La Thuile: Ein Bericht voller Dankbarkeit
Ende August fand in LaThuile die jährliche Internationale Versammlung der Verantwortlichen von Comunione e Liberazione statt. Unter den 600 Teilnehmern waren auch Freunde aus Deutschland. Hier ihre Eindrücke.„Warum sind wir hier? Um uns an den Zweck zu erinnern, für den das alles hier existiert“. Mit diesen Worten leitete Davide Prosperi die Tage der Internationalen Versammlung der Verantwortlichen (AIR) ein, die vom 25. bis 29. August in La Thuile stattfand und an der auch wir Freunde aus Deutschland teilnehmen durften. „Wir wollen bestimmte Grundpfeiler der Geschichte, der Bildung der Bewegung, nicht als gegeben hinnehmen, wie das Thema der Erfahrung. Wie hängt die Erfahrung mit dem Glauben zusammen? Wie führt uns der Glaube zu einer neuen Erfahrung?“. In diesen Tagen ging es darum, sich gegenseitig zu helfen, die Erfahrung zu beurteilen. Der Titel erinnerte uns jeden Tag daran, wenn wir den Saal zu den Versammlungen betraten: „Beginnen wir zu beurteilen: Das ist der Anfang der Befreiung.“ Die Einführung und die Arbeit dieser Tage werden dann zum Reichtum für den Weg eines jeden in der Bewegung, beginnend mit dem Eröffnungstag, der eine Gelegenheit sein wird, den Weg der Internationale Versammlung neu vorzuschlagen.
Die Tage in La Thuile bestanden hauptsächlich aus Versammlungen und Zeugnissen, bei denen die rund 600 Teilnehmer Zeit und Gelegenheit hatten, sich auszutauschen und sich herausfordern zu lassen.
Vor allem in den Versammlungen wurden Erfahrungen, Fragen und auch Sorgen ausgetauscht, in der Zuversicht, dass auf dem gemeinsamen Weg alles angeschaut und angenommen werden kann.
Die venezolanischen Freunde erzählten von den Erfahrungen einiger Frauen, die sie in einem Werk der Nächstenliebe und Arbeitshilfe kennengelernt hatten. Diesen Frauen wurden von einer Genossenschaft in der italienischen Provinz Romagna die Ausbildung zu Friseurinnen ermöglicht, damit sie es nun in Venezuela ausüben können. Als diese Frauen von der Überschwemmung in der Romagna hörten, zögerten sie nicht lange und sammelten Geld, um es den betroffenen Familien zu spenden: eine kleine Spende, nach den üblichen Kriterien, um den Schaden zu beheben, aber angesichts der großen Armut dieser Frauen in Venezuela eine sehr große Gabe. Auf die Frage nach dem Grund, hatten sie ein überraschend klares Urteil: „Ich brauche Hilfe, aber vor allem brauche ich Christus, und ich stelle mir vor, dass diejenigen, denen ich helfe, das gleiche Bedürfnis haben.“
Man kann selbst bei großen Unterschieden eine Gemeinschaft entdecken, wie Freunde aus Taiwan nach einem Treffen mit Freunden aus anderen asiatischen Regionen berichteten. Gemeinschaft ist kein Gefühl der Übereinstimmung, sondern die Erkenntnis, dass wir auf demselben Weg sind. So können wir uns freier und damit geeinter fühlen. Denn indem wir „aus uns herausgehen“, erkennen wir den anderen als Geschenk an und vertrauen unsere Unterschiede der Gemeinschaft an. Davide sagte dazu: „Es ist die Intuition, dass meine Bestimmung mit der Erfüllung deiner Bestimmung verbunden ist, und das impliziert eine Freiheit, sich selbst zu akzeptieren und zu korrigieren“. Auch Carras betonte: „Wenn ich die Bestimmung liebe, dann habe ich keine Angst vor Korrekturen. Wenn wir die Ungeschuldetheit erfahren und leben, entdecken wir auch die Freiheit, die Freiheit von allem, was uns sonst gefangen halten würde.“
Die Versammlungen waren auch eine Gelegenheit, uns an das Leid so vieler Christen auf der ganzen Welt zu erinnern. Don Bosco, ein indischer Priester, erinnerte uns an die Verfolgungen, denen viele Christen in einigen Regionen seines Landes gerade jetzt ausgesetzt sind. Er stellte angesichts dessen die Frage nach dem Sinn des Leidens oder nach unserer Verantwortung, nicht in Gleichgültigkeit zu verfallen. Beeindruckend war auch das Zeugnis von Lali aus der Ukraine: „Ich habe mir nicht ausgesucht, Witwe oder Flüchtling zu sein, ich habe mir nicht ausgesucht, den Krieg und das Böse zu erleben. Aber mir ist klar, dass ich dadurch das Wissen bezeuge, dass Christus in diesem Sturm bei mir ist“. Matthäus, dessen Frau erst vor wenigen Monaten gestorben war, sagte: „Dankbarkeit ist kein Gefühl, das den Schmerz auslöscht, aber sie ist ein Urteil, das es einem ermöglicht, Christus zu erkennen“.
