DAS GEHEIMNIS VON AMT UND PERSON

Bischof Alfonso Carrasco spricht über die Bedeutung des Petrusamtes für unser Leben
Davide Perillo

„Ein lebendiger, realer Mensch. Dass eine konkrete, geschichtliche Person Garant unserer Beziehung zu Gott sein soll, ist vielleicht das Erstaunlichste an der Gestalt des Papstes“, sagt Bischof Alfonso Carrasco Rouco. Der Spanier ist 58 Jahre alt, stammt aus Villalba und ist seit 2008 Bischof von Lugo in Galizien. Vorher war er Professor für Theologie in Madrid. Mit dem Primat des Petrus beschäftigt er sich schon seit seiner Promotion in Fribourg bei Eugenio Corecco, dem späteren Bischof von Lugano. Der gab ihm einen wesentlichen Hinweis: „Um die Kirche als Communio zu begreifen, sollte ich mich mit dem Jurisdiktionsprimat des Papstes beschäftigen.“ Als Carrasco den Brief las, den Julián Carrón vor der Papstaudienz vom 7. März an die Bewegung geschrieben hat, ist ihm besonders das Zitat von Don Giussani ins Auge gefallen: „Das Gesicht jenes Menschen [Jesus] ist heute das Miteinander der Gläubigen, der geheimnisvolle Leib, auch ‚Volk Gottes‘ genannt, sicher geführt durch eine lebendige Person, den Bischof von Rom.“ Warum? „Es stellt den Papst in das Volk Gottes und unterstreicht gleichzeitig das Einzigartige an diesem Amt, das eben von einem lebendigen Menschen ausgefüllt wird.“

Don Carrón schreibt auch, „dass das Leben eines jeden von uns an der Verbundenheit mit einem Menschen hängt, in dem Christus seine immerwährende Wahrheit im Heute jedes geschichtlichen Momentes bezeugt!“ Warum ist das so?
Das Hirtenamt des Papstes ist Ausdruck einer tiefgreifenden Dimension, die uns allen gemeinsam ist: Man lebt das Christentum immer in der Beziehung mit konkreten Personen, mit der Gegenwart realer Menschen. Don Giussani zum Beispiel, und viele andere, die uns begleitet haben. Gerade das hat unseren Glauben ermöglicht. Diese unabdingbare Verbindung mit geschichtlichen Menschen ist vielleicht der erstaunlichste Aspekt des Christentums. Manchmal ärgert er uns sogar. Aber es ist auch die schönste Dimension. Dafür steht im Grunde genommen das Papstamt. Es weist darauf hin, dass es eines Menschen bedarf, um uns immer wieder den Weg zu Christus zu öffnen. Natürlich ist die Beziehung des Papstes zum Herrn einzigartig. Er stellt gewissermaßen eine von Gott gegebene Garantie dafür dar, dass Seine Gegenwart in der Geschichte weiterbesteht. An Petrus zeigt sich besonders deutlich, dass Christus uns gerade durch eine menschliche Gegenwart in der Geschichte entgegentritt.

Sie sagten, dass „uns das ärgert“. Das stimmt. Es irritiert uns, dass „alles an die Zerbrechlichkeit einer einzelnen [...] Person gebunden ist“. Aber ist nicht gerade das die Herausforderung der Inkarnation? 
Die Inkarnation ist Gott, der Mensch geworden ist. Wir sehen sie mitunter etwas mechanisch, eher wie ein philosophisches Prinzip. Aber die Menschwerdung bedeutet auch, dass Er für uns gestorben ist, dass Er eine Freundschaft mit dem Menschen eingegangen ist, eine tiefe Gemeinschaft mit ihm begründet hat ... Gerade das sieht man an der Methode der Kirche. Und das garantiert heute der Papst. Dass der Herr Fleisch angenommen hat, um sich auf immer mit den Menschen zu vereinen, das bringt er zum Ausdruck. Durch seine Person, aber auch über seine Person hinaus. Ja, das ist die Herausforderung.

