Nach der Papstaudienz.Interview mit Rowan Williams
Worum bittet mich dieser Mensch? Die Audienz und was danach geschah. Drei Weggefährten kamen mit sehr unterschiedlichen Geschichten her. Und sie fuhren ab mit einer neuen Geschichte vor Augen, einer „unendlichen Geschichte“.Auf dem Petersplatz am 7. März 2015 war auch Rowan Williams, ehemaliger Primas der anglikanischen Kirche. Er kam aus Freundschaft. Und weil es „der Moment der Begegnung“ war.
Wie spricht man einen ehemaligen Erzbischof von Canterbury an? Im Fall von Rowan Williams, seines Zeichens Baron von Oystermouth, Leiter des Magdalene College von Cambridge und Abgeordneter im britischen Oberhaus, wäre die korrekte Anrede „Sir“. Aber wer ihn kennt, weiß, dass er davon nicht viel hält: Lieber ist ihm ein weniger förmliches „Pater“. Ein kleines, aber vielsagendes Zeichen. Er ist Theologe, Dichter, Liebhaber der englischen und russischen Literatur und war zehn Jahre lang Primas der anglikanischen Kirche. Viele betrachten ihn als eine Geistesgröße der angelsächsischen Welt. Mit seinem weißem Bart und seiner durchdringenden Stimme macht er den Eindruck eines Weisen.
Bei der Audienz am 7. März saß er neben Julián Carrón. Das Außergewöhnliche an seiner Begegnung mit ein paar Studenten der Bewegung ist, wie normal es war. Ein Student stellte ihm am Ende eines Vortrags eine Frage. Dann lud der gemeinsame Freund John Milbank ihn ein, worauf ein paar Besuche zur Tea Time folgten. Dann wurde Williams gefragt, ob er nach Rom kommen möchte. Er räumte seinen Terminplan frei und sagte: „Gut, ich bin dabei“. Er war übrigens seit der Zeit Heinrichs VIII. der erste Nachfolger des Augustinus von Canterbury, der am Begräbnis eines Papstes teilnahm.
Pater, warum haben Sie die Einladung angenommen?
Vor allem, um Papst Franziskus persönlich zu hören, was ich noch nie getan hatte. Ich wünschte mir, seine Menschlichkeit direkt zu sehen und zu hören; das, worum er bittet. Ein anderer Grund war die Freundschaft mit den Leuten von CL, die mich eingeladen hatten. Die Beziehung mit ihnen ist für mich sehr bereichernd und anregend. Bei diesen Jugendlichen beeindruckt mich die Freude und die Sicherheit im Glauben, die frei von jeder Überheblichkeit ist.
Welchen Eindruck hatten Sie vom Papst?
Er erschien mir als ein Mensch „at home with himself“, wie wir auf Englisch sagen, der also mit sich im Reinen ist. Sein Stil ist spontan und natürlich. Er sprach deutlich aus, was für ihn die Mitte ist: Christus. Und auf diese Mitte verwies er uns alle.
Und von den Menschen auf dem Platz?
Mich hat beeindruckt, wie viele junge Menschen da waren. Es waren viele Kulturen versammelt, unterschiedliche Arten, den Glauben zu leben und sich am Leben der Kirche zu beteiligen. Für mich war zum Beispiel die Musik interessant: Sowohl traditionell als auch modern. Eine unbewusste Mischung aus Neu und Alt. Der Eindruck, den ich mit nach Hause genommen habe, ist, dass man hier tief in der Tradition verwurzelt ist, aber nicht rückwärtsgewandt.
Sind bei Ihnen Fragen offen geblieben angesichts dessen, was Sie gehört haben?
Ich denke noch darüber nach. Vielleicht die Frage, wie in einer Welt, die sich so schnell ändert, dieser Blick auf Christus in unseren Entscheidungen zum Ausdruck kommen kann. In England finden bald Wahlen statt. Der Papst führte uns auf unsere Begegnung mit Christus zurück. Er bat uns, zu seinem Licht zurückzukehren und sein Urteil und seine Barmherzigkeit anzunehmen. Deswegen beunruhigt es mich nicht, dass es keine Listen gibt mit Dingen, die ich zu tun habe und Dingen, die ich nicht tun darf. Es gibt nur die Einladung, die Grundlagen des Glaubens wieder zu entdecken.
Hat Sie an der Rede von Papst Franziskus etwas besonders erstaunt?
Dass er so lebendig und unvermittelt über die Berufung des heiligen Matthäus von Caravaggio sprach. Schön war auch das Bild von der Flasche mit destilliertem Wasser. Wenn jemand tief im Glauben verwurzelt ist, hat er es nicht nötig, nur an seinen Glauben zu denken. Sowohl der Papst als auch die gesamte Atmosphäre brachten mich zu dem Gedanken, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen einem Leben in der Tradition und einem Traditionalismus. Das lese ich aus Don Giussani heraus, ich nehme es bei vielen Freunden von CL wahr, und ich sehe es beim Papst.
Was bedeutet es für Sie, der Tradition gegenüber treu zu sein?
