LORENZO ALBACETE  (1941-2014) „ICH HATTE EIN SCHÖNES LEBEN“

Zunächst studierte er Physik (seine Doktorarbeit wurde von der  CIA beschlagnahmt), dann entdeckte er seine Priesterberufung. Er reiste mit Johannes Paul II. durch Kuba und beeindruckte Fidel Castro.
Giorgio Vittadini

Doch was sein Leben wirklich umgekrempelt hat, war die Freundschaft mit Don Giussani. Am 24. Oktober 2014 ist LORENZO ALBACETE in New York gestorben. Zur Erinnerung an einen Menschen, der für viele ein Vater war.

Zum ersten Mal habe ich Lorenzo Albacete 1996 in Washington getroffen. Man hatte ihn mir vorgestellt als jemanden, der CL in den USA behilflich sein könnte. Nachdem er mich eine Weile hatte erklären lassen, was CL ist, sagte er auf seine ironische und schelmische Art: „Aber ich bin doch von der Bewegung! Das Problem ist, dass keiner hier das merkt ...“  Das war der Beginn einer der größten Freundschaften in meinem Leben. Lorenzo hatte die Fähigkeit, eine Atmosphäre menschlicher Nähe zu schaffen, bei der man sich immer angenommen fühlte. Außerdem war er eine sehr wichtige Persönlichkeit für die katholische Kirche in den USA.

Geboren wurde Lorenzo 1941 in San Juan, Puerto Rico. Sein Leben war nicht von Anfang an durch eine religiöse Berufung gekennzeichnet, sondern diente zunächst der Wissenschaft. Er war ein vielversprechender junger Physiker, kurz davor einen renommierten Ph.D. zu erwerben, als die CIA seine Arbeit beschlagnahmte, weil sie militärische Geheimnisse von nationalem Rang beinhaltete. Für jeden normalen Menschen wäre das ein Hindernis gewesen, für ihn wird es zum Zeichen, sein Leben neu zu überdenken. Er merkt, dass die Wissenschaft seine Sehnsucht nach Erkenntnis nicht letztlich erfüllen kann. Daraus erwächst eine Berufung, die ihn schließlich zur Theologie und zum Priestertum führt. Seine Aufsätze und Bücher erregen sofort Aufsehen in der ganzen amerikanischen Kirche.



Rundfahrt durch Washington. Er wird Dozent am Johannes Paul II.-Institut in Washington und Beauftragter der amerikanischen Bischofskonferenz für hispanische Angelegenheiten. Er ist befreundet mit dem späteren Kardinal Sean O’Malley und vielen anderen Bischöfen in den USA. Auch Kardinal Karol Wojtyla lernt er Mitte der 70er Jahre kennen, weil ihm die Aufgabe anvertraut wird, den Kardinal bei einer Konferenz über die Familie, an der sie beide teilnehmen, im Auto durch Washington zu chauffieren. Solche Erfahrungen machen ihn aber nie hochmütig, er sucht demütig weiter seinen persönlichen Glaubensweg. Auch 1998 beim Besuch von Johannes Paul II. auf Kuba. Dort beeindruckt er Fidel Castro, als er ihm erklärt, dass die Verteidigung des Menschlichen ein Fundament des Glaubens ist, und er schenkt ihm Giussanis Buch über den religiösen Sinn.