 Bischof Alfonso Carrasco , Lugo, Galizien

Warum sträuben wir uns dann so gegen die Methode, die Gott gewählt hat? Im Grunde müsste das für uns doch der leichteste Weg sein, um Ihm zu begegnen. Er geht durch das Menschliche und entspricht damit dem Menschen...
Letzten Endes, weil wir uns gegen Christus sträuben. Dann dient uns alles als Ausrede, als Argument, um in unserer Haltung zu verharren. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es einen Weg gibt, eine bestimmte Pädagogik: Jeder hat sein eigenes Tempo und nichts läuft automatisch. Der Herr überrascht uns andauernd in unserem Leben. Wenn wir gegen diese so menschliche Methode ankämpfen, dann im Grunde, weil wir gegen Ihn kämpfen. Man tadelt tausend Dinge an der Kirche und entfernt sich von ihr aus tausend Gründen. Aber letzten Endes bezieht man damit Stellung gegen den Herrn. Wenn es nicht um Ihn ginge, würde die Kirche niemanden interessieren.

Sie lässt die grundlegende Haltung zutage treten, die wir der wichtigsten Frage gegenüber einnehmen ...
Sie zeigt, was wir im Grunde unseres Herzens tragen, unabhängig von dem, was wir explizit sagen.

Macht uns nicht gerade das oft Angst? Haben wir nicht manchmal Angst vor unserer Freiheit?
Wir verfolgen unseren eigenen Plan. Wir legen uns einen Plan zurecht für uns selbst, für die Wirklichkeit, für das Leben. Und wir wünschen uns, dass er sich verwirklicht. Geduld haben wir dagegen, wenn wir über die Begleitung glücklich sind, die uns zuteil wird. Wenn wir uns der Gegenwart des Herrn bewusst werden, sind wir dankbar, dass wir einen Weg beschreiten und bei jedem Schritt etwas lernen können. Die Umkehr, die radikale Veränderung liegt in dieser Einfachheit, dankbar zu sein für das große Geschenk der Gegenwart des Herrn in unserem Leben.

Kann man denn diesen Weg gehen ohne Nachfolge?
Nein. Wenn wir nicht folgen, sind wir in Wirklichkeit allein. Wir verfolgen dann eben unseren Plan und sind allein. Der Plan eines anderen scheint uns immer problematisch. Und auf jeden Fall ist es der Plan eines anderen; uns interessiert nur unser eigener ... Um einen Weg gehen zu können, müssen wir im Herzen überrascht werden vom Geschenk des Herrn. Und folgen.

Autorität hat, wer die Wahrheit in unserem Herzen aufstrahlen lässt und Hoffnung für unser Leben eröffnet. Die Wahrheit, das Gute: Dem kommt im Grunde Autorität zu.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang Autorität für Sie?
Autorität ist eine Ausdrucksform der Nachfolge. Man folgt jemandem, der Autorität hat. Und Autorität hat, wer die Wahrheit in unserem Herzen aufstrahlen lässt und Hoffnung für unser Leben eröffnet. Die Wahrheit, das Gute: Dem kommt im Grunde Autorität zu. Aber das Wahre und das Gute existieren nicht abstrakt. Sie zeigen sich uns im Antlitz des Herrn und der von ihm Gesandten. Daran kann man Autorität erkennen. Wenn uns das klar geworden ist, nehmen wir sie an und folgen gerne. Autorität ist ein Teil des Weges, der sich öffnet, wenn wir den Herrn anerkennen. Wir wollen diesem Guten nachgehen, dieser Gegenwart, in deren Licht unser Leben aufblüht. Und wir haben auch gemerkt, dass nicht wir sie hervorbringen, sondern ein Anderer, daher folgen wir Ihm. Etwas anderes ist es, dass diese Autorität notwendigerweise auch eine Form annehmen muss, die Autorität des Heiligen Vaters. Der Papst ist der Fels, jene Person, die uns mit Autorität bestätigen und Zeugnis geben kann. Aber das Anerkennen der Autorität ist eine Geste unseres Glaubens. Der Papst spricht dann mit Autorität zu uns, wenn wir eine Geschichte durchlaufen haben, in der der Herr uns dem Glauben hat folgen lassen. Dann nehmen wir den Papst wahr und wollen auf ihn hören als einen, der Autorität beanspruchen kann, weil wir mit Sicherheit wissen, dass er dem Herrn dient, dass er Sein Zeuge ist. Ohne diesen Weg reicht kein äußerer, formaler Appell, damit wir auf ihn hören.

