„DAS WERDEN WIR BEI DER SYNODE ERZÄHLEN“

„Ich werde über meine Dankbarkeit sprechen, die ich für diese 38 Ehejahre empfinde.“ Riyadh kommt aus dem Irak und wird mit seiner Frau Sanaa neben elf anderen Paaren bei der Bischofssynode in Rom sprechen.

Warum? Um zu bezeugen, dass das Leben eines Christen gut ist, selbst dort wo Krieg herrscht, die Freunde wegziehen und einen die Front des islamistischen Terrors überrollt.

Der Tigris, der große Fluss der Bagdad durchquert, fließt in einer Schleife um eine Halbinsel, die Karrada genannt wird. Karrada ist ein angesehenes Stadtviertel der irakischen Hauptstadt. Dort liegt das Hauptgebäude der Universität, das in den Fünfziger Jahren von dem Bauhaus-Architekten Walter Gropius entworfen wurde. Das Viertel galt immer schon als positives Beispiel für das Zusammenleben von Christen und Muslimen. Bis der Krieg und der Fundamentalismus in die Stadt kamen.

Riyadh und Sanaa Azzo wohnen in Karrada. Sie sind eines von zwölf Ehepaaren, die eingeladen wurden, bei der Familiensynode in Rom von ihren Erfahrungen zu berichten. Außer ihnen werden auch die Eheleute As Zamberline aus Brasilien, die Botolos aus dem Kongo und die Campos von den Philippinen sprechen, sowie die Conways aus Südafrika, die Gatsingas aus Ruanda und das Ehepaar Heinzen aus den USA. Die Bischöfe werden bei der Synode über Angelegenheiten beraten, die sie, also die Familie betreffen. Und die Ehepaare werden durch ihre persönlichen Lebensgeschichten dazu beitragen.

Der Weg der Schönheit. Die Azzos werden über die Erfahrungen ihrer 38 Ehejahre berichten. Über ihre beiden Kinder und die zwei Enkel. Sie werden über ihren Alltag berichten, und über die schwierigsten Jahre, die ihr Land je erlebt hat. Ihre Geschichte ist die eines normalen Lebens, das durch einen schlichten und aufrichtigen Glauben geprägt ist. Wenn man sie beide betrachtet und ihnen beim Erzählen zuhört, hat man den Eindruck, dass sie ein „schönes“ Paar sind. Und eben dieser „Weg der Schönheit“, die via pulchritudinis, sollte der Leitfaden für die Familienpastoral sein. So spricht das Instrumentum laboris der Synode von dem „Bedürfnis, die via pulchritudinis zu gehen, das heißt den Weg des Zeugnisses, das voll ist von der Anziehungskraft einer im Licht des Evangeliums [...] gelebten Familie.“

„Wir haben uns vor 44 Jahren kennengelernt, als Studenten“, erzählt Riyadh. „Ich habe damals Maschinenbau studiert und Sanaa Pharmazie.“ Es waren herrliche Tage in Bagdad, die Studenten trafen sich auf Festen, verbrachten ihre Nachmittage im Park und besuchten die Kirchen oder Moscheen. Die Jugendlichen wuchsen gemeinsam auf und der Alptraum des islamischen Fundamentalismus schien weit weg zu sein. „Zwei Jahre waren wir verlobt, und 1975 haben wir geheiratet. Zuerst wurde unsere Tochter Mayce geboren, dann unser Sohn Zayn.“



Das Leben in Karrada. „Die Jahre die wir zusammen verbracht haben, waren sehr schön, aber gleichzeitig auch schwierig“, sagt Sanaa. „Riyadh hat im Krieg gegen den Iran gekämpft, daher war ich für längere Zeit mit den Kindern allein zuhause. Trotzdem ist unsere Ehe gestärkt daraus hervorgegangen, dank unseres Glaubens und dadurch, dass wir am Leben der Pfarrei teilgenommen haben.“

In den 80er und 90er-Jahren verlief ihr Leben in Karrada ruhig und in einem toleranten Umfeld, mit Freunden, anderen Familien und Kollegen, von denen die meisten Muslime waren. Riyadh und Sanaa erinnern sich an die Zeit, in der es üblich war, dass Freunde sie zu den muslimischen Festen einluden und ihnen zu Ostern und Weihnachten gute Wünsche übermittelten. „Natürlich gab es Unterschiede in den Bräuchen oder in der Art zu leben, aber wir waren Freunde und mochten uns sehr.“ Jetzt ist es nicht mehr so. Nicht weil die religiösen Spannungen die Freundschaften zerstört hätten („wir haben immer mit moderaten Menschen Beziehungen gepflegt“, sagen sie). Die Freunde sind einfach nicht mehr da. Viele von ihnen, auch Muslime, sind ins Ausland geflohen.

