Don Ciccio (rechts) mit Don Giussani.

NACHRUF FÜR DEN THEOLOGEN CICCIO VENTORINO (CATANIA)

Er folgte Don Giussani mit ganzer Hingabe, war für viele in der Bewegung ein Vater, stand in Beziehung zu den unterschiedlichsten Menschen, unternahm unzählige Reisen und hatte eine unerschöpfliche Energie. Am 17.8.15 ist Don Ciccio Ventorino gestorben.
Roberto Fontolan

Nach vielen Tagen im Krankenhaus, mehreren Operationen und schmerzhaften Behandlungen wollte Don Ciccio endlich nach Hause. „Ich spüre, dass meine Kräfte langsam schwinden, und wenn ich jetzt nicht nach Hause gehe, dann komme ich hier nie mehr heraus. Ich will nicht in dieser Schachtel sterben.“ Die Schachtel war ein schönes Zimmer in einer Klinik mit netten und tüchtigen Ärzten und Pflegekräften. Don Ciccio war hin- und hergerissen: Wer sollte ihn zu Hause pflegen? Aber innerlich hatte er bereits entschieden. Nachdrücklich wies er die Einwände derer zurück, die ihn in „der Schachtel“ halten wollten.

Als wir an einem glühenden Augustmorgen zu dieser Klinik in Catania fuhren,  um ihn abzuholen, sagte er mir am Telefon: „Wie, ihr seid noch nicht hier? Beeilt euch!“ Das war kein Befehl diesmal – sonst war er versessen auf Pünktlichkeit und Vorausplanung –, sondern eine Bitte. Er war bereit und wollte mit dem Abschiednehmen beginnen. Aber waren wir auch bereit?

Die Augen fest auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, sprach er mit uns über das Priestertum und wie er als Priester diesen wichtigen und geheimnisvollen Moment, das Ende des irdischen Lebens erlebe. Dass er in das Opfer Christi eintauche und seine Berufung an den Punkt ihrer vollkommenen Erfüllung gelangt sei.

Für uns klang das seltsam – wir waren, wie gewöhnlich eben, nicht bereit. Ein bisschen so, wie manche Äußerungen Jesu im Evangelium seltsam klingen. Ihm war nachdrücklich daran gelegen, uns diese Botschaft mitzugeben, ja er drängte sie uns beinahe auf. Dann bat er uns zu beten, dass er das lebendige und klare Bewusstsein bewahren könne, dass seine Stunde gekommen sei.

Lebensdurstige Pioniere. Don Francesco Ventorino, den alle nur „Don Ciccio“ nannten, hatte wohl ein paar Charakterzüge von seinem geliebten Berg Ätna geerbt: Leidenschaft, Entschlossenheit, Zähigkeit und Kraft. Das Ganze – durchwoben von einer Geduld, die aus der Jahrtausende langen Geschichte Siziliens zu kommen schien – quoll hervor wie Lava. Er sprach mitreißend, mit rauer Stimme wie Don Giussani, jener Mann, der ihn nach einer langen Reise – damals noch ohne Autobahn – von Catania bis in die Dolomiten mit einer Umarmung empfangen hatte.

In Dankbarkeit gegenüber Gott, der mein Leben mit Gnade erfüllt hat, und all jenen, die gut zu mir waren und mir Gutes getan haben, bitte ich um Verzeihung für das Böse, das ich getan habe, und vergebe meinerseits denjenigen, die mir Schmerz zugefügt haben. Ich opfere mein Leben dafür, dass Christus alles in allen wird, und besonders für die weitere Entwicklung des Charismas von Don Giussani und der Bewegung Comunione e Liberazione, der ich die Fruchtbarkeit meines Priestertums verdanke.“
(Aus dem Testament von Don Ciccio Ventorino)

Damit begann für Don Ciccio eine andere Reise, das große Abenteuer in der Bewegung. Er und ein Grüppchen junger Priester folgten Don Giussani. Sie waren lebensdurstige Pioniere, ergriffen von den Worten und überzeugt von der Methode Giussanis. Mit ihm, so sagte Don Ciccio immer wieder, „verstand und erlebte ich das, was ich in meiner Berufung bis dahin nur geahnt hatte: die Erziehung zum Glauben, die vernunftgemäße und existentielle Einführung in das große Geheimnis des Gottes, der Mensch geworden ist. ‚Ich habe dich geschaffen und hingestellt für das Volk.‘“

Don Ciccio hat nicht „sein Leben hingegeben“ für die Bewegung. Er hat sie einfach in allem und überall gelebt, in jedem Augenblick seines Tagesablaufs, in jedem Winkel seines Körpers, der in der letzten Zeit so verfallen war, in jedem Bereich seines Wirkens, bis hinein in die Gefängnisse von Catania. Es gab keinen Menschen, keinen Gedanken, keine Gegend, die er aus diesem seinem „Hingestellt-Sein“ ausgenommen hätte.

Heiliges Land. Wie viele Pilgerreisen in das Heilige Land hat er gemacht! Und jedes Mal gab es eine Überraschung, eine Begegnung. Keine Reise dorthin ohne einen wichtigen Gesprächspartner – das war seine eiserne Regel. So trafen wir den großen Nuntius Pietro Sambi oder Pater Pierbattista Pizzaballa, der damals noch die hebräisch-sprachige Pfarrei betreute. Das erste Treffen fand in der Bar von Notre Dame an den Mauern der Jerusalemer Altstadt statt. Und wir gingen von dort weg mit dem Gefühl, eine kostbare Entdeckung gemacht zu haben.