Die Versammlungen waren somit ein Beispiel dafür, wie der Glaube das Leben „informiert [prägt]“, um einem Ausdruck zu verwenden, den Pater Mauro-Giuseppe Lepori während der Exerzitien der Fraternität gebraucht hat: Es gibt so viele Freunde, die wir sehen und denen wir folgen können, die Zeugnis von einer wahren Neuheit des Lebens geben. Die Faszination einer menschlichen Gegenwart, dieses Staunen, steht am Anfang des Glaubensweges. Aber aus der Faszination muss der Glaube hervorgehen, dem wir folgen, sonst bleiben wir bei der Überhöhung dieser anfänglichen Faszination stehen. „Der Glaube geht nicht verloren, aber er hört auf, das Leben zu prägen, und deshalb muss er dort wiedergefunden werden, wo wir ihn beiseite gelegt hatten“, betonte Prosperi. „Das ist aber keine einsame Anstrengung!“
Ein grundlegender Punkt, den Prosperi, dabei hervorhob: Es ist eine Weggemeinschaft, die uns erzieht, das heißt ein Glaube, der in der Zugehörigkeit zur Kirche gelebt wird. Es ist kein privater Dialog mit Christus. Wahre Askese ist Zugehörigkeit und Hingabe an die Gemeinschaft, die uns immer wieder in die Neuheit des Glaubens einführt, in diesen neuen Blick auf die Wirklichkeit. Daraus erwächst für jeden von uns die Verantwortung, als handelnde Person in der Geschichte zu reifen. Der Beginn der Mission liegt in dieser ersten Entscheidung zur Nachfolge: Jemandem zu folgen, der dich sendet, um Ihn all jenen bekannt zu machen, der dich ohne jedes Eigenverdienst bevorzugt hat.
Andere Zeugnisse widmeten sich den Themen Nächstenliebe, Kultur und Mission – um die Dimensionen zu vertiefen, um die Papst Franziskus die Bewegung gebeten hat. Der Generalsekretär der italienischen Bischofskonferenz Monsignore Giuseppe Baturi und der Apostolische Vikar von Südarabien, Monsignore Paolo Martinelli, sprachen über die Herausforderungen und die Mission der Kirche in der heutigen Zeit. „Die Mission besteht darin, die Frage nach Gott in den Herzen der Menschen zu lesen und Wegbegleiter zu werden: Dazu muss man sich auf das Wesentliche besinnen“, so Baturi. Und Martinelli ergänzte: „Mission ist nicht in erster Linie, etwas zu tun, sondern eine Art zu sein, sich selbst und seine Beziehung zu anderen zu begreifen. Als Gesandter in der Wirklichkeit zu leben, befreit uns vom Ergebnisdruck.“ Don Colin berichtete von seiner pastoralen Arbeit in einer Gemeinde in Seattle: Selbst dort, wo das „neue Heidentum“ gesiegt zu haben scheint, findet die christliche Verkündigung immer wieder Herzen, die sie annehmen wollen.
Eine Kulturarbeit aus christlicher Erfahrung heraus, ist in erster Linie eine Initiative der Begegnung und nicht der Konfrontation, wie Joseph uns aus England verdeutlichte: Bei der Begegnung mit den unterschiedlichsten Vertretern der christlichen und nichtchristlichen Kultur entdeckt er sich selbst eher als „Gärtner“ denn als „Influencer“, in seinem Wunsch, Erfahrungen kennen und schätzen zu lernen, die sich von unseren eigenen unterscheiden.
An einem Abend aßen wir Deutsche mit unserem Freund Bernhard Scholz, der immer noch voller Dankbarkeit für die Begegnungen beim diesjährigen Meeting von Rimini war. Das Thema des nächsten Meetings 2024 wird lauten: „Wenn wir nicht nach dem Wesentlichen suchen, wonach suchen wir dann?“ Bernhard gab uns einen Schlüssel zum Verständnis des Titels: Es gehe darum, dass „wir“ auf der Suche sind, also als Weggemeinschaft und zwar in der Gegenwart und nicht in der Zukunft. Die Suche nach dem Wesentlichen, nach dem, was das Leben zum Blühen bringt, sei jedermanns Aufgabe in der Konkretheit des täglichen Lebens, in einer Weggemeinschaft, die uns erzieht. Ein Titel, der auch sehr gut zum Thema und zu den Erfahrungen der Tage in La Thuile passt.
An musikalischen Momenten mangelte es wie üblich nicht! Bei regnerischem Wetter brachen wir zu einer kurzen Wanderung auf, die mit Alpenliedern „auf dem Gipfel“ abgeschlossen wurde. Und schon am ersten Abend riefen wir uns die Lieder von Adriana Mascagni in Erinnerung. Viele der von ihr verfassten Lieder sind im Laufe der Zeit fast zu „Gebeten“ der Bewegung geworden wie „Povera voce“ [arme Stimme]. An einem anderen Abend sangen wir gemeinsam Volkslieder aus verschiedenen Teilen der Welt, darunter eines der „Vertreter“ aus Taiwan, das vom Samen auf dem Feld spricht, ein Symbol für den Wunsch nach Erfüllung. Wer mit einer Frage oder einem brennenden Wunsch gekommen war, wurde von diesen Liedern unweigerlich ergriffen. So berichtete etwa ein US-Bischof beim Gottesdienst am nächsten Tag, dass er beim Lied von Pater Anastasios Lied „La festa sta per cominciare“ [Das Fest beginnt gleich] mit Rührung seiner vor kurzem verstorbenen Mutter gedachte. Tatsächlich wurde die Sehnsucht nach seiner Mutter erst durch Don Anas‘ Lied wieder wachgerufen und ebenso der Wunsch, während der Eucharistiefeier gemeinsam mit all unseren christlichen Brüdern und Schwestern, die das Martyrium erleiden, an sie zu denken. Am letzten Abend wurden viele südamerikanische und afrikanische Gesänge angestimmt, bei denen uns allen die Freude über die Zugehörigkeit ins Gesicht geschrieben stand.
Wir kehrten mit dem großen Wunsch nach Hause zurück, dass uns und unseren Freunden, diese Fülle des Lebens immer mehr zu eigen wird.