Sie haben darauf hingewiesen, wie wichtig Don Giussani war, um uns zu diesem grundlegenden Aspekt des Glaubens zu erziehen. Was hat die Begegnung mit ihm für Sie persönlich bedeutet? Wie hat er Ihnen geholfen, Ihre Verbundenheit mit dem Papst zu vertiefen?
Was Don Giussani, durch seine Lehre und sein Zeugnis, in mir gefördert hat, ist genau diese Auffassung vom Glauben. Dass ich ihn verstehen und einen christlichen Weg gehen konnte. Ich bin dankbar, dass der Herr mir entgegengekommen ist durch diese Form, die seine Kirche darstellt. Und von dieser Gewissheit möchte ich nicht mehr abrücken, sie ist für mich das Wichtigste. Wenn der Papst zu mir sagt: „Geh da und da hin“, beurteile ich das nicht ausgehend von meiner eigenen kirchenpolitischen Vorstellung. Ich betrachte es als ein Wort, das einen Teil meiner Lebensgeschichte ausmacht, in der der Herr mir durch Personen wie Don Giussani entgegengetreten ist. Dadurch hat er mir geholfen und hilft mir noch heute.

Autorität hat, wer die Wahrheit in unserem Herzen aufstrahlen lässt und Hoffnung für unser Leben eröffnet. Die Wahrheit, das Gute: Dem kommt im Grunde Autorität zu.

Giussani schreibt, das christliche Volk sei gewissermaßen aus dem Ja des Petrus auf Jesu Frage „Liebst du mich“ entstanden. Daraus erwächst „für die einzelne Person eine neue Beziehung zur Gesamtheit der Wirklichkeit“, eine neue Weise, sich in der Welt zu bewegen. Ist das die, die der Papst heute vorschlägt?
Genau dieselbe. Es ist sogar so, dass der Glaube erlahmt und stirbt, wenn es nicht so ist. Der Glaube an den Herrn ginge verloren, wenn er nicht das wäre, was die Beziehungen zu allen Dingen aufblühen lässt. Schließlich wollen wir leben, und das bedeutet, mit allem in einer menschlichen Beziehung zu stehen. Wenn man uns das wegnimmt, wozu dient dann der Glaube noch? Glaube und Leben zu trennen ist eine Katastrophe, wie schon Paul VI. gesagt hat. Es bedeutet den Tod des Glaubens. Aber sie nicht zu trennen, bedeutet genau dieses Ja, das man zu der Gegenwart des Herrn sagt, die auf dem Felsen Petrus ruht. Es ist eine Verheißung für unsere Beziehung mit der gesamten Wirklichkeit. Und das auch, wenn man falsch lebt, Fehler macht, immer wieder fällt. Auch dann ist die Wirklichkeit weiterhin erfüllt von dieser Verheißung.

Ein anderer Ausspruch von Giussani beeindruckt mich auch immer wieder, da er das alles zu umfassen scheint: „Den Papst affektiv und effektiv zu lieben ist unsere ganze Leidenschaft.“ Können Sie uns diese beiden Adjektive erklären? 
Sie kommen aus der Theologie. Es bedeutet, den Nachfolger Petri zum einen in seinem Sein, in seiner objektiven Realität anzuerkennen und zum anderen ihm von ganzem Herzen treu zu sein. Das ist entscheidend, für Giussani wie für uns. Gleichzeitig glaube ich auch, dass dies eine der Gnaden ist, die unserer Generation geschenkt wurden. In der Generation von Giussani, aber auch noch ein bisschen später, hatte das christliche Volk eine ungeheure Zuneigung zum Papst. Dieses effektive, aber ebenso tiefe affektive Bejahen des Petrusamtes hat im 19. Jahrhundert außerordentlich zugenommen. Dennoch war das zugleich eine Epoche, in der die Kirche als geschichtliche Wirklichkeit in Frage gestellt wurde. Man zweifelte, ob ihre Präsenz als Volk mit einem eindeutigen Gesicht, Formen, Institutionen einen Sinn hätte ... Dieses Infragestellen hat aber gleichzeitig eine seiner wohl tiefsten Antworten auch darin gefunden, dass viele dem Papst als demjenigen, der ihnen den Herrn gegenwärtig machte, besonders treu waren und die Päpste sehr geliebt wurden.

