Weihnachten 2011: Mindestens 39 Gottesdienstbesucher starben durch eine Bombe in der vollbesetzten Kirche St. Theresia in der Nähe von Abuja, Nigeria.© EPA/Ansa

Der Preis der Freiheit

Die Märtyrer unserer Zeit: Von Nigeria bis Pakistan, Geschichten von Menschen, die wegen ihres Glaubens umgebracht oder inhaftiert wurden.
Francesco Leone Grotti *

Es war ein Schuss, der Michael Nnadi mitten in der Nacht am 8. Januar 2020 aufweckte. Der 18-Jährige wusste wie alle anderen jungen Männer des Priesterseminars Good Shepherd (‚Guter Hirte‘) in Kaduna im Norden Nigerias, was die Explosion bedeutete: Eine Bande bewaffneter islamischer Terroristen war eingebrochen, um so viele Seminaristen wie möglich zu entführen. Das war kein Einzelfall: Seit 2018 fordern die Angriffe der Fulani-Banditen in diesem Land mehr Opfer als die von Boko Haram. Christen sind das Hauptziel: Einer Studie der lokalen Beobachtungsstelle für Religionsfreiheit in Afrika zufolge wurden zwischen 2019 und 2022 mindestens 10.251 Christen getötet und 5.572 entführt. In jener Nacht wurde der junge Michael, der erst seit einem Jahr im Seminar war, mit drei Mitbrüdern in den Busch entführt – nachdem sie fünf zermürbende Stunden unterwegs waren, vier zu Fuß und eine mit dem Motorrad. Die Terroristen ließen sie den ganzen Tag mit verbundenen Augen unter einem Baum liegen und schlugen sie gnadenlos in den Rücken und auf den Kopf. Sie zwangen die Seminaristen, nach Hause zu telefonieren und Lösegeld zu fordern, während sie sie gleichzeitig schlugen, so dass ihre Familien ihre Schreie hören konnten.
Zur Belustigung wurden die jungen Männer am Abend gezwungen, wie Clowns zu singen und zu tanzen, zu muhen und zu blöken. Die Seminaristen hatten Angst. Nur einer hatte den Mut, sich zu äußern: Michael, der „während der ganzen Gefangenschaft nicht aufhörte, die Terroristen zur Umkehr aufzufordern, Gott um Vergebung zu bitten und seinem Willen zu folgen“, erzählt Samuel Kanta Sakaba, Vizerektor des Seminars Good Sheperd in Kaduna.

Diese Worte verärgerten die Terroristen und trieben sie zu noch mehr Grausamkeit an. Einer von ihnen war jedoch vom klaren Glauben des jungen Mannes so beeindruckt, dass er ihn ansprach und ihm Fragen über das Christentum stellte, bis hin zur Bitte: „Bring mir das Vaterunser bei“. Das war am 27. Januar. Am nächsten Tag „wurde Michael weggebracht und erschossen“. Vier Tage später wurden die anderen Seminaristen freigelassen: „Sie haben ihn getötet, nur weil er katholisch war“, berichteten sie, als sie nach Hause zurückkehrten. „Es war das Blut, das er vergossen hat, das uns befreit hat: Er war es, der den Preis für unsere Freiheit bezahlt hat“.
Heute liegt Michael vor dem Priesterseminar Good Sheperd in Kaduna begraben und sein Grab ist bereits zu einem Pilgerziel in Nigeria geworden. „Michael ist ein Märtyrer“, erklärt Pater Sakaba. „Wie der heilige Stephanus gab er sein Leben, um den Terroristen die Botschaft Christi zu bringen und sie zur Umkehr zu bewegen. Wie Jesus dachte er daran, die zu retten, die ihn kreuzigen wollten. Wir hoffen, dass er bald heiliggesprochen werden kann“. Mit Ausnahme seines Zwillingsbruders Raphael waren alle in Nigeria vom Mut dieses jungen Mannes, der Vater und Mutter verloren hatte, überrascht: „Er war ein bescheidener, geselliger, halbwegs ernsthafter Mensch: Er wollte immer Priester werden. Er lehrte uns, was wahre Liebe ist: sein Leben für seine Freunde zu geben“.
Das Gleiche hat ein anderer junger Mann, Akash Bashir, der am 22. Juni 1994 in Pakistan geboren wurde, auf der anderen Seite der Welt getan. Er war in theoretischen Fächern nicht gut und schrieb sich am Don Bosco Boys' Technical Institute in Lahore ein, der Hauptstadt der Provinz Punjab, die oft Schauplatz von Angriffen gegen die kleine christliche Minderheit ist. Hier, so Pater Nobal Lal, Rektor der Schule, „entwickelte er durch das salesianische Charisma eine tiefe Liebe zu Christus“ und beschloss deshalb, „zum Schutz und zum Dienst an der Gemeinschaft“ dem Team beizutreten, das jeden Sonntag den Sicherheitsdienst vor der St. John’s Church in Youhana-bad, dem christlichen Viertel von Lahore, übernahm.

