Ein neues Bewusstsein vom Wert des Lebens
Am 16. September fand neben Berlin auch erstmals in Köln ein Marsch für das Leben statt. Ein Erfahrungsbericht.Die Initiative, die nicht partei-politisch konnotiert ist, zielt darauf ab, für das Recht auf Leben als einen Wert an sich einzutreten, von der Zeugung bis zum natürlichen Tod des Menschen, eines jeden Menschen. Einige Angehörige der Gemeinschaft von CL in Köln haben an dem Marsch für das Leben teilgenommen, um die Möglichkeit zu bekräftigen, diese Werte frei zu verkünden und darüber zu reden.
Ich war noch nie auf dem Marsch für das Leben und hatte seit Jahren den Wunsch, mir selbst ein Bild davon zu machen. So kamen wir am 16. September etwas verspätet zum Heumarkt und fanden dort eine große Menge froher und friedlicher Menschen jeden Alters. Eine Rednerin auf der Bühne sprach gerade davon, dass eine Schwangerschaft eine schwere Konfliktsituation sein kann und die Schwangere deshalb in erster Linie Einfühlsamkeit und Unterstützung braucht.
Unter den 2800 Teilnehmern des Marsches sah ich sieben oder acht Personen mit Fahnen irgendwelcher Organisationen, die ich nicht kannte. Alle übrigen Plakate drehten sich um das Thema, dass jeder Mensch einmalig und wertvoll ist, dass jeder Mensch Liebe braucht und Liebe schenkt, Eltern wie Kinder. Besonders gefiel mir das Foto eines strahlend lächelnden Kindes mit Down-Syndrom und dem Text „Ich bin besonders!“
Um uns herum zornige Gegendemonstranten, unter anderem mit Fahnen der Grünen und der Jusos. Sie skandierten „Haut ab! Haut ab!“ und machten nach Kräften Lärm, damit man die Rednerin möglichst nicht hören konnte. Zwischen uns und ihnen eine dichte Reihe Polizisten, die verhinderten, dass die deutlich zur Schau gestellte Aggressivität in körperliche Gewalt umschlagen konnte.
Viel weiter als 200m kamen wir nicht, dann hatten die Gegendemonstranten uns eingekesselt. Da standen wir dann stundenlang in der sommerlichen Hitze – und zwar weiterhin froh, friedlich und gelassen. Ohne eine Spur von Abneigung gegen den zunehmend aggressiven Mob um uns herum.
Am Ende kehrten wir zum Heumarkt zurück, weil, so hieß es, nicht genug Polizei da war, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Obwohl der Marsch nur bis 16:00 geplant und es inzwischen fast 18:00 war, hatten viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer bis zum Ende ausgeharrt. Die junge Dame, die das Programm moderiert hatte, schloss den Marsch mit der Einladung „Geben Sie Zeugnis dort, wo Sie sind!“
Für mich persönlich war der Marsch ein verstörendes und bereicherndes Erlebnis. Verstörend war es, so unmittelbar mit der Aggression der Gegendemonstranten konfrontiert zu werden, denen ich nichts getan habe und die überzeugt sind, dass ich das Böse schlechthin verkörpere, das mit allen Mitteln bekämpft werden muss.
Bereichernd hingegen das Zeugnis der Teilnehmer, Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten und angesichts einer Mauer des Hasses die Freude über das Leben zu bezeugen – einmal im Jahr auf dem Marsch für das Leben und jeden Tag dort, wo wir sind.
Ein erstes Urteil
Wir leben nicht außerhalb der Wirklichkeit, und es ist uns völlig bewusst, dass für viele Frauen eine ungewollte oder mit Risiken verbundene Schwangerschaft, womöglich gar als Folge einer Vergewaltigung, ein existenzielles Drama darstellt. Wir sind aber gewiss, dass die Vernichtung eines unschuldigen Lebens dieses unermessliche Drama nicht auflöst, sondern im Gegenteil verschärft. Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke schreibt in seinem Grußwort: „Doch das Recht auf Leben ist keine ausschließlich religiöse Idee, sondern ein Menschenrecht, das auch die Ungeborenen einschließt, wie unser Bundesverfassungsgericht ausdrücklich und verbindlich festgehalten hat.“(1)
Was vor und während des Marsches passiert ist, hat deutlich gezeigt, dass starke Kräfte in der Gesellschaft uns und unsere Sicht nicht tolerieren wollen. Wir wollen aber nicht dabei stehen bleiben, darüber zu klagen.
So heißt es im Grußwort der Evangelischen Allianz: „Um die junge Familie zu unterstützen, müsste ein neues Bewusstsein über den Wert des Lebens geschaffen werden. Und genau hier liegt die Verantwortung und der Gestaltungsrahmen eines jeden Einzelnen von Euch und Ihnen: lassen Sie uns das Gespräch suchen, nicht schweigen und nicht eher nachlassen, bevor Kinder und Frauen entsprechend ihrer Würde behandelt werden. Aber lassen Sie uns das Gespräch in Liebe und Verständnis suchen. Bedrängnis und Zwang haben noch nie zu nachhaltiger Veränderung geführt. Die Kraft der Liebe und Wahrheit jedoch durch die gesamte Menschheitsgeschichte erkennbar schon.“(2)
Wir sind also aufgerufen zu einem neuen Aufbruch. Es liegt an uns zu bezeugen, dass die Begegnung mit dem Ereignis Christi eine allesentscheidende Wende im Leben eines Menschen sein kann, heute wie vor 2000 Jahren.
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(1) Eichstaett-Marsch-fuer-das-Leben-2023.pdf
(2) Grusswort2023FrankHeinrich.pdf