BIS AN DIE GRENZEN DER ERDE - AUSTRALIEN
Kleine Gemeinschaften, teilweise noch sehr jung, verstreut über ganz Australien, erhalten unerwartet Besuch von Julián Carrón. Eine Reise zu Freunden, ohne offizielles Programm. Etwas ganz Einfaches, das die Sehnsucht wieder weckt.Ende Januar bekamen John Kinder und Father John O’Connor folgende E-Mail: „Julián möchte zu Ostern eine Woche nach Australien und Neuseeland kommen. Passt euch das? Wenn ja, setzt euch mit ihm in Verbindung.“
Father John aus Neuseeland antwortete sofort: „Wonderful news!“ Es schien ihm fast wie ein Wunder: Trotz der vielen Orte, an denen die Bewegung deutlich stärker präsent ist, entscheidet sich ihr lieber Freund, ans andere Ende der Welt zu fahren und eine Gemeinschaft zu besuchen, die aus fünf Personen besteht: Matthew und Lucia mit ihren drei Kindern in Ashburton. Tausend Kilometer weiter wohnt noch die Familie von Martin und Alison. Sie stammen aus Irland und leben seit einem Jahr in Neuseeland. Und schließlich Father John, der ständig unterwegs ist zu den weit verstreuten Kirchen der riesigen Pfarrei in North Canterbury, die ihm der Bischof anvertraut hat. Er ruft Matthew an: „Carrón kommt drei Tage zu uns. Vielleicht lohnt es sich, eine öffentliche Vorstellung der Bewegung zu organisieren. Was hältst du davon?“ „Wir haben so was nie gemacht. Das war nie nötig. Er kommt, um uns persönlich zu besuchen und Zeit mit uns zu verbringen.“
In Perth, Australien, plant John die Stationen der Reise. Es sind nur ganz wenige Tage. Welche Städte soll Carrón besuchen? Wo wie lange bleiben? Nichts ist selbstverständlich oder formal. Doch schließlich siegt der Wunsch, einfach mit ihm zusammen zu sein. Sie wollen ihm den kleinen Samen zeigen, der in einigen Städten Australiens schon Wurzeln geschlagen hat: ungefähr vierzig Leute in Perth, eine kleine Gruppe in Melbourne, ein paar Freunde in Newcastle und Sydney… Es sind kleine Gemeinschaften, teilweise noch sehr jung, aber sie tragen das einzige in sich, wofür es sich zu leben lohnt: die Begegnung mit Christus.
Alle freuen sich auf den Freund und Weggefährten. Er kommt nur, wie er selbst vor der Abfahrt sagt, „weil ich als Freund das Bedürfnis habe, meine Freunde zu besuchen und ein Stück Leben mit ihnen zu teilen. Dann wird alles konkreter.“
NEUSEELAND
Dienstag, 12. April 2014. Lucia schaut zum Himmel: Die Wolken hängen dicht. Es ist Herbst geworden. Seit 2008 wohnen Matthew und sie in Ashburton, einer kleinen Stadt mit 20.000 Einwohnern. Wer in den Süden der Insel will, muss durch Ashburton durch. Lucia ist Italienerin, Matthew Neuseeländer. 2001 haben sie sich kennengelernt, als Lucia, wie durch Zufall, ihre Eltern auf einer Reise nach Neuseeland begleitete. Über John Kinder hatten sie damals von Matthew gehört, der erst kurz zuvor die Bewegung kennengelernt hatte. Dann geschah so einiges: Ihre Freundschaft verwandelte sich in Liebe. Matthew beschloss, in Dublin Arbeit zu suchen, um Lucia näher zu sein. Daraus entstand die Freundschaft mit Margaret und Mauro Biondi und weiteren Freunden der Bewegung in Irland. 2003 heirateten sie und kehrten schließlich nach Ashburton zurück. Lucia hatte der Bewegung immer mit einer gewissen Distanz angehört. Doch dann wurde die Erfahrung immer lebendiger, und führte sie schließlich an das andere Ende der Welt.
„Lucia, wann kommen deine Freunde?“ Fiona, die Nachbarin, reißt sie aus ihren Gedanken. Im Laufe der Jahre sind die beiden enge Freunde geworden. Fiona ist zwar nicht katholisch, aber das macht nichts. „Ich glaube, bald. Kommst du heute Abend?“ „Klar. Nach dem Abendessen. Da sind sie schon!“ Das Auto hält und Carrón steigt aus. Bei ihm sind Margaret und Mauro, die Freunde aus Dublin, die auf Geschäftsreise in Neuseeland sind und beschlossen haben, Julián zu begleiten. Lucia umarmt alle. Plötzlich fängt es an zu regnen. Und der Regen hält auch die nächsten drei Tage an, so dass sie alle Pläne umwerfen müssen.