Am Sonntag, den 15. März 2015, waren mehr als tausend Gläubige in der Kirche. Ein Mann, der auf das Gebäude zurannte, versuchte hineinzukommen. Akash versperrte ihm den Weg. „Ich habe einen Sprengstoffgürtel“, rief der Terrorist ihm zu. „Ich werde sterben, aber ich werde dich nicht in diese Kirche lassen“, antwortete Akash, umarmte ihn und wurde mit ihm in die Luft gesprengt. „In einem Sekundenbruchteil entschied sich der junge Mann, sein Leben zu geben. Er lebte sein ‚Hier und Jetzt‘ mit Gott, im tiefen Glauben an ihn“, erklärt Pater Lal. Akash ist der erste Diener Gottes Pakistans; die diözesane Phase für den Seligsprechungsprozess endete vor drei Monaten. „Wir hoffen, dass er bis Ende 2024 zum Märtyrer erklärt wird“, sagte der Erzbischof von Lahore, Monsignore Sebastian Francis Shaw. „Akash hätte sich selbst retten können, stattdessen gab er sein Leben, um mehr als tausend Menschen zu retten. Ohne ihn wäre es zu einem Massaker gekommen. Wir danken Gott, dass er uns diese Freude geschenkt hat“.
Er hätte weglaufen können, Akash, aber er tat es nicht. Genau wie Jimmy Lai. Der brillante Unternehmer, der in China geboren wurde und als Kind nach Hongkong kam, wo er ein erfolgreiches Verlagsimperium aufbaute, hätte dank seines Doppelpasses nach London fliehen und als Millionär ein unbeschwertes Leben haben können. Als die chinesische Regierung am 1. Juli 2020 das Nationale Sicherheitsgesetz über die Insel verhängte und die Stadt in ein Freiluftgefängnis verwandelte, wusste Lai, wie es enden würde. Da er immer für Freiheit und Demokratie gekämpft hatte, hatte er keine Zweifel an der Zukunft, die die Kommunistische Partei für ihn bereithalten würde. Als er 1997 zum Katholizismus konvertierte, entschied sich Lai jedoch, nicht wegzulaufen, sondern „zu bleiben, um die Freiheit und die Menschenrechte aller Bürger zu verteidigen: Das hat ihn sein Glaube gelehrt“, sagt sein Sohn Sebastien. Der 76-jährige Lai ist das Symbol des friedlichen Widerstands gegen die Unterdrückung in Hongkong und sitzt seit mehr als 1.260 Tagen im Gefängnis.

Nigerianische Kirche durch Anschlag verwüstet. © Pius Utomi Ekpei/Ansa

Die Verteidigung der Demokratie ist für Peking ein schweres Verbrechen, und die lächerliche Anklage „geheime Absprachen mit ausländischen Kräften zur Untergrabung des Staates“ könnte ihm sogar eine lebenslange Haftstrafe einbringen. Freunde, die den Geschäftsmann im Gefängnis besuchen können, versichern, dass er in Frieden lebt: Lai zeichnete Kruzifixe, bis die Wärter ihn an der Darstellung heiliger Motive gewaltsam hinderten. Eines davon, das in seiner Schlichtheit großartig ist, wird jetzt in Washington in der Kapelle der Katholischen Universität von Amerika ausgestellt, die dem Erzengel Michael gewidmet ist. Seinem Sohn Sebastien zufolge „bezahlt mein Vater auch für seinen Glauben: Wäre er nicht katholisch gewesen, wäre er nicht zu so vielen Jahren Gefängnis verurteilt worden“. Jimmy Lai hat nie davon geträumt, ein Held zu sein. Was ihn bewegte, war eine viel einfachere Motivation, wie er sich selbst 2020, zwei Monate vor seiner Verhaftung, erinnerte: „Gott hat einen Plan für uns alle, und wenn du deine Bestimmung in Gottes Hände legst, wenn du akzeptierst, von ihm abhängig zu sein, fühlst du dich ganz leicht, mit weniger Druck auf den Schultern. Gott hat mir so viel gegeben und ich empfinde unendliche Dankbarkeit“.

* Journalist für Tempi.