Meeting 2021. Die Grußworte von Papst Franziskus

Die Worte von Kardinal Pietro Parolin mit dem Gruß des Heiligen Vaters an die Teilnehmer, Freiwilligen und Organisatoren des Meetings in Rimini, die heute eröffnet wird.

Vatikanstadt, 29. Juli 2021
Seiner Hochwürdigster Exzellenz
dem Bischof von Rimini
Francesco Lambiasi


Hochwürdigste Exzellenz,

der Heilige Vater freut sich, dass das Meeting für die Freundschaft unter den Völkern wieder „in Präsenz“ stattfindet, und sendet Ihnen, den Organisatoren und allen Teilnehmern seine Grüße mit dem Wunsch, dass es reibungslos ablaufen möge.

Der gewählte Titel – „Der Mut, Ich zu sagen“ –, der dem Tagebuch des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard entnommen ist, ist von großer Bedeutung in einer Zeit, in der es darum geht, die Chance, die die Pandemiekrise bietet, nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Neustart lautet die Devise. Aber das geschieht nicht automatisch, denn jede menschliche Initiative ist mit Freiheit verbunden. Benedikt XVI. erinnerte uns daran: „Freiheit bedingt, dass in den grundlegenden Entscheidungen jeder Mensch [...] ein neuer Anfang ist. [...] Die Freiheit muss immer neu für das Gute gewonnen werden.“. (Spe Salvi, 24). In diesem Sinne ist der Mut zum Risiko in erster Linie ein Akt der Freiheit.

Während des ersten Lockdowns rief Papst Franziskus alle zur Ausübung dieser Freiheit auf: „Schlimmer als die gegenwärtige Krise wäre nur, wenn wir die Chance, die sie birgt, ungenutzt verstreichen ließen.“ (Pfingstpredigt, 31. Mai 2020).

Während die Pandemie eine physische Distanzierung erzwingt, hat sie den Menschen und sein Ich wieder in den Mittelpunkt gerückt und in vielen Fällen dazu geführt, dass grundlegende Fragen nach dem Sinn des Daseins und der Nützlichkeit des Lebens, die zu lange geschlummert oder, schlimmer noch, zensiert worden waren, wieder aufgeworfen wurden. Sie hat auch ein Gefühl der persönlichen Verantwortung geweckt. Viele haben dies in verschiedenen Situationen erlebt. Angesichts von Krankheit und Schmerz, angesichts des Auftauchens einer Notlage, sind viele Menschen nicht zurückgewichen und haben gesagt: „Hier bin ich“.

Die Gesellschaft braucht unbedingt Menschen, die Verantwortung übernehmen. Ohne den Menschen gibt es keine Gesellschaft, sondern eine zufällige Ansammlung von Wesen, die nicht wissen, warum sie zusammen sind. Der einzige Klebstoff, der übrig bliebe, wäre der Egoismus der Berechnung und des Eigennutzes, der uns gleichgültig gegenüber allem und jedem macht. Außerdem ziehen es die Götzen der Macht und des Geldes vor, sich mit einzelnen Individuen statt mit Personen zu befassen, das heißt mit einem „Ich“, das sich auf seine eigenen Bedürfnisse und subjektiven Rechte konzentriert, statt mit einem „Ich“, das für andere offen ist und danach strebt, das „Wir“ der Brüderlichkeit und sozialen Freundschaft zu gestalten. Der Heilige Vater wird nicht müde, diejenigen, die öffentliche Verantwortung tragen, vor der Versuchung zu warnen, die Menschen zu benutzen und auszusortieren, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, anstatt ihnen zu dienen. Nach dem, was wir in dieser Zeit erlebt haben, ist es vielleicht für jeden offensichtlicher, dass die Person der Punkt ist, von dem aus alles neu beginnen kann. Sicherlich müssen Mittel und Wege gefunden werden, um die Gesellschaft wieder in Bewegung zu bringen, aber vor allem braucht es jemanden, der den Mut hat, mit Verantwortung und nicht mit Egoismus „Ich“ zu sagen und mit seinem eigenen Leben zu kommunizieren, dass der Tag mit verlässlicher Hoffnung beginnen kann.

Aber Mut ist nicht immer eine spontane Gabe und niemand kann ihn sich selbst schenken (wie Manzonis Don Abbondio zu sagen pflegte), vor allem in einer Zeit wie der unseren, in der die Angst – die eine tiefe existentielle Unsicherheit offenbart – eine so entscheidende Rolle spielt, dass sie so viel Energie und Impulse für die Zukunft blockiert, die vor allem von jungen Menschen zunehmend als ungewiss empfunden wird.

In diesem Sinne hat der Diener Gottes Luigi Giussani vor einer doppelten Gefahr gewarnt: „Die erste Gefahr [...] ist der Zweifel. Kierkegaard beobachtet: ‚Aristoteles sagt, dass die Philosophie mit dem Staunen beginnt, und nicht, wie in unserer Zeit, mit dem Zweifel‘. Der systematische Zweifel ist gewissermaßen das Symbol unserer Zeit. [...] Der zweite Einwand gegen die Entscheidung des Ichs ist die Engherzigkeit. [...] Zweifel und Bequemlichkeit, das sind unsere beiden Feinde, die Feinde des Ichs“ (In cammino 1992-1998, Mailand 2014, 48-49).

