Glück und Leidenschaft in der Arbeit
Der Manager Stefano Dell'Orto spricht über die „Leidenschaft für andere“, die seine Arbeit prägt. „Trotz aller Grenzen bin ich auch dort umfangen einer unverdienten Liebe.“Zahlen, Bilanzen, Unternehmensberichte, das ist seit fast vierzig Jahren Stefano Dell‘Ortos Arbeitsgebiet, zunächst als Geschäftsführer und jetzt als Präsident von Deloitte & Touche in Italien, einer der führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. „Das Schönste an meinem Job sind die Beziehungen. Auch wenn es sich um einen Kontext handelt, der starke Spannungen mit sich bringen kann, wie es manchmal der Fall war, hat es mich befreit, dass weder ich noch die Menschen, die ich von Zeit zu Zeit vor mir hatte, durch diese schwierigen Umstände definiert sind. Ich hatte immer eine Leidenschaft für andere“, erklärt er zu Beginn unseres Gesprächs.
Lassen Sie uns genau von dieser „Leidenschaft für andere“ ausgehen.
Gut zu arbeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln, gute Arbeitsbeziehungen aufzubauen, das sind menschliche Bestrebungen, die dazu beitragen, unseren Wunsch nach Selbstverwirklichung zu befriedigen. Aber manchmal reicht das nicht. Das merkt man, wenn man Enttäuschungen erlebt, auf Schwierigkeiten stößt, die man nicht überwinden kann. Oder ganz einfach, wenn man Entscheidungen trifft und Fehler macht, was eine menschliche Eigenschaft ist. Wenn ich solche Situationen erlebte, war es für mich wichtig, innezuhalten, einen Schritt zurückzutreten und zu erkennen, dass ich trotz aller Grenzen offensichtlich umfangen bin von etwas sehr Gutem, einer unverdienten Liebe, die ich in mir spürte. Dieses Bewusstsein ist die Frucht der religiösen Erziehung, die mir meine Eltern mit auf den Weg gegeben haben und die auch ich in der Begegnung mit den Freunden der Bewegung erfahren habe. Das ist nicht etwas, das man ein für alle Mal besitzt, es braucht Zeit und ständig neue Ausrichtung. Aber es hat es mir ermöglicht, bestimmte Entscheidungen zu treffen oder andere zu unterlassen und die Verantwortung, die mir übertragen wurde, umfassend zu leben. Und ich muss sagen, dass ich mich auch geliebt und bevorzugt fühlte, wenn es darum ging, diese Verantwortung gegenüber den Menschen wahrzunehmen.
In welchem Sinne?
Ich denke da vor allem an junge Menschen. Nach der Covid-Pandemie gab es nicht nur in unserem Unternehmen eine Flucht von Menschen, vor allem von jungen Menschen. Oft war es ein „Wechsel um des Wechsels willen“, ohne klaren Grund, eine Unruhe, auf die ich auch heute noch oft treffe. Ich habe, wenn auch nicht immer erfolgreich, versucht, das Glück und die Leidenschaft zu vermitteln, die ich in meiner Arbeit erlebe – die für einige unserer jungen Leute nur noch eine Beschränkung darstellt. Ich glaube, das war eine große Herausforderung, die in mir das Bewusstsein für die Gaben vertieft hat, die ich erhalten habe. Aber es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt, der meinen Weg bei der Arbeit kennzeichnet.
Nämlich?
Die Erkenntnis, dass die berufliche Position, die du erreicht hast, die Güter, die du verwalten darfst, ja sogar die Verantwortung für andere Menschen und die Macht, die dir anvertraut wurde, nicht nur das Ergebnis deiner eigenen Fähigkeiten sind, sondern eine Gabe, etwas, das dir geschenkt wurde. Das ist für mich ein grundlegender Aspekt. Er hat es mir ermöglicht, das Unternehmen als ein Werk zu sehen, das vielen Menschen Arbeit gibt und ihnen hilft, menschlich und beruflich zu wachsen und sich selbst zu verwirklichen. Man wird zum „Bewahrer“ seiner Arbeitsstelle oder Firma, die ein Gut darstellt. Es geht nicht nur um einen Perspektivwechsel, sondern dieser erlaubt einem, frei zu sein in dem, was man tut. Die Religiosität hinterfragt das reine Besitzen, wie Giussani in Der Religiöse Sinn sagt: „Darum ist der einzige Einspruch wider die Sklaverei der Macht die Religiosität.“ Wir sind Menschen und bleiben oft in unseren Fehlern gefangen. Aber diese Perspektive ist auch eine Chance, auf intelligente Weise kreativ zu werden.
„Die berufliche Position, die man erreicht hat, die zu verwaltenden Güter, sogar die Verantwortung gegenüber den Menschen und die Macht, die einem anvertraut wurde, sind nicht nur das Ergebnis der eigenen Fähigkeiten, sondern werden einem gegeben. Diese Erkenntnis ermöglicht es, frei in dem zu sein, was man tut.“
Können Sie ein Beispiel nennen?
Während der Pandemie mussten fast alle unsere Mitarbeiter online arbeiten. Ich hatte die Sorge, dass sie sich vernachlässigt fühlen würden, vor allem die jüngeren, die gerade erst mit der Arbeit angefangen hatten. Ich fühlte mich ihnen gegenüber verantwortlich, da sie mit etwas klarkommen mussten, das sie nicht kannten. Also schickte ich allen jede Woche eine Nachricht und versuchte, das, was wir alle erlebten, aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Es wurde zu einer Art Jour fixe für alle. Aber ich suchte nicht nur in mir nach Worten, sondern holte mir Hilfe bei der Einsicht und den Erfahrungen, denen ich in der Bewegung begegnet bin, und das gab mir eine Methode. Wenn etwas geschah bei der Arbeit, versuchte ich es zu beurteilen mit Hilfe der Schriften von Giussani. Ich zeigte den Text dann meiner Frau und einem Kollegen und sprach mit ihnen über diese Aspekte. Es war eine Aufmerksamkeit gegenüber der Wirklichkeit in der Weise, wie ich meine Verantwortung und die Beziehung zu anderen lebte. Das ist etwas, das ich auch in letzter Zeit erlebt habe.
Inwiefern?
Vor etwa einem Jahr näherte ich mich dem Ende meiner Amtszeit als Geschäftsführer und sollte das Amt des Präsidenten übernehmen. Für die Übergabe organisierte ich einen Workshop außerhalb unseres üblichen Rahmens, bei dem ich die alte und die neue Führungsriege zusammenbrachte. Ich bat die einen, ihre Eifersüchteleien und Vorbehalte beiseitezulassen und ihr Wissen weiterzugeben. Die anderen bat ich, bei dem Neuen, das sie sicherlich einführen wollten, das Erbe, das ihnen nun überantwortet werde, mit gerechtem Blick und Dankbarkeit zu betrachten. Alle sollten zusammenwirken zum Wohle des Unternehmens, aber vor allem zum Wohle der Menschen, die es ausmachen. Ich weiß nicht, ob es funktioniert hat, aber ich fühlte mich dabei jedenfalls authentisch und frei.