Zum Abendessen kommen auch Father John, Martin und Alison, Clara, eine Italienerin, die in Christchurch arbeitet, ein Priesteramtskandidat aus Vietnam und der Pfarrer der Gemeinde. Man tauscht sich über alles Mögliche aus und erzählt einander seine Lebensgeschichte. Carrón hört zu und stellt Fragen. Father John beobachtet das alles und denkt: „Es ist doch toll, wie die Freundschaft mit Christus alles andere umschließt.“ Dann kommt Fiona dazu und erzählt Mauro ihre Geschichte: wie sie aus Zimbabwe geflohen ist, dass ihr Mann gestorben ist und sie nun ihre vier Kinder alleine großziehen muss, und von ihrer Begegnung mit Lucia. So vertraut, als kennten sie sich schon ewig. Der Pfarrer bedankt sich, bevor er geht, bei Matthew für den schönen Abend. „Und das“, sagt Lucia, „obwohl er früher immer so skeptisch war der Bewegung gegenüber. Er fand unsere Spiritualität ein bisschen komisch.“
Am nächsten Tag fahren sie zu dem Ort, an dem Der Herr der Ringe gedreht wurde: eine unglaublich schöne Landschaft, wenn es nicht ständig regnen würde. Der Nebel hüllt die Hügel ein. Sie müssen früher als geplant zurückkehren. Carrón geht einfach mit, schaut sich um und plaudert mit den Leuten. Ihm fällt besonders die Freundschaft zwischen Martin, Matthew und Father John auf. „Ihr habt alles, was man braucht zum Leben“, sagt er. Matthew erzählt von seinem früheren Chef: „Als ich ihm vor drei Jahren sagte, dass ich mich selbständig machen wolle, erwartete ich, dass er sich aufregen würde. Er ist nämlich ein sehr jähzorniger Mensch. Doch er fragte nur, ob ich ihm Bücher über den Glauben empfehlen könne. ‚Bei dir sieht man, dass du gläubig bist‘. Dabei hatte ich ihm nie von der Bewegung erzählt.“ Am letzten Tag feiern sie die Gründonnerstagsmesse zusammen. Dann gehen sie in das Pub, wo Matthew und John sich immer zum Seminar der Gemeinschaft treffen. Es liegt auf halbem Weg für beide. „Martin schalten wir per Telekonferenz zu!“ Carrón lacht. Dann fahren sie nach Christchurch, um vor dem Weiterflug nach Australien noch den Bischof zu treffen. „Auf der einstündigen Fahrt haben wir geschwiegen. Das geht nur unter Freunden und wenn man etwas Tieferes gemeinsam hat“, meint Father John. Während Lucia dem Auto nachwinkt, sagt sie zu Matthew: „Weißt du, was Carrón mir gestern gesagt hat? ‚Ich bin deinetwegen gekommen‘. Einfach so.“
MELBOURNE
Am Flughafen warten Francesco und zwei australische Freunde auf Julián. Francesco ist Ingenieur und im Rahmen eines Forschungsprojektes für drei Jahre nach Melbourne gekommen. Dort lernte er Margaret kennen, sie heirateten und er blieb in Australien. „In Italien war ich genauso gerne. Aber ich bin den Zeichen nachgegangen, die Gott mir schickte: zuerst dem Beruf und dann der Frau.“ Ähnliches gilt für den unerwarteten Besuch von Carrón. Nachdem John Kinder es ihm gesagt hatte, rief Francesco alle Freunde in den anderen Städten an. Zunächst waren sie besorgt: Er bleibt nur einen Tag. Wie sollen wir das machen? Dann beschlossen sie, alle inklusive der Kinder nach Melbourne zu kommen.
Spät am Abend kommen sie bei Francesco an. Es bleibt gerade noch Zeit für einen kleinen Snack und eine kurze Unterhaltung. Am nächsten Tag ist ein Treffen im Seabrook Community Centre geplant. Ciellini aus Melbourne, Newcastle, Adelaide und Sydney sind gekommen. In manchen Städten sind sie nur zu zweit, meist junge Ehepaare, die aus beruflichen Gründen vorübergehend in Australien leben. In dem großen Saal begrüßt Carrón jeden einzelnen. Er stellt Fragen, macht Witze. Gegen 10 Uhr werden die Laudes gebetet, dann gehen die Kinder raus zum Spielen. Julián erzählt von sich, vom Eröffnungstag, von den Exerzitien der Fraternität.
