Die Familie Martin

HEILIGSPRECHUNG EINES EHEPAARS: DIE ELTERN DER Hl. THERESE VON LISIEUX

Am 18. Oktober hat der Papst Louis und Zélie Martin, die Eltern der „kleinen Therese“ von Lisieux, heiliggesprochen. Es war die erste gemeinsame Kanonisierung eines Ehepaars.
Paola Bergamini  

Auf ihre Fürsprache wurde der Sohn von Adele und Valter Schiliró, geheilt. Diese berichten, wie sich ihr Leben verändert hat, und das von vielen ihrer Freunde.

„Ich umarme dich von ganzem Herzen. Heute bin ich so glücklich in dem Gedanken, dich wieder zu sehen, dass ich nicht arbeiten kann. Deine Frau, die dich mehr liebt als ihr Leben.“ Als Zélie diese Zeilen an Louis schrieb, waren sie schon viele Jahre verheiratet. Wie kann es sein, dass sie ihn „mehr liebt als ihr Leben“, wenn die Faszination des Verliebtseins doch mit der Zeit abnimmt und das Leben einen, wie in ihrem Fall, auf eine harte Probe stellt? Wo kommt diese Hingabe, dieses absolute Vertrauen her? Es gibt etwas anderes, das Eheleute trägt. Damals wie heute.

Louis Martin und Zélie Guérin, die Eltern der heiligen Therese von Lisieux, wurden am 18. Oktober 2015 in Rom heiliggesprochen, während die Synode über die Familie tagte. Papst Franziskus wollte das bewusst so, „um ein Vorbild und konkretes Beispiel für das aufzuzeigen, was die Synode darlegen wird“, sagt Pater Romano Gambalunga, der Postulator des Heiligsprechungsverfahrens. „Sie sind die ersten, die bewusst als Ehepaar heiliggesprochen werden. Das ist ein schönes Zeichen für christliche Familien, die oft alleingelassen werden und gegen den Strom schwimmen müssen, um in der Wahrheit leben und ihre Kinder erziehen zu können mit der Liebe, die Gott uns in Christus geschenkt hat.“

Seliggesprochen wurden Louis und Zélie am 19. Oktober 2008 in Lisieux. Damals war als Wunder die Heilung von Pietro Schilirò anerkannt worden, der mit einer schweren Lungenfehlbildung geboren wurde. Für seine Eltern, Adele und Valter, hat die Beschäftigung mit dem Ehepaar Martin sehr viel verändert, auch die Art, wie sie als Familie leben, bis heute. Adele berichtet: „Zunächst wussten wir praktisch nichts über sie. Um sie kennenzulernen, fingen wir an, ihre Briefe zu lesen.“ Dabei entdeckten sie sogleich, wie normal das Familienleben bei den Martins war. „Die Sorgen um die Arbeit, die Krankheiten der Kinder, bis hin zu ganz konkreten Situationen, dass sie umziehen mussten, zum Beispiel, waren, abgesehen von den historischen Unterschieden, genau die gleichen wie bei uns.“

Worin besteht dann das Besondere? „In dem Bewusstsein, dass der Herr sich um ihr Leben kümmert. Diese Gewissheit hat sie nicht nur die schwierigen Situationen mit einer positiven Grundhaltung leben lassen, sondern gab ihnen auch die Weisheit, Lösungen zu finden. Ihre Beziehung hatte den immer neuen Schwung der göttlichen Liebe, die sie zur Ehe berufen hatte.“

Für Adele und Valter war das eine weitere Entdeckung: ihren Bund nie für selbstverständlich zu halten. Ja, mehr noch, für den anderen zu sorgen und ihn zu achten, weil er ein Geschenk für die eigene Bekehrung ist. So zu leben, ist auch anstrengend. Man kann nicht einfach mit Groll im Herzen schlafen gehen, wenn man gestritten hat oder eine Meinungsverschiedenheit hatte. „Aber es braucht nicht viel“, sagt Valter. „Es reicht, wenn einer von beiden flüstert: ,Sprechen wir ein Gebet zusammen‘. Das lehrt uns ja auch Papst Franziskus. Die Heiligsprechung der Martins sagt uns, dass wir alle zur Heiligkeit berufen sind. Berufung und Mission der Familie in der Kirche und in der modernen Welt geht durch diesen Ruf zur Heiligkeit im Alltag.“ Das verändert das Leben auch in Kleinigkeiten. 