Von welchen Unterschieden spricht Sanaa dann? Was für eine Art zu leben meint sie? Über die Jahre hinweg ist ein Unterschied immer deutlicher geworden: Riyadhs und Sanaas Liebe füreinander blieb bestehen. „Dass unsere Ehe ein Bund für die Ewigkeit ist“, erklärt Sanaa, „ist ein Zeugnis für Muslime. Sie kennen Scheidung, ihre Religion sieht sie vor. Ich habe in diesen Jahren gemerkt, dass unsere Liebe nicht nur für uns selbst wichtig ist, sondern auch für sie. Sie beobachten uns und sehen bei uns etwas, was sie sich in ihrem tiefsten Inneren auch wünschen.“

„Während der ganzen Zeit haben sie gesehen, dass wir bereit waren, für den anderen Opfer zu bringen“, erklärt Riyadh. „Das Vertrauen, das wir einander schenken. Das Leben als ‚ein Leib und ein Geist‘, wie es die Bibel beschreibt. Auch bei uns herrschen in den Familien oft individualistische Wünsche und Sehnsüchte vor. Doch die christliche Ehe, die wir leben, ist etwas anderes, und die Leute merken das.“



Albert Hisham ist der junge Pfarrer der chaldäischen Saint-Joseph Kathedrale, die die Azzos seit vielen Jahren besuchen. Er ist zwar erst sechs Monate da, aber er hat sofort bemerkt, dass das Paar eine wichtige Präsenz ist. „Sie sind es vor allem für die armen Familien, denen sie helfen und die sie besuchen“, erklärt Pfarrer Hisham. „Sie haben keine Berührungsängste und kümmern sich um die, die in Schwierigkeiten sind und zum Beispiel einen Verwandten verloren haben oder ein Kind. Sie sind wirklich sehr gläubige Menschen.“ Wenn man Sanaa fragt, was sie in Rom erzählen wird, sagt sich schlicht weg: „Ich werde über die Dankbarkeit sprechen, die ich für diese 38 Ehejahre empfinde. Ich werde sagen, dass das, was uns als Familie trägt, die Liebe ist, und dass unsere Liebe gestützt wird durch den Glauben. Wir denken, dass wir zum Leben in unserem Land etwas beigetragen haben, durch unsere Arbeit, durch die Erziehung unserer Kinder und durch die Freundschaft mit anderen. Auch deshalb möchten wir hier bleiben.“

Ein normales Leben, nichts Heldenhaftes: ein Lächeln, das hinter der Theke in der Apotheke auf einen wartet, oder die Verlässlichkeit am Arbeitsplatz. Es scheint banal zu sein, aber die Muslime erkennen bei den Christen eine ausgeprägte Neigung zur Ehrlichkeit. „Wenn sie jemanden brauchen, dem sie vertrauen können, dann wenden sie sich an uns“, sagt Riyadh lachend. „Aber auch das gegenseitige Vertrauen, das man bei den christlichen Ehepaaren findet, wird von den Muslimen beneidet“, ergänzt Sanaa.

„Wir  sind noch da.“ Aber Ehemann oder Ehefrau, Vater oder Mutter in einer Stadt wie Bagdad zu sein, bedeutete auch, die Bombardierungen des ersten Golfkrieges und das Chaos nach dem Sturz Saddam Husseins zu überstehen. „Als ich jung war, konnte ich in jeden Teil der Stadt gehen, ohne mich fürchten zu müssen“, erklärt Sanaa. „Heute muss ich aufpassen, wie ich mich anziehe, und in manche Viertel kann ich nicht gehen, ohne mein Leben zu riskieren.“ Noch hängt am Rückspiegel ihres Autos ein Rosenkranz.