Woher kann dann der Mut kommen, „Ich“ zu sagen? Er entspringt dem Phänomen der Begegnung: „Nur im Phänomen der Begegnung wird dem Ich die Möglichkeit gegeben, sich zu entscheiden, sich in die Lage zu versetzen, zu empfangen, zu erkennen und zu empfangen. Der Mut, ‚Ich‘ zu sagen, wird im Angesicht der Wahrheit geboren, und die Wahrheit ist eine Gegenwart“ (ebd., 49). Von dem Tag an, an dem er Fleisch wurde und unter uns wohnte, hat Gott dem Menschen die Möglichkeit gegeben, die Angst zu überwinden und die Kraft des Guten zu finden, indem man seinem Sohn folgt, der gestorben und auferstanden ist. Die Worte des heiligen Thomas von Aquin sind diesbezüglich erhellen,: „Das Leben des Menschen besteht in der Zuneigung, die ihn am meisten trägt, und in der er seine größte Befriedigung findet“ (Summa Theologiae, II-II, q. 179, a. I co.).

Die kindliche Beziehung zum ewigen Vater, der in den von Christus erreichten und veränderten Menschen gegenwärtig wird, gibt dem Ich Halt, befreit es von Angst und öffnet es für eine positive Haltung gegenüber der Welt. Sie erzeugt einen Willen zum Guten: „Jede echte Erfahrung von Wahrheit und Schönheit sucht von sich aus, sich zu verbreiten, und jeder Mensch, der eine tiefe Befreiung erfährt, erwirbt eine größere Sensibilität für die Bedürfnisse der anderen. Wenn man das Gute mitteilt, fasst es Fuß und entwickelt sich.“ (FRANZISKUS, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium, 9).

Es ist diese Erfahrung, die Mut zur Hoffnung macht: „Christus zu begegnen und sich von seiner Liebe ergreifen und führen zu lassen weitet den Horizont des Lebens und gibt ihm eine feste Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt. Der Glaube ist nicht eine Zuflucht für Menschen ohne Mut, er macht vielmehr das Leben weit. Er lässt eine große Berufung entdecken, die Berufung zur Liebe, und er garantiert, dass diese Liebe verlässlich ist und es wert ist, sich ihr zu übereignen, da ihr Fundament auf der Treue Gottes steht, die stärker ist als all unsere Schwäche.“ (ID, Enc. Lumen fidei, 53).

Betrachten wir die Gestalt des Petrus: Die Apostelgeschichte berichtet von seinen Worten, nachdem ihm streng verboten worden war, weiter im Namen Jesu zu reden: „Ob es vor Gott recht ist, mehr auf euch zu hören als auf Gott, das entscheidet selbst. Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ (4,19-20). Woher nimmt „dieser Feigling, der den Herrn verleugnet hat, seinen Mut? Was geschah im Herzen dieses Mannes? Die Gabe des Heiligen Geistes“ (FRANZISKUS, Predigt bei der Messe im Haus Santa Marta, 18. April 2020).

Der tiefe Grund für den Mut des Christen ist Christus, der auferstandene Herr, der unsere Sicherheit ist, der uns auch in den Stürmen des Lebens tiefen Frieden erfahren lässt. Der Heilige Vater hofft, dass die Organisatoren und Gäste während der Woche des Meetings ein lebendiges Zeugnis geben und sich die Aufgabe zu eigen machen, die im programmatischen Dokument seines Pontifikats genannt wird: „Viele [...] suchen Gott insgeheim, bewegt von der Sehnsucht nach seinem Angesicht, auch in Ländern alter christlicher Tradition. [...] Die Christen haben die Pflicht, es ausnahmslos allen zu verkünden, nicht wie jemand, der eine neue Verpflichtung auferlegt, sondern wie jemand, der eine Freude teilt, einen schönen Horizont aufzeigt, ein erstrebenswertes Festmahl anbietet.“ (Evangelii gaudium, 14).

Die Freude am Evangelium weckt die Kühnheit, neue Wege zu gehen: „Man muss wagen, die neuen Zeichen zu finden, die neuen Symbole, ein neues Fleisch [...], die für andere besonders attraktiv geworden sind.“ (ebd., 167). Dies ist der Beitrag, den der Heilige Vater vom Meeting zu einem Neubeginn erwartet, in dem Bewusstsein, dass „Die Glaubensgewissheit uns in Bewegung bringt und das Zeugnis und den Dialog mit allen ermöglicht.“ (Enzyklika Lumen fidei, 34). Dabei soll niemand ausgeschlossen werden, denn der Horizont des Glaubens an Christus ist die ganze Welt.

Indem Papst Franziskus Ihnen, liebe Exzellenz, diese Botschaft anvertraut, bittet er um Ihr Gedenken im Gebet und segnet Sie und die Leiter, Freiwilligen und Teilnehmer des Meetings 2021 von ganzem Herzen.

Auch ich spreche meine besten Wünsche für den Erfolg der Veranstaltung aus und nutze die Gelegenheit, um den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung zu äußern.

Mit Ihrer Exzellenz verbunden im Herrn
Pietro Kard. Parolin, Staatssekretär