Auch den derzeitigen Papst lieben viele sehr, auch viele Nichtchristen. Paradoxerweise stößt er gleichzeitig einige Katholiken vor den Kopf. Dass er so viele „von außerhalb“ fasziniert, scheint innerhalb der Kirche manche argwöhnisch zu machen ...
Nun, vielleicht mögen manche Nichtgläubige Papst Franziskus aus anderen Gründen als Gläubige, Gründe, die diese nicht teilen können … Aber die Anhänglichkeit des Herzens folgt immer dem Urteil über die Wahrheit. Das gilt für alles. Wenn man sich bewusst wird, was der Papst bedeutet, dann kann man ihm ohne Argwohn die Treue halten, und ohne dass er einem unbedingt sympathisch sein muss. Dem einen ist er es, dem anderen nicht, aber man folgt ihm nicht deswegen. Das Petrusamt anzuerkennen ist, wie gesagt, ein Akt des Glaubens. Und der Glaube ist das Erkennen der Wahrheit, die Christus einem vor Augen stellt. Die Treue des Herzens folgt ihr. Die Kirche lehrt, dass der Papst eine konstitutive Funktion in der Kirche hat, wenn er sein Amt ausübt, aber nicht, wenn er seine privaten Ansichten äußert. Diese Unterscheidung, die schon seit jeher besteht, verweist uns auch auf den Grund, warum wir ihm folgen. Unsere Treue kommt aus dem Herzen und sie gilt einer Person, die der Herr uns vorgibt als Seinen Stellvertreter in der Geschichte, damit wir im wahren Glauben und in der Communio bleiben. Man kann nicht gegen den Papst Stellung beziehen und gleichzeitig in der Gemeinschaft verharren, die der Herr hervorbringt.

Was beeindruckt Sie am meisten an diesem Papst?
Zwei Dinge. Erstens, wie sehr er die Mission betont, sein unglaublich starkes, beinahe ungestümes Beharren darauf, dass die Kirche „hinausgehen“ müsse. Dieser Aspekt beurteilt für ihn alles und muss alles erneuern. Das ist meiner Ansicht nach ein prophetischer Ansatz. Außerdem, dass er den Glauben als eine menschliche, uns nahe Erfahrung betrachtet. Er versucht zu zeigen, dass die Lehraussagen und Prinzipien unseres Glaubens, die oft ein wenig abstrakt scheinen, eine Erfahrung des täglichen Lebens sind und mit dem Menschen zu tun haben.

Der Papst fordert uns immer wieder dazu auf, neue Formen zu suchen, um das „ewig Neue“ des Glaubens anderen mitzuteilen. Was bedeutet das Ihrer Ansicht nach? Und was hilft einem dabei?
Ja, dafür hat er eine besondere Sensibilität. Vielleicht hat er aufgrund seiner eigenen Geschichte erkannt, dass die Kirche eine größere Freiheit gegenüber allem braucht. Das bedeutet, dass wir offen sein sollen für alles, um was der Herr uns bittet, bereit, uns zu ändern, eine Kreativität entwickeln, die es uns erlaubt, auf alle zuzugehen. Uns Bischöfen hat er das bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt, teilweise sehr deutlich. Diesen Aufruf empfinde ich als einen der wichtigsten seines Pontifikats.

Und Sie? Wie bleiben Sie „offen für alle Überraschungen Gottes“, um einen weiteren Ausdruck des Papstes zu gebrauchen?
Letztlich durch die Gnade des Herrn. Denn das wäre so, als sollte ich erklären, was mir hilft, jeden Tag zu leben. Das Leben wird uns geschenkt. Wir finden es vor, wenn wir morgens die Augen aufmachen. Man denkt nicht darüber nach, sondern man lebt. Der Glaube ist wie das Leben: Man schlägt die Augen auf und es ist da. Wie ein Geschenk, das man findet und dann pflegen muss. Außerdem hilft mir die Gemeinschaft, die Menschen um mich herum. Wenn ich ein Problem zu lösen habe und mich frage, wie ich das machen soll, dann gibt es immer andere, die mich dazu bringen, dass ich nicht bei meinem gestrigen Urteil stehenbleibe, sondern mich öffne … Und schließlich ein Minimum an Ordnung im Leben. Im Alltag gibt es immer ein gewisses Maß an Stress, der verhindert, dass man die Wirklichkeit so sieht, wie sie ist. Wenn man den ganzen Tag irgendetwas hinterherläuft, wird es schwierig, noch angemessen darauf zu antworten. Und da hilft eine gewisse Ordnung.