Auch das ist ein kleines Zeichen, das sagt: „Wir sind noch da“. Denn die große Herausforderung für alle Bewohner Bagdads ist es, dort zu bleiben. Es ist kein Zufall, dass der chaldäische Patriarch das Gebäude des Priesterseminars (das aus Sicherheitsgründen nach Erbil in Kurdistan verlegt wurde) in ein Wohnhaus für junge Paare umgewandelt hat. „In unserer Gemeinde wurden 2013 elf Hochzeiten gefeiert. Vor fünfzehn Jahren waren es mehr als hundert pro Jahr“, erklärt Riyadh. „Und das nicht nur, weil die Leute schon fort sind. Die jungen Leute suchen zunächst nach einer Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, und denken dann erst darüber nach, eine Familie zu gründen.“ „Zayn, unser Sohn, musste auch fliehen“, erzählt Sanaa. „Es war im Jahre 2007, als die Entführungen in Bagdad begannen. Er ist Arzt, und die Islamisten griffen sich vor allem gutsituierte Freiberufler. Wir hatten wirklich sehr große Angst.“



Riyadh hat 28 Jahre für die Regierung gearbeitet, heute ist er Manager eines großen Bauunternehmens mit mehreren Tausend Angestellten. Die Spaltung des Landes, vor allem zwischen Sunniten und Schiiten, sorgt auch am Arbeitsplatz für starke Spannungen. „Heutzutage muss ich sehr aufpassen, welche Entscheidungen ich treffe. Als ich noch für die Regierung gearbeitet habe, war ich sicherer. Jetzt aber könnte ein Angestellter mich bedrohen und von den Mitgliedern seines Stammes fordern, mich zu „richten“. Denn heutzutage kontrollieren die Stämme und nicht mehr die Regierung das Land. In diesen Zeiten riskiert man sein Leben manchmal schon dadurch, dass man die Regeln seines Unternehmens umsetzt. Ich kann mich auch nicht in den Schutz einer der Parteien begeben, da sie alle islamistisch sind.“ Was hilft ihm bei all diesen Spannungen? „Ich bete jeden Tag mit meiner Frau, und ich lese oft in der Bibel, um wieder Mut zu fassen. Ich wiederhole mir gerne die Worte von Psalm 121: ‚Der Herr behüte dich, wenn du fortgehst und wiederkommst, von nun an bis in Ewigkeit.‘

Zur Vorbereitung auf die Reise nach Rom hat Sanaa das Instrumentum laboris gelesen. „Das Dokument spricht viel über die Krise der Familie, über die Schwierigkeiten derjenigen, deren Ehe zerbricht. Im Nahen Osten sind Eheprobleme dieser Art eher selten. Vielleicht bereitet man sich hier besser vor oder wählt seinen Partner mit mehr Bedacht. Oder man glaubt mehr an die Bedeutung der Sakramente. Wir werden sehen, was aus den Beratungen der Synode hervorgeht. Soweit ich verstehe, ist die große Herausforderung die bessere Einbeziehung von getrennten und geschiedenen Paaren in das kirchliche Leben.“



Doch während sie sich auf die Synode vorbereitet, denkt sie vor allem an das, was im Norden des Irak geschieht. Sie denkt an mehrere Paare aus Mossul, mit denen sie 2012 auf dem Weltfamilientreffen in Mailand war. In der Pfarrei sammeln sie Dinge des täglichen Bedarfs und Geld und schicken sie in die Flüchtlingslager in Kurdistan, um ihre Solidarität mit den dortigen Christen zum Ausdruck zu bringen. Was dort geschieht, beeinflusst natürlich auch ihr Urteil über das Thema der Synode. „Was heute unsere Familien trennt, ist der Krieg. Oft verlässt der Mann das Land und lässt Frau und Kinder zurück. Ich denke, dass die Familie nicht getrennt werden sollte, vor allem wenn die Kinder noch klein sind.“

Eine Botschaft. Sanaa erinnert sich an die Jahre, in denen sie mit der kleinen Mayce und dem kleinen Zayn alleine in Bagdad war und darauf wartete, dass Riyadh zurückkam. Aber auch an andere Momente, die von Problemen, Angst und Leid geprägt waren. Noch im September gab es auch Terroranschläge in Bagdad, in einem Viertel nicht weit von Karrada. Was Sanaa am meisten hilft? „Unsere Liebe und unser Glaube. Ich weiß, dass ich in jedem Augenblick auf meinen Herrn zählen kann. Aber ich denke, dass auch in dem, was gerade passiert, irgendeine Botschaft liegt. Als wolle Gott uns etwas damit sagen. Vielleicht bereitet er etwas Besseres für uns vor, wer weiß das schon. Vielleicht muss auch noch viel Zeit vergehen. Ich versuche zu lernen, zu verstehen. Und die Augen offenzuhalten.“