Familie Schilirò

Das Telefon steht nicht still. Eines Abends kehrt Valter bedrückt von der Arbeit zurück: Es gab Ärger. Als er mit seinen Klagen loslegt, unterbricht Adele ihn: „Du hast allen Grund, dich zu beklagen. Aber vertraust du dem Herrn eigentlich nicht? Meinst du, Er kümmert sich nicht mehr um dich? Du kannst morgen wieder mit Groll im Herzen zur Arbeit gehen. Oder daran denken, dass es einen größeren Plan gibt, einen besseren Plan, den wir entdecken und um den wir bitten können. Gemeinsam.“ So wie sie es für Pietro getan hatten.

In den vergangenen Jahren sind Louis und Zélie Martin durch Adele und Valter zu Wegbegleitern für viele Menschen, viele Paare geworden. Seit dem Wunder an Pietro und noch mehr seit der Seligsprechung steht das Telefon im Hause Schilirò nicht mehr still. Pfarreien, Kulturzentren oder einfach Gruppen von Freunden aus Italien und darüberhinaus laden sie ein zu erzählen, was geschehen ist und wie sich ihr alltägliches Leben dadurch verändert hat. „Von unserer Geschichte zu erzählen und Zélie und Louis bekannt zu machen“, sagt Valter, „ist eine ganz konkrete Gelegenheit, über die Berufung zur Ehe nachzudenken. Andere sind nicht nur etwas Gutes für einen selbst, sondern sie rufen einen auch zur Bekehrung des Herzens auf. Sie richten einen wieder auf, wenn man sich mit weniger zufriedengeben will, da es ja oft schwierig ist, sich zu ändern. Ein Beispiel sind die Kinder. Man kommt müde nach Hause und will nur noch seine Ruhe haben. Aber sie bombardieren einen mit ihren Problemen und verwickeln einen in Diskussionen. Dann reicht ein Wort oder auch nur ein Blick meiner Frau, um mir wieder bewusst zu machen, was für ein Geschenk und Reichtum sie für unser Leben sind. Und ich fange wieder neu an.“

Es waren Jahre des Engagements und unerwarteter Begegnungen. Und nicht nur öffentlicher Begegnungen. Oft sind es einzelne Personen oder Paare, die schwere Zeiten durchmachen und Adele und Valter anrufen. Sie fragen, ob sie einmal vorbeikommen und mit ihnen reden könnten. „Es dauert nicht lange, bis sie merken, dass wir nicht ‚die glückliche Familie‘ sind oder keine Sorgen hätten. Ganz im Gegenteil. Auch bei uns gibt es Diskussionen und Probleme, wie auch im Hause Martin. Deshalb sagen wir den Leuten oft, sie sollten zu Zélie und Louis beten und auf sie schauen, damit sie die Liebe wieder finden, die verschwunden zu sein scheint.“

So geschah es auch einem befreundeten Paar, das zu ihnen kam, weil es in einer Krise war. Adele und Valter schlugen ihnen vor, zusammen die Briefe von Louis und Zélie zu lesen. Das tun sie oft. Darin sieht man, dass die neuen Heiligen ein ganz normales Leben geführt haben, das aus einfachen, aus wichtigen und manchmal auch aus schmerzhaften Ereignissen bestand. Aber es wird immer klarer, dass das Wichtigste in ihrem Haus war, „dem Herrn zu dienen“. „Das ist ein guter Ausgangspunkt“, sagt Adele. „Es macht deutlich, dass im Leben der Familien, die eine Krise durchmachen, andere Dinge die erste Stelle eingenommen haben. Wenn man sich eingesteht, dass man das Lieben immer noch lernen muss, dann kann man Zélie und Louis als Freunde sehen, deren Beispiel man folgen kann. Das ist alles, was wir vorschlagen. Wir sind keine Psychologen und wir maßen uns nicht an, die Probleme anderer Leute lösen zu können. Aber aus so etwas kann eine Spirale der Hoffnung werden, ein Weg – selbst wenn manchmal eine schmerzhafte Zeit der Trennung nötig ist.“

Rückkehr zum Leben. Nach einiger Zeit erhielten sie von Giovanna, der Ehefrau, folgende E-Mail: „Vom ehelichen Leben der Martins zu lesen, hat mir die Hoffnung und Kraft gegeben, einen neuen Versuch zu machen, mit meinem Mann zusammenzuleben. Der Weg, den sie vorschlagen, ist wirklich etwas für alle. Das war eine ganz wichtige Erfahrung für mein Leben. Unabhängig davon, wie es ausgeht. Jetzt, da wir getrennt leben und meine Ehe sich auf so schmerzliche Weise verändert hat, hilft mir die Beschäftigung mit ihrem Leben paradoxerweise, morgens aufzustehen und alles Demjenigen anzuvertrauen, der uns liebt.“ So kann man zum Leben zurückkehren.