Gott im Ritz. Lorenzo sah sich immer als den verlorenen Sohn aus dem Gleichnis, den nur ein liebevoller Vater retten kann. Bei Don Giussani faszinierte ihn die Wertschätzung für die Freiheit jedes Einzelnen und seine Hochachtung vor der existenziellen Angst des modernen Menschen, die man Tag für Tag spüren kann im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Auch Albacete ist der Ansicht, dass weder der Subjektivismus, in dem sich der amerikanische Protestantismus verliert, noch der Ansatz eines „neogotischen“ Katholizismus, der die Moderne ablehnt und dazu neigt, das Leben mit Regeln zu überziehen, eine Antwort auf das menschliche Drama sein könne. Ganz abgesehen davon, dass er in den Augen des amerikanischen Puritanismus völlig inakzeptable Defekte hat: er raucht, trinkt und isst zu viel ... alles Dinge, über die er ständig seine Scherze macht. Es braucht jemanden, so meint er, der jeden Tag die Freiheit des Menschen spüren lässt, an dem Ort, an dem er lebt, und sei es ein Fünf-Sterne-Hotel, wie er in einem seiner faszinierenden Bücher, Gott im Ritz, ausführt. Die Begegnung mit Giussani wird für Lorenzo zu einem Schlüsselerlebnis. Einmal soll er sogar, um Giussani sehen zu können, ein Treffen mit Wojtyla, der mittlerweile Papst war, verschoben haben. Der private und öffentliche Dialog mit Giussani wird zum roten Faden in seinem ganzen weiteren Leben. Aufgrund seines großen wissenschaftlichen Renommees wird er Mitte der 90er Jahre zum Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Puerto Rico in Ponce ernannt. Doch kurz darauf legt er sein Amt nieder. Es entspricht nicht seinem Stil, sich zu streiten, er zieht sich lieber zurück, als anderen seine Linie aufzuoktroyieren.



Vater und Söhne. Was bleibt, ist die Präsenz der Bewegung in Puerto Rico. Albacete geht zurück nach New York, von wo aus er sich als Geistlicher Assistent hauptberuflich der Bewegung widmet. Er stellt überall in den USA die Bücher von Don Giussani vor, hält Vorträge und Exerzitien, trifft Laien, Priester, Bischöfe, Professoren. Viele lernen durch ihn das Charisma von CL kennen und sind fasziniert.

Auch die dem Glauben fernstehende oder weniger an religiösen Dingen interessierte Welt tritt gerne mit Albacete in Dialog. Er schreibt für das New York Times Magazine, den New Yorker, die New Republic, tritt im Fernsehen auf bei CNN, PBS, EWTN und fühlt sich auch in den weltlichen Salons der Stadt, die nie schläft, zu Hause. Außerdem hält er natürlich Vorträge beim New York Encounter, im Kulturzentrum Crossroads, bei dem er auch Vorsitzender des Aufsichtsrats ist, und beim Meeting in Rimini. Sowohl in seiner Statur als auch vom Verhalten her erinnert er an Chesterton. Wie dieser große Schriftsteller trägt auch Albacete stets das Lächeln eines Menschen im Gesicht, der weiß, dass ein liebevoller Vater im Himmel auf seine Kinder wartet. Wer erinnert sich nicht, wie er bei der Einfahrt in das große Auditorium des Meetings mit einem Elektrofahrzeug den Papst auf seinem Papamobil nachahmte, drei Finger zum Segen hebend? Oder wer lacht nicht jetzt noch darüber, dass er bei einem großen Theologenkongress in Mexico nach seinem Vortrag das Lied Cielito lindo singen ließ, weil er es mit sechs Jahren bei einer öffentlichen Veranstaltung in seiner Schule nicht zu Ende gebracht hatte.

Fried chicken. Vieles haben wir von Lorenzo gelernt, vor allem aber das Veni per Mariam. Christus wurde aus dem Leib der Jungfrau Maria geboren, nicht aus unseren Gedanken. Seine Sicht auf die Welt war ganz an die Wirklichkeit gebunden, ganz konkret. Er schaute die Dinge genau an, berührte sie, roch an ihnen ... Das Unendliche zog für ihn immer eine Spur durch das Endliche. Gott war etwas, was man erfahren konnte, keine Idee im Kopf. Er hatte auch etwas mit fried chicken zu tun, oder mit den Füllfederhaltern, die Lorenzo so liebte. Dieser Sinn für das Zusammengehören von Geheimnis und konkreten Details der Realität ist vielleicht das, was vielen am meisten im Herzen bleiben wird von ihm.



Auch in den letzten Jahren, als seine Krankheit und die Notwendigkeit, sich um seinen Bruder zu kümmern, ihn in seiner Beweglichkeit stark einschränkten, war er in Geist und Herz seiner Freunde wie auch Fernstehender sehr präsent. „Ich hatte ein schönes Leben“, hat er wenige Tage, bevor er uns verlassen hat, gesagt. „Ich bin immer Christus gefolgt. Ich werde leben, solange Christus es will.“