Nach der Kaffeepause geht es weiter mit Beiträgen. Die Leute berichten von ihrer Erfahrung. „Ohne den Weg der persönlichen Aneignung des Glaubens, den du uns führst, könnte ich nicht als Christ leben.“ Das gilt in Australien wie überall. Egal, ob man zu zweit oder zu hundert ist. Carrón hört zu, schaut in die Gesichter und verspürt eine tiefe Zuneigung zu jedem einzelnen. „Die Bewegung schafft Personen, die auf eigenen Beinen stehen können. Hier sieht man einen kleinen Samen, manchmal auch nur vorläufig. Aber er wird Früchte bringen.“
Anschließend gemeinsames Mittagessen mit den Kindern. Julián fragt immer wieder: „Und du, was machst du?“ Dann kommt die Überraschung: Ein Mann betritt den Saal mit seinem „tragbaren“ Zoo: ein Opossum, ein Iguana, eine Eule und sogar ein Koalabär. Die Kinder sind aus dem Häuschen und wollen alle mit den Tieren fotografiert werden.
Anschließend bleibt noch Zeit für eine kurze Versammlung. Beim Einbruch der Dämmerung macht eine kleine Gruppe mit Julián einen Spaziergang am Fluss entlang, während andere das Abendessen vorbereiten. Jeder hat etwas mitgebracht. Es wird ein Fest. Am Ende gibt es noch ein Geschenk für Julián: ein von Ureinwohnern bemaltes Kreuz.
PERTH
Ostersonntag. Auf der Fahrt vom Flughafen nach Hause fragt John Carrón, ob das Programm okay sei, das sie für die drei Tage geplant haben. Der lächelt. „Passt etwas nicht?“, fragt er. „Ich bin euretwegen gekommen und verlasse mich ganz auf euch. Folg einfach dem, was sich ergibt, John.“ Nach der Messe mit den Freunden der Gemeinschaft gibt es ein Osteressen nach australischer Art: Lamm mit Minzsoße.
Montag, 7.30 Uhr. Laudes bei Sonnenaufgang im King’s Park. Ein wunderschöner Anblick. Alle sind da: Familien, junge Leute, viele Studenten, die John an der Universität kennengelernt hat, an der er lehrt. „Sie hatten großen Durst nach Sinn“, meint er. Das Frühstück findet im Freien statt. Anna geht auf Carrón zu. „Hi, bist du der aus dem Video?“ Julián lacht. Sie unterhalten sich. Jede Formalität ist abgefallen.
Die Versammlung findet im Pfarrsaal der Saint Thomas the Apostle-Kirche in Claremont statt. Zwei Stunden vergehen mit pausenlosen Fragen und Antworten. „Wie schafft man es, nicht bei einer menschlichen Freundschaft stehenzubleiben?“ Carrón: „Wie mit der Schönheit um euch herum, wie mit der Sonne heute Früh: Reicht euch das? Wenn sie nicht auf etwas anderes verweist, auf die Liebe Christi, dann bleibt sie leer. Klar, unter den fast ‚perfekten‘ Umständen hier fehlt euch nichts. Eure Sehnsucht ist vielleicht eingeschlafen. Aber wozu lohnt es sich wirklich zu leben?“ Steve meint: „Er ist gekommen, um unseren Durst zu wecken, nicht um ihn zu stillen.“
Im selben Saal findet das Mittagessen statt. Dann geht man auf die Suche nach Kängurus. Um sechs Uhr Spaziergang am Strand, Abendessen mit fish and chips. Schließlich ein Liederabend mit australischen Liedern und Liedern von CL im Haus von Trish. Ash blickt auf seine Freunde und auf diesen neuen Freund: „Hier ist unser Herz.“
Am nächsten Tag noch eine Versammlung. Eine Frage klingt etwas polemisch: „Warum lesen wir immer die gleichen Texte? Wäre es nicht besser, unseren Horizont zu erweitern?“ Ein Raunen geht durch den Saal. Carrón bedankt sich für die Frage: „Das ist sehr wichtig. Ich kann nur von meiner Erfahrung ausgehen. Ich habe den Wert meiner theologischen Forschungen erst entdeckt, als ich Giussani begegnet bin. Das bedeutet für mich eine totale Offenheit. Man geht von dem gleichen Ausgangspunkt aus. Wir sind auf dem gleichen Weg.“
Während sie am Flussufer einen Kaffee trinken, kommt John zu Carrón. „Wir haben einen Tisch in einem vietnamesischen Restaurant reserviert. Ich glaube, wir müssen los.“ Julián schaut sich um: „Hier ist es so schön. Warum essen wir nicht hier? Falls es geht.“ Und er setzt sein Gespräch mit ein paar Studenten fort. Man folgt den Umständen … Kurz darauf ist das Essen bereit. Schnell noch die Kathedrale besichtigt, und dann zum Flughafen.
Später zu Hause unterhält sich John mit seiner Frau Silvia über die vergangenen Tage: „Sie waren ganz normal. Man war auf alles Mögliche gefasst, dabei haben wir einfach einen Freund getroffen. Eine schlichte Freundschaft, erfüllt von der Gegenwart Christi.“