Nach der Synode. Interview mit Bischof Paolo Pezzi (Moskau)

Reden wir Klartext. Die Versammlung der Bischöfe ist vorbei und alle warten auf die Entscheidung des Papstes. Paolo Pezzi, Erzbischof von Moskau, spricht darüber, wo er mit den Ergebnisse der Synode zufrieden ist. Und wo nicht.
Davide Perillo

Insgesamt 328 Redebeiträge, 54 Stunden Sitzungen, weitere 36 Stunden in den Kleingruppen. Daraus entstanden 94 Abschnitte der Relatio finalis unter dem Titel „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt“, die vorerst die Arbeiten der Familiensynode abschließt. „Vorerst“, denn nun hat der Papst das Wort.

Papst Franziskus hatte die außerordentliche Synode im Oktober 2014 eröffnet. Dabei hatte er gesagt, er erwarte von den Synodenvätern „Parrhesie und Demut“, also dass sie freimütig sprechen und bereit sind zuzuhören. Er verfolgte die Sitzungen sehr genau und begleitete sie mit seinen Katechesen über die Familie. Am 24. Oktober 2015 schloss er die Versammlung. Dabei bekräftigte er, das bedeute nicht, dass „alle mit der Familie zusammenhängenden Themen zum Abschluss gebracht worden“ seien, sondern man habe versucht, sie „mit dem Licht des Evangeliums ... zu erhellen und sie mit der Freude der Hoffnung zu durchfluten, ohne in die simple Wiederholung dessen zu verfallen, was nicht zur Diskussion steht oder bereits gesagt worden ist“. Nun wird der Papst höchstwahrscheinlich ein Dokument verfassen, das auf den Anstößen aus dem Abschlussbericht basiert. Dies schließt auch jene Themen ein, über die sich die Medien ausführlich ausgelassen haben, wobei sie sich vor allem auf die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion konzentrierten.

Zweiter von rechts ist Paolo Pezzi, Erzbischof von Moskau

Monatelang war darüber diskutiert worden. Und der betreffende Abschnitt der Relatio finalis erreichte die nötige Zweidrittelmehrheit nur knapp (178 Stimmen, eine mehr als die erforderlichen 177). Darin wird auf eines der grundlegenden Dokumente über die Familienpastoral verwiesen, das Apostolische Lehrschreiben Familiaris Consortio des heiligen Johannes Paul II. Er schreibt: „Die Hirten mögen beherzigen, dass sie um der Liebe willen zur Wahrheit verpflichtet sind, die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden.“ (Familiaris Consortio 84) Und die Synode bekräftigt nun: „Es ist also Aufgabe der Priester, die betroffenen Menschen entsprechend der Lehre der Kirche und der Richtlinien des Bischofs auf dem Weg der Unterscheidung zu begleiten.“ Und: „Die pastorale Bemühung, die Geister zu unterscheiden, muss sich, auch unter Berücksichtigung des aufrichtig geformten Gewissens der Menschen, dieser Situationen annehmen.“ (Nr. 85). Hier wird nicht die Lehre geändert, was im Übrigen undenkbar wäre, sondern an die Verantwortung der Hirten und der Menschen, die ihnen folgen, appelliert. Die Synodenväter haben zur Kenntnis genommen, dass die Wirklichkeit immer komplexer wird, was auch neue Herausforderungen für die Familie bedeutet, die seit je die Keimzelle von Kirche und Gesellschaft ist.

Paolo Pezzi, seit 2007 Erzbischof des Erzbistums Mutter Gottes von Moskau, hat als vom Papst Berufener an beiden Teilen der Synode teilgenommen.

Sind Sie mit dem Verlauf der Synode zufrieden?
Ja. Ich war sehr beeindruckt, welche Beachtung der Papst diesem Thema geschenkt hat. Erstaunt war ich auch, wie viel in dieser Zeit nachgedacht – man könnte auch sagen geurteilt – wurde.