Veronica ist den Schiliròs gewissermaßen „von ferne“ begegnet. Mit 25 Jahren las sie die Geschichte von Pietro und hörte von dem Ehepaar Martin. Sie fing an, zu ihnen zu beten, dass sich ihr größter Wunsch erfüllen möge: eine Familie zu haben. Aber ihre Verlobung ging in die Brüche und sie stürzte sich in Beziehungen, die zu nichts führten. Mit 30 Jahren glaubt sie, den Mann ihres Lebens getroffen zu haben. Sie wird schwanger. Er will aber nichts davon wissen und verlässt sie. Sie ist sehr einsam und hat Angst vor der Zukunft. So beginnt sie wieder, zu Zélie und Louis zu beten, sie mögen ihr helfen.

Die Schwangerschaft verläuft problemlos. „Für mich war das erstaunlich angesichts meiner Stimmungsschwankungen. Aber ich hatte die Gewissheit, nicht allein zu sein.“ Nur der Geburtsvorbereitungskurs macht ihr Sorgen, bei dem alle in Begleitung ihrer Männer oder Freunde kommen werden. Da kommt der Anruf einer Freundin, die gerade ihren Abschluss als Hebamme macht. Sie fragt, ob sie Veronica als „Fall“ für ihre Abschlussarbeit nehmen könne. Und wird damit zu ihrem Schutzengel. Sie begleitet sie zu den Untersuchungen, zum Ultraschall und zum Geburtsvorbereitungskurs. Bis hin zur Geburt von Zelia Maria. Veronica vertraut ihre Tochter den Eltern der heiligen Therese an und betet weiter zu ihnen. Sie betet auch, dass sie einen Vater für ihre Tochter findet. Und das „Wunder“ geschieht!

Es macht deutlich, dass im Leben der Familien, die eine Krise durchmachen, andere Dinge die erste Stelle eingenommen haben. Wenn man sich eingesteht, dass man das Lieben immer noch lernen muss, dann kann man Zélie und Louis als Freunde sehen, deren Beispiel man folgen kann.

Marco dagegen kannte Adele und Valter schon, bevor sie geheiratet haben. Sie hatten sich nur eine Zeit lang aus den Augen verloren. Als er aber von Pietro hört, besucht er sie sofort. Damals überlegt er gerade, ob er zum gottgeweihten Leben berufen sei. Als er allerdings persönliche Probleme  bekommt, beschließt er, diesen Weg nicht weiter zu verfolgen. Er setzt seine Zeit und Energie für Menschen in Schwierigkeiten ein, weil er denkt, das sei vielleicht seine Weise, Jesus nahe zu sein. Aber er schafft es rein physisch nicht.

„Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ In dieser schwierigen Zeit geht er immer wieder zu Adele und Valter. Ihre unaufdringliche Begleitung und die Zuneigung, mit der sie ihm begegnen, geben ihm Kraft und Hoffnung. Eines Tages sagt er zu Adele: „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Einerseits möchte ich mich ganz dem Herrn weihen. Andererseits habe ich eine Frau kennengelernt, zu der eine unerwartete Liebe entstanden ist, die auch erwidert wird.“ Adele sagt nur: „Bevor Zélie und Louis geheiratet haben, wollten sie auch in einen Orden eintreten.“

Für Marco wird dadurch alles klar und einfach. Jesus wartet schon auf ihn und es ist sinnlos, Ihn woanders zu suchen. Er heiratet, und Zélie und Louis Martin werden Teil der Familie. „Ich bitte sie für meine Frau, die nicht gläubig ist, für die Menschen, die leiden, aber auch für mein alltägliches Leben. Sie wirken bereits Wunder. Sie helfen mir meine Frau anzunehmen und zu lieben und ihren absoluten Wert zu erkennen in der Hoffnung, dass sie ihre Bestimmung und ihr Glück findet.“

Für Adele und Valter ist jede derartige Begegnung ein Geschenk. „Das lässt uns nie zur Ruhe kommen. Aber so wird das Familienleben zu einem wunderschönen Abenteuer.“