des Rheinmeetings.
Katharina Zipp

Das Rhein-Meeting war in den vergangenen Jahren immer ein Ort besonderer Begegnungen: Besucher, Referenten und Veranstalter trafen aufeinander und kamen miteinander ins Gespräch. Das diesjährige Rhein-Meeting mit dem Titel „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ (Martin Buber) griff diesen besonderen Charakter auf, musste aber gleichzeitig auf ihn verzichten: die Veranstaltung fand nicht wie die Jahre zuvor im Maternushaus in Köln statt, sondern als Reihe von Live-Übertragungen, die jedem Interessenten online zugänglich waren.

In dieser Spannung erhält die im Titel des Rhein-Meetings getroffene Aussage, dass wirkliches Leben Begegnung sei, ein besonders großes Gewicht: wodurch zeichnet sich eine Begegnung aus, die den Anspruch hat, „alles wirkliche Leben“ zu sein und wohin führt sie? Was entdeckt der Mensch in einer Begegnung?

Mit großer Offenheit erzählten die benediktinische Ordensschwester Johanna Domek und der Jude Avraham Applestein (Köln) von der tiefen Freundschaft, die unerwartet zwischen ihnen entstanden ist. Sie lernten sich als Laienschauspieler anlässlich eines Theaterstücks („Glaubenskämpfer“) kennen, das wesentlich aus einer Konfrontation von Gläubigen der drei großen monotheistischen Weltreligionen bestand. Es war ihre Aufgabe, sich als zutiefst überzeugte Gläubige mit der ganzen Person des Gegenübers auseinanderzusetzen. Die so entstandene, bemerkenswerte Vertrautheit zwischen den beiden ist ein beeindruckendes Zeugnis einer aufrichtigen Suche nach dem Gegenüber.

Der Regisseur des oben erwähnten Theaterstückes, Nuran David Calis (München), nannte den entscheidenden Grund für seine ungewöhnliche Arbeit am Theater: In seinem Leben tue sich eine „Lücke“ auf, die aus den ungelösten, drängenden Fragen besteht, mit denen wir „in die Welt geworfen werden“. Im Theater könne er die vielen, teils widersprüchlichen Facetten seines Lebens zusammenbringen in der Hoffnung, immer wieder die Kraft zu finden, sich dieser Lücke zu stellen, um „den eigenen Frieden zu finden“. Besonders faszinierte die Beharrlichkeit Calis‘, mit der er den Fragen seines Lebens nachgeht, wie im Gespräch mehrfach deutlich wurde.



Die Frage, was der Mensch in der Wirklichkeit sucht, prägte das Gespräch mit Weihbischof Ansgar Puff (Köln). Puff erzählte von seinem brennenden Wunsch, Christus kennenzulernen sowie von der darauffolgenden Frage, wie dies denn konkret aussehe. Es reichte ihm nicht, ein „guter Mensch“ zu sein, weshalb er sein Studium der Sozialen Arbeit abbrach und ein Theologiestudium begann. Dort wurde Christus jedoch lediglich beschrieben, Puff aber wollte Christus als Person in der Wirklichkeit begegnen. Der entscheidende Schritt dafür sei eine unerwartete Begegnung mit dem damaligen Papst Johannes Paul II. in Rom vor einem Fahrstuhl im Vatikan gewesen. Hier habe er einen Mann mit unverkennbarer Ausstrahlung getroffen, ein „liebendes und verstehendes Herz“. Dies habe in ihm ein „Blockade“ gelöst, die zuvor zwischen ihm und seiner Berufung stand. Weihbischof Puff bezeugte glaubhaft, dass die eigene Suche nach Christus nicht vergebens ist, sondern auf „das unsichtbare Du Gottes“ in der Wirklichkeit stoßen lässt.

Im Gespräch mit dem spanischen Filmregisseur Juan Manuel Cotelo (Valencia) wurde die Frage nach der Gewissheit über die eigene Berufung aufgeworfen. Cotelo erzählte, wie er im Rahmen eines neuen Filmprojektes ein Gefängnis besuchte, in dem unzählige Schwerverbrecher saßen. Sie baten ihn darum, ihre Geschichte zu verfilmen, um andere vor ihrem Schicksal zu bewahren. Die Frage, ob er Geschichten dieser Art verfilmen soll, ließ Cotelo eine unerwartete und erstaunlich starke Gewissheit in sich entdecken, genau dies zu tun. Mit großer Lebendigkeit bezeugte Cotelo anhand vieler Beispiele, dass er diese Gewissheit der Initiative Gottes in seinem Leben verdanke, der in seinem Gehorsam durch ihn handeln könne.

Der Photograph Ingmar Björn Nolting (Leipzig) berichtete von der großen Herausforderung, die manche Begegnungen für ihn darstellen: er reiste im März 2020 durch ganz Deutschland, um das Leben der Menschen bei Kontaktbeschränkungen festzuhalten. Damit er dies rein dokumentarisch photographieren kann bestehe die Notwendigkeit, bei sämtlichen Begegnungen immer Distanz zu wahren und seine Rolle als Photograph unmissverständlich zu zeigen. Was ihn an der Wirklichkeit reize? „Der Reiz am Leben, der wohl jeden interessiert“, antwortete Nolting.

Bischof Massimo Camisasca (Reggio Emilia) nannte den italienischen Priester Luigi Giussani (Gründer der katholischen Laienbewegung „Gemeinschaft und Befreiung“) als die Person, der er die grundlegenden Erfahrungen seines Lebens verdanke: Giussani habe ihm zur entscheidenden Sichtweise verholfen, dass Christus nicht ein Teil seines Lebens neben anderen Teilen ist, sondern vielmehr „die Wurzel unseres Lebens“ sowie der eigenen Leidenschaften und Interessen. Camisasca betonte, wie sehr Giussani in jedem Menschen die Spuren Christi suchte – denn jeder Mensch rufe mit seinen Fragen und Erwartungen nach Christus, der als einziger die ganze menschliche Erfahrung verstehe. Jede Begegnung ermögliche dem Menschen die Wahrnehmung, dass es eine Antwort auf seine grundlegenden Bedürfnisse gibt. Giussani habe niemanden dazu aufgerufen, ihn zu kopieren. Vielmehr ermöglichte er, aus der Beziehung zu ihm eine Leidenschaft zu entwickeln, das eigene Leben als Ausdruck der eigenen Beziehung zu Christus zu gestalten. Camisascas Zeugnis ermutigt dazu, nach den Begegnungen zu suchen, die eine solche Dynamik im eigenen Leben entfalten.

Auszüge der einzelnen Gespräche können mittlerweile auf der Video-Plattform „Youtube“ nachgehört werden.

Das nächste Rhein-Meeting unter dem Titel „Was – auch du? Ich dachte, ich bin der einzige...“ (C.S.Lewis) im März 2022 wird die Suche nach Gewissheit im Leben unter dem Aspekt der Freundschaft fortführen.