Prosperi: für das Heilige Land beten, so durchbrechen wir die Spirale des Bösen
Prosperi, Präsident der Fraternität von CL: Gebet und Fasten – eine konkrete und vernünftige Antwort auf Gewalt und Krieg. Ein Interview in der italienischen Zeitung "Avvenire"Angesichts der Eskalation von Gewalt, Grausamkeit und Tod in diesen Tagen, „ist das Gebet das einzig Konkrete und Vernünftige, das der Schwere einer Situation entspricht, in der es, gemessen an menschlichen Fähigkeiten, keinen Grund zur Hoffnung gibt. Wir sind überzeugt, dass das, was für den Menschen unmöglich ist, für Gott möglich ist.“, sagt Davide Prosperi, Präsident der Fraternität von Comunione e Liberazione. Die Bewegung gehörte zu den ersten, die der Einladung des Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, gefolgt ist, den 17. Oktober dem Gebet, dem Fasten und der Enthaltsamkeit für Frieden und Versöhnung zu widmen.
Warum hat sich Comunione e Liberazione sofort dazu entschlossen, sich dem Aufruf des Patriarchen anzuschließen?
Weil wir, sowohl im Kern der Sache als auch bezüglich der Methode, genauso empfinden. Im Kern der Sache: Wir teilen die Einschätzung, dass, wenn es keinen Schimmer einer Lösung und, gemessen an menschlichen Fähigkeiten, auch keinen konkreten Grund zur Hoffnung gibt, das einzig Konkrete und Vernünftige die Anrufung Gottes, des Vaters, der alles tun kann, ist, damit er barmherzig auf seine Kinder schaue und in den Herzen der Wunsch nach Frieden entfacht werden möge. Was für Menschen unmöglich ist, ist für Gott möglich. Und das Gebet ist ein ganz konkretes Anvertrauen an Gott: Wir vertrauen Ihm die Hoffnung an, dass die Geiseln so bald wie möglich freigelassen werden und dass, zuallererst, das Abschlachten unschuldiger Zivilisten aufhört.
Und bezüglich der Methode?
Der Krieg trägt die Spaltungen in den Herzen der Menschen in die Geschichte hinein. Das Gebet hingegen bietet sich als Geste und Weg zur Einheit an. Und es erinnert uns daran, was die Voraussetzung für den Aufbau des Friedens ist. Mit Initiativen wie dieser, die in Familien, Pfarreien, Diözesen und Vereinigungen auf fruchtbaren Boden fallen und gelebt werden, bringt das Gebet die Einheit der Menschen zum Ausdruck, die sich versammeln, um das Wirken des Heiligen Geistes und die Fürsprache Marien, der Königin des Friedens, zu erbitten.
Gebet, das die Einheit fördert: Ist das praktisch durchführbar?
Wir haben das kürzlich in Mailand erlebt, als am 7. September der von der diözesanen Koordinationsstelle der Vereinigungen, Bewegungen und Gruppen organisierte Weg Dona nobis pacem stattfand. Er gipfelte in einer Gebetswache mit Erzbischof Mario Delpini, an der Pfarrer und Gläubige aus dem Moskauer Patriarchat und der ukrainischen katholischen Kirche des byzantinischen Ritus gemeinsam teilnahmen.
Dialog, Begegnung, Einheit, beginnend mit dem Gebet: Wie realistisch ist dieser Weg heute im Heiligen Land?
Es ist möglich, Einheit zu fordern und zu bekräftigen, auch zwischen den Völkern, und gleichzeitig – ohne Naivität – anzuerkennen, was die Ursachen dieser Gewalt sind. Bei den vielen geopolitischen und soziologischen Argumenten, die wir heute hören, dürfen wir nie vergessen, dass es sich hier nicht um einen Krieg zwischen Israelis und Palästinensern handelt. Die Hamas ist nicht Palästina: Es sind Terroristen. In unseren Gemeinschaften im Heiligen Land gibt es sowohl Israelis als auch Palästinenser. Es ist nicht wahr, dass eine Begegnung unmöglich ist, das sagt unsere Erfahrung. Wir kennen den Durst nach Frieden und Gerechtigkeit, der in ihnen wohnt. Unsere palästinensischen Freunde wollen Frieden. Und vor allem sie sind im Moment völlig verängstigt.
Die aktuelle tragische Eskalation hat vielen – auch innerhalb der Kirche – die Augen für einen vergessenen Konflikt und das Leid der Völker des Heiligen Landes wieder geöffnet...
Innerhalb von CL gibt es eine ständige Aufmerksamkeit auf das Heilige Land, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens haben wir Gemeinschaften in Jerusalem und Bethlehem, mit denen wir das teilen, was gerade geschieht. Und zweitens organisieren wir jedes Jahr Pilgerreisen ins Heilige Land, geleitet von Priestern von CL, so wie es auch unser Gründer Don Luigi Giussani im September 1986 getan hat. Dazu gibt es einige Memores Domini, die von der Kustodie des Heiligen Landes eingesetzt werden. Und wir arbeiten mit Realitäten zusammen, die im Mittleren Osten aktiv sind, wie zum Beispiel die Organisation Pro Terra Sancta.
Nicht nur Beten, sondern auch Fasten, fordert der Patriarch...
Fasten ist Hingabe. Es ist eine Art, demjenigen, der das für uns Unmögliche tun kann, zu sagen: Wir stellen uns zur Verfügung. Comunione e Liberazione folgt dem weltweiten Appell, indem es sich den in den Diözesen geförderten Initiativen anschließt oder sie gemeinsam mit anderen Realitäten der katholischen Laien organisiert.
Wie kann in einer säkularisierten Gesellschaft wie der unseren angesichts der Ungeheuerlichkeit von Gewalt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit, die scheinbar das alleinige und letzte Wort über die Angelegenheiten der Völker haben, der Weg des Gebets und des Fastens glaubwürdig und praktikabel gelebt werden?
Wir alle sind schockiert über die Gewalt und die Grausamkeiten, von denen wir hören, und ich empfinde natürlich das Recht Israels, sich zu verteidigen, nach. Was Papst Franziskus und Patriarch Pizzaballa einzuführen versuchen, ist eine neue Logik. Eine Logik, die die Spirale unterbrechen kann, in der es angesichts des Bösen – so oft menschlich unerklärlich – unmöglich scheint, auf Gewalt und Krieg anders zu antworten als mit noch mehr Gewalt und noch mehr Krieg. Deshalb ist es vernünftig, den Weg des Gebets und des Fastens zu praktizieren. Weil es uns dabei hilft, unseren Blick zu ändern, indem wir uns demjenigen anvertrauen, der uns einen anderen Weg gezeigt hat. So wie es in der Person von Jesus geschehen ist; in seiner Lehre vor allem. „Die andere Wange hinhalten“ ist für den Menschen von heute Wahnsinn. Aber diese Haltung findet ihre Berechtigung, wenn man mit Taten und nicht nur mit Worten zeigt, dass es einen Blick auf den Menschen gibt, der das tiefe Bewusstsein asudrückt, dass auch der andere eine Bestimmung zum Guten hat, über die ich nicht verfügen kann. Und dann ist da noch das Kreuz. Christus nimmt alles Böse und alle Sünde eines jeden Menschen auf sich, auch heute noch, und er bezahlt mit seinem Blut den Preis für das Blut, das wir vergießen. Wenn Christus dies getan hat, ist es am vernünftigsten, ihm heute all unsere Schwäche und Unfähigkeit anzuvertrauen, die er durch sein Opfer bereits erlöst hat.
Das Interview ist in der italienischen Zeitung "Avvenire" erschienen