In der Türkei, auf den „Spuren des heiligen Paulus“, wollte er uns in jeder kleinen Stadt mit einem Priester oder einer christlichen Familie zusammenbringen, sofern es welche gab. Und unendlich viele Reisen durch Italien hat er unternommen, vor allem nach Rom. Er fuhr mit Gemeinschaften, Jugendgruppen und Familien (von denen er manche wieder zusammengebracht hat), und manchmal auch mit Leuten, die er gerade erst kennengelernt hatte. Er kannte Flughäfen und Check-in-Bereiche wie kein anderer und wollte immer so früh wie möglich dort sein.

Grußwort von Julián Carrón
Unser und euer großer Freund sieht nun das gütige Antlitz jenes Geheimnisses, das alle Dinge erschafft. Ich wünsche euch, dass ihr euch der Geschichte immer würdig erweist, durch die Don Ciccio für so viele von euch in Sizilien zum Vater wurde. Es begann damit, dass er in dem Zeugnis eines jungen Mädchens von GS Ende der 50-er Jahre das Zeichen eines Rufes erkannte, der sein Leben veränderte. Als junger Priester hatte Don Ciccio die Einfachheit, dem Wahren, dem er begegnet war, zu folgen.
Mögt auch ihr die Erfahrung machen, dass der Glaube „ein Blick ist, den es zu lernen gilt, und nicht ein Kriterium, das man anwendet“, wie er zu Don Giussani sagte. Damit erkannte er an, dass die Treue zum Charisma als einem Ereignis des Lebens der sichere Weg zur Erfüllung seines eigenen Menschseins war.
Dieses Neue, das in sein Leben eingetreten war und dazu führte, dass er sein Leben für die Bewegung hingab und so vielen Menschen auf der Suche nach Glück begegnete, bis hin zu den Häftlingen in Catania, hat seinen Gipfel in dem Zeugnis erreicht, mit dem Don Ciccio seine Krankheit angenommen und sich dem Geheimnis anvertraut hat, das ihn ergriffen hatte.
Ich wünsche mir, dass wir alle uns sein Zeugnis zunutze machen können.
Ich umarme euch

Don Julián Carrón
Mailand, den 17. August 2015


Ein sehr genauer Mensch, der die Treffen der Gemeinschaft sorgfältig vorbereitete und für jede Entscheidung gute Gründe vorbrachte. Mich hat an Don Ciccio immer beeindruckt, wie beständig und unerbittlich – oft haben wir unsere Witzchen darüber gemacht – er darauf drängte, nicht an der Oberfläche zu bleiben, sondern tiefer einzudringen, weiter zu gehen, um an den Ursprung oder die Quelle zu gelangen. Zu dem, was wirklich zählt. Dem, was „da drinsteckt“, was da ist und herausdrängt, was enthüllt werden will, was auf den Tisch kommen muss, nicht zuletzt vor einem selbst. Was willst du wirklich? Was liegt dir wirklich am Herzen?

In dieser Hinsicht duldete er keine Ausflüchte, weder bei den Versammlungen noch im persönlichen Gespräch. Auch im Umgang mit Journalisten, Managern, Wissenschaftlern, Männern und Frauen, die mit der Bewegung nichts zu tun hatten. Ich staunte immer, wie direkt und undiplomatisch er sein konnte, ohne indiskret zu werden. Im Gegenteil, gerade deshalb suchten ihn die unterschiedlichsten Menschen immer wieder auf und wollten mit ihm sprechen. Verblüffend war, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihm ihr Innerstes offenbarten, nachdem man zunächst über Giussani, Newman oder Thomas von Aquin gesprochen hatte.

„Was willst du von mir?“ Seit langer Zeit lebte er mit verschiedenen, teils schwerwiegenden Einschränkungen: Operationen, Untersuchungen, Diagnosen, Ärzte, Kliniken. Ein Hin und Her, bei dem man kaum nachkam. Er selbst war allerdings immer völlig im Bilde über jede Diagnose. Und er hatte eine unglaubliche Energie. Diese urwüchsige Kraft drängte ihn gleich wieder aus den Operationssälen heraus, um in irgendein Flugzeug zu steigen oder das Seminar der Gemeinschaft vorzubereiten. Er brauchte keine Zeit zum Ausruhen oder zur Rekonvaleszenz. Ich glaube, er fürchtete sich fast davor.

Ab einem bestimmten Punkt merkte ich aber, dass er begann, seine Krankheit anders zu sehen. Nicht als etwas, das ihm „passierte“, sondern als etwas, das zu ihm gehörte, das mit seinem Sein und seinem In-der-Welt-Sein zu tun hatte. Auch in der Krankheit „steckte etwas drin“, auch sie hatte einen dunklen, aber drängenden Urgrund, den er jenseits aller Symptome ergründen wollte. Er wollte Erklärungen, unerbittlich und fordernd wie immer. Wer bist du, der du auf diese Weise an meine Tür klopfst? Was willst du von mir?

Und langsam lichtete sich das Dunkel. Der Blick richtete sich auf den letzten Grund der Dinge, wo alles für ihn, für Don Ciccio bereitet war. Er hatte den Wunsch, es ganz zu verstehen, ein Wunsch, der reines Gebet geworden war. Die Vollendung seiner Berufung, Priestertum und Opfer. Alles war für ihn. Die seltsamen Worte an jenem Tag zeigten: Jetzt war er bereit.