Vor allem bedeutet das, wie es in der Bibel heißt, beständig den Aposteln in den Sakramenten zu folgen, die Schrift zu lesen und gemeinsam mit den Geschwistern im Glauben zu beten. Es bedeutet aber auch die Bereitschaft, intensiv auf die geistliche Tiefe all derer zu hören, die vor mir kamen. Die Tradition ist nicht etwas, was ich äußerlich mache, sondern etwas Innerliches: Zuhören und das empfangen, was Brüder und Schwestern im Leib Christi durch die Jahrhunderte hindurch entdeckt haben. Es ist keine Last, sondern ein großartiges Geschenk und eine Gelegenheit. Aber das Herz all dessen ist das sakramentale Leben.
Papst Franziskus sagte, dass alles in der Begegnung mit dem Zimmermann aus Nazareth beginnt. Wie sind Sie ihm begegnet?
Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der die Lektüre der Bibel etwas Vertrautes war. Es gab ein paar Begegnungen in meiner Jugend, aber ich würde sagen, dass mir der Sinn für die Verbundenheit mit Christus vor allem in der Eucharistie klar wurde. Und dann in der Lektüre des Johannesevangeliums. Die Worte, die er an Nikodemus richtete, an die Frau am Jakobsbrunnen, an Lazarus. Diese Worte spüre ich in mir. Auch die Worte, die er zu Maria Magdalena sagte, als er sie beim Namen rief. Wenn ich an die Begegnung mit Jesus denke, komme ich auf die Ereignisse zurück, die Johannes berichtet hat. Dort spricht Jesus. Bei Johannes spricht Jesus zu den einzelnen Menschen, mehr als in den anderen Evangelien. Er ruft bestimmte Menschen: „Lazarus“, „Maria“, „Simon, liebst du mich?“
Der Papst sagte, dass „der privilegierte Ort der Begegnung meine Sünde“ sei. Was bedeutet das für Sie existenziell?
Ich denke an die Episode mit der Ehebrecherin, wieder im Johannesevangelium. Als ihre Ankläger weggehen, sieht sie Jesus ins Gesicht. Ihr wird klar, dass sie eine Sünderin ist. Gleichzeitig merkt sie, dass sie geliebt wird. Die Begegnung mit Jesus zeigt uns auf eine wahre Art, was wir sind. Es ist eine unerbittliche Wahrheit, aber sie ist untrennbar mit der Liebe verbunden. Wir erkennen, wer wir sind, aber auch, wer er ist. Deswegen gehören „Gerechtigkeit“ und „Barmherzigkeit“ zusammen. In dieser Begegnung weiß ich: wenn er das ist, was er ist, bin ich ein Sünder. Ich weiß aber auch: wenn er das ist, was er ist, habe ich Vergebung erfahren.
Gibt es etwas, was Ihnen hilft, Christus im Zentrum zu halten?
Vor allem das tägliche „Jesus-Gebet“ aus der orthodoxen Tradition. Jeden Morgen wiederhole ich 30 oder 40 Minuten lang: „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner“. Während des Tages, wenn ich gehe oder wenn ich gerade nichts Besonderes mache, komme ich auf diese Worte zurück, um das wiederzufinden, worin ich verankert bin. Mir hilft es auch, ein Bild von Jesus oder ein Holzkreuz in der Tasche zu tragen. Es ist eine direkte und konkrete Art, sich wieder an ihn zu erinnern.
Was hat es für Sie als Anglikaner bedeutet, an der Audienz auf dem Petersplatz teilzunehmen?
Mir war vielleicht in diesem Augenblick gar nicht bewusst, dass ich als Anglikaner dort war. Ich war da zusammen mit Menschen, mit denen ich die Wirklichkeit der Taufe teile und die wie ich zum Leib Christi gehören. In der Schrift heißt es, dass Christus „die Sehnsucht aller Völker“ ist. Und es dürfte uns eigentlich nicht überraschen, dass das Herz aller Völker auf ihn ausgerichtet ist. Als Anglikaner war ich einfach dankbar für das Zeugnis, das Gebet, die Freundschaft und das Fest. Dann bete ich, dass eines Tages die historischen Hindernisse weniger werden und dass wir zu einer wirklich gemeinsamen Art und Weise finden und die Eucharistie teilen können. Ich weiß weder wann noch wie das sein wird. Aber ich bete, dass es eines Tages möglich ist.
Was haben Sie bei dieser Gelegenheit an Don Giussani und an CL entdeckt?
Dass für Don Giussani jeder Moment der Moment der Begegnung ist. Für ihn nimmt sich Christus keine Freizeit. Jesus ist da und erwartet uns in jedem Augenblick. Das heißt, dass jede Gelegenheit eine Einladung Christi ist. Wenn ich mit einem praktischen Problem zu kämpfen habe, mit einer schwierigen Person, mit Frust oder Versuchung, ist dies ein Zeichen Christi, der mich zu einer noch tieferen Freundschaft einlädt. Dieses Thema war sehr präsent bei allem, was ich gehört habe. Nicht nur bei der öffentlichen Veranstaltung, sondern auch in persönlichen Gesprächen, die ich an diesem Tag hatte.