Lissabon. Zehntausende junge Menschen auf dem jüngsten Weltjugendtag (Catholic Press Photo)

Die jungen Menschen und Weihnachten. Ein Ideal, auf das man setzen kann

„Die Asche unserer Träume wird vom einzigen Ideal getroffen, das den Auswirkungen des Bösen und der Zeit standhält: Gott selbst ist uns entgegengekommen“. Brief von Davide Prosperi an die Zeitung Corriere della sera
Davide Prosperi

Sehr geehrter Herr Chefredakteur, ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einigen Studenten, und die erste Frage, die sie mir stellten, lautete: „Wie lebt man eine Liebesbeziehung, wenn wir doch alle schwach und verräterisch sind?“ Junge Menschen fühlen sich mit der Verantwortung für die Zukunft der Gesellschaft belastet, vor allem wenn sie ins Zentrum dramatischer Ereignisse geraten, wie wir sie in diesem Jahr erlebt haben: Der schreckliche Angriff vom 7. Oktober, die Kriege, die nicht enden wollen, brutale Gewalttaten im Namen einer verlogenen Liebe, die in Wirklichkeit eine Unterwerfung ist. Hierzu gibt viele Analysen: Demnach tun sich junge Menschen schwer, die Welt um sie herum zu begreifen; sie sind zerbrechlicher und haben Schwierigkeiten zu verstehen, was sie wollen und wer sie sein wollen; sie leben lieber in der virtuellen als in der realen Welt, und so weiter. Ich möchte den Wert dieser Interpretationen nicht beurteilen. Aber ich habe den Eindruck, dass wir uns fast immer mit den nebensächlichen Ursachen oder Folgen dieses Unbehagens befassen. Nur selten interessieren wir uns für den Ursprung.
Vor dreißig Jahren sagte Don Giussani zu einigen jungen Leuten: „Es ist eine Lüge, wenn man zur eigenen Freundin sagt: ‚Ich liebe dich‘, sich dabei aber nicht die Erfüllung ihrer Bestimmung wünscht.“ Was bedeutet es, den anderen „um seiner Bestimmung willen“ zu lieben? Jeder wünscht sich zu „lieben“. Es liegt in unserer Natur, das Glück für sich selbst und uns nahestehende Menschen zu wünschen. Doch oft überwiegt die Enttäuschung oder die Angst, diesen Wunsch nicht aufrecht erhalten zu können. Daher geben wir uns bestenfalls mit dem zufrieden, was jeder anbieten kann, um dem Leben etwas von seiner Verbitterung zu nehmen. Allerdings endet dies oft in dem Willen, den anderen zu besitzen, und damit in Gewalt. „Es gibt kein Ideal, dem wir uns opfern können, für das wir uns wirklich einsetzen könnten, denn wir wissen, dass sie alle lügen – wir, die wir nicht wissen, was die Wahrheit ist“. Diese Feststellung von André Malraux eröffnet einen Ausweg aus diesem Kurzschluss. Was heute am meisten zu fehlen scheint, ist ein großes Ideal, für das man sein Leben einsetzt. Anders ist die Angst so vieler Paare, Kinder zu bekommen, nicht zu erklären.
Aber wann ist ein Ideal wahr? Wann verwandelt es sich nicht in einen Traum oder eine Ideologie? Hat Malraux Recht, wenn er sagt, dass wir nicht wissen, was die Wahrheit ist, oder ist der tiefe, authentische Wunsch nach dem Guten, der in jedem Herzen steckt, ein Zeichen dafür, dass eine Wahrheit existiert und die Wirklichkeit keine Täuschung und kein Spiel der Interpretationen ist? Junge Menschen zu einer Erwartungshaltung zu erziehen, zu einer positiven Offenheit sich selbst und der Wirklichkeit gegenüber, ist meiner Meinung nach der erste Schritt, um sie in die Lage zu versetzen, jene konkreten Zeichen zu erkennen, die zeigen, dass nicht alles eine Illusion ist. Ich spreche als Vater, als Hochschullehrer und als Verantwortlicher für eine Wirklichkeit, die so viele junge Menschen zusammenführt. Deshalb ist mir natürlich klar, dass wir Erwachsene zunächst selbst diese Haltung einnehmen müssen, um glaubwürdig zu sein: Was kann ein junger Mensch erwarten, wenn sein Vater oder seine Mutter oder seine Lehrer für sich selbst ohne jede Erwartung leben?
Zur Weihnachtszeit wird dieses Warten spürbar. Vor zweitausend Jahren warteten die Hirten in Bethlehem, und mit ihnen die gesamte Menschheit, auf eine Veränderung, die sie nicht benennen konnten. Und genau auf diese Erwartung antwortet die Verkündigung von Weihnachten auch heute: „Die Bestimmung, aus der ich hervorgehe und auf die ich ausgerichtet bin, mein Anfang und mein Ende, ist Einer unter uns geworden (...). Christus ist derjenige, ohne den der Mensch und die ganze Wirklichkeit verschwinden. Und was bleibt ist dann nur der kurze Anstoß des Augenblicks – ob Freude oder Schmerz –, den die Zeit einäschert.“ (Don Giussani). Die Asche unserer Träume wird vom einzigen Ideal getroffen, das den Auswirkungen des Bösen und der Zeit standhält: Gott selbst ist uns entgegengekommen. Die Bestimmung ist nicht mehr das unerreichbare Blendwerk der Erfüllung unserer Träume, die ebenso unbeständig wie unsicher sind. Die Bestimmung ist zu einem Wegbegleiter geworden, in einer Freundschaft, in der wir immer wieder überprüfen können, ob der Weg wahr und für uns bestimmt ist. In diesem Sinne eröffnen die Worte des Papstes auf dem jüngsten Weltjugendtag einen idealen Horizont, auf den zu setzten sich wirklich lohnt: „Zu euch, junge Menschen, die ihr große Träume hegt, die aber manchmal von der Angst getrübt werden, sie nicht verwirklicht zu sehen (...) sagt Jesus heut: Fürchtet euch nicht!“