Genug, um das Thema erschöpfend zu behandeln?
Mit Blick auf die Quantität an Arbeit, Gedanken und Überlegungen würde ich sagen: ja. Was vielleicht fehlt, ist eine etwas einheitlichere Synthese in den Vorschlägen, die dem Papst am Ende unterbreitet wurden, auch wenn sie sehr differenziert und durchdacht sind. Aber ich glaube nicht, dass man das in den letzten Stunden einer solch komplexen Arbeit erwarten konnte. Welche Früchte die Synode bringt, werden wir später sehen. Vor allem in einem Dokument, das der Heilige Vater, wie ich hoffe, verfassen wird in der Art, wie er schon mehrere äußerst wertvolle Beiträge geschrieben hat.

Denken Sie da an einen bestimmten Text?
Ich denke besonders an Evangelii Gaudium, in dem er auf geniale Weise von der Freude und Schönheit der Mission gesprochen hat. Oder an das Motu Proprio über die Ehe, bei dem er erst vor kurzem gezeigt hat, dass er ein heikles Thema auf einfache Weise darzulegen versteht. Kurz, ich erwarte in den nächsten Monaten einen Text vom Papst, der in diese Richtung geht. Er soll uns helfen, die Früchte der Synode besser zu verstehen, indem er uns eine einfache Zusammenfassung dessen bietet, was man heute etwas hochtrabend als „das Evangelium der Familie“ bezeichnet.

Papst Franziskus bei der wöchentlichen Generalaudienz (Juli 2015). ©Giuseppe Ciccia/Pacific Press/LightRocket via Getty Images

Welche Punkte hätte man Ihrer Meinung nach noch mehr vertiefen können?
Die beiden großen Dimensionen des Themas – Berufung und Sendung der Familie – wurden gut herausgestellt. Aber in mancher Hinsicht laufen wir Gefahr, sie als zu selbstverständlich zu betrachten. Zum Beispiel wurde wenig darüber nachgedacht, worin die Berufung der Familie genau besteht und worauf sie gründet. Denn wenn wir das Wort „Berufung“ ernst nehmen, ist das ein sehr starker Begriff. Wenn man von Berufung spricht, meint man eben die zur Ehe oder zum geweihten Leben. Der andere Aspekt ist die Sendung: Was bedeutet es, dass die Familie ein missionarisches Subjekt ist? Dass sie also vor allem etwas Positives, ein Vorschlag ist, und nicht in erster Linie etwas, das in Schwierigkeiten steckt und Angriffen von verschiedenen Seiten ausgesetzt ist, wie auch der Papst mehrfach betont hat. Es ist nicht so, dass man darüber nicht gesprochen hätte. Aber vielleicht wäre man diesen beiden Punkten eher gerecht geworden, wenn man sie nicht ganz so selbstverständlich genommen hätte.

Bei welchen Themen sind Sie mit der Arbeit zufriedener?
Vor allem bei zwei Punkten. Zuerst die Bildung, auch wenn ich lieber von Erziehung spreche. Darüber wurde viel diskutiert. Für mich ist das eine positive Konsequenz daraus, dass man die Familie als Berufung erkannt hat. Wenn Familie Berufung ist, brauchen die, die eine Familie gründen, eine Zeit der Vorbereitung. So wie jemand, der in einen Orden eintritt, eine gewisse Zeit braucht, in der er seine Berufung verifizieren kann, eine Zeit des Unterscheidens und des Begreifens, eine Zeit, in der er sich darauf vorbereitet, die Verheißungen, die Aufgaben und die Freuden, die die Berufung in sein Leben bringt, anzunehmen. Wenn ich eine Trauung feiere, sage ich den Brautleuten immer: Bedenkt, dass ihr hiermit nicht am Ziel angekommen seid, sondern am Anfang steht. Bei diesem Punkt gab es von mehreren Seiten Anläufe, Inhalt und Methode dieser Hinführung zu vertiefen: Wie macht man es, was soll vermittelt werden, und so weiter.

Und der zweite Punkt?
Die Probleme von Paaren, die keine sakramentale Ehe geschlossen haben. Und Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten haben, diese Berufung zu leben. Die tun sich natürlich schwer, die missionarische Kraft dieser Berufung zum Ausdruck zu bringen. Darüber haben wir viel gesprochen. Das ist ein weites Feld, das nicht nur die wiederverheirateten Geschiedenen betrifft. Möglicherweise entspricht das Ergebnis nicht ganz den Anstrengungen, die gemacht wurden. Aber die Arbeit war sehr positiv.

Inwiefern entspricht es dem nicht?
Vielleicht ist es in den entsprechenden Abschnitten nicht klar und deutlich genug gelungen, den Reichtum der Diskussion wiederzugeben. Das ist verständlich, denn das war einer der heißesten Diskussionspunkte. Möglicherweise war das auch ein Grund, warum einige Teilnehmer dagegen gestimmt haben. Weniger wegen der aufgezeigten Lösungsansätze, sondern weil es in diesen Abschnitten leider nicht gelungen ist, die Komplexität des Dialogs insgesamt darzustellen.



Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich sehe es positiv. Man hat versucht, auf eine Praxis hinzuweisen, die oft schon besteht, und den Hirten – in erster Linie uns Bischöfen, aber auch den Priestern – etwas mehr ins Bewusstsein zu rufen, wie wichtig es ist, die Menschen, die sich in dieser Situation befinden, anzunehmen und ihnen zuzuhören. Und mit ihnen im „Forum internum“ – vereinfacht gesagt, in der Beichte – die Angelegenheit zu besprechen, um jeden Einzelfall bewerten zu können.

Wie beurteilen Sie den Wert, der der Unterscheidung und dem Gewissen zugemessen wird? Einerseits scheint es realistisch, sich den Herausforderungen der Wirklichkeit so zu stellen, wie sie uns begegnet, vielleicht anders als wir sie uns wünschen, unvollkommen, nicht nach Plan, aber sie erst einmal so hinzunehmen, wie sie ist in ihrer Komplexität. Andererseits befürchten manche, dass dann alles willkürlich wird.
Ich wiederhole, dass diese Unterscheidung in der Praxis schon oft zum Tragen kommt. Die Fakten erfordern das schon. Es ist nicht so, als wäre da etwas besonders Neues gesagt worden. Eine andere Frage ist, ob man dem einen weiteren Anstoß geben soll und in welche Richtung. Auch in dieser Hinsicht könnte ein Beitrag des Heiligen Vaters klärend wirken. Die Synode trifft keine Lehrentscheidungen und sie führt auch keine neue Praxis ein. Sie gibt dem Papst Empfehlungen und Hinweise, in welche Richtung es gehen könnte. Außerdem gibt es noch einen anderen Aspekt, über den wir unter uns viel gesprochen haben, über den aber außerhalb wenig zu hören war.

Und zwar?
Die unabdingbare Rolle der Gemeinschaft. Bei den Beratungen wurde sehr stark darauf abgehoben. Das ist ein wesentliches Element der christlichen Erfahrung. Und noch mehr, um dieses segensreiche Annehmen leben, diese Begleitung anbieten zu können. Das Annehmen ist nicht abstrakt: Man hat nur am christlichen Leben teil, wenn man am Leben einer Gemeinschaft teilnimmt. Man findet die Begleitung für sein Leben in einer Weggemeinschaft, die einen zur Bestimmung führt.

Es gab noch einen weiteren, sehr vehementen Einwand: Läuft man nicht Gefahr, die Gläubigen zu verwirren, wenn man Regeln aufgibt und nur noch von Fall zu Fall entscheidet?
Die Möglichkeit besteht ohne Zweifel. Ich hoffe sehr, dass dies nicht geschieht. Aber das hängt sehr von der Ernsthaftigkeit und Liebe ab, mit der wir Bischöfe und Priester das angehen. Sehen Sie: Auch nach dem Konzil haben bestimmte Dinge eine eigentümliche Wendung genommen, aber nur aufgrund von einigen verzerrenden Interpretationen. Diese Synode bringt die gleiche Herausforderung mit sich: Das Ergebnis wird in hohem Maße davon abhängen, wie die Hirten damit umgehen.

Der Papst hat die Synodenväter aufgefordert, „offen zu sprechen“. Und das haben sie wohl auch getan. Das führte auch dazu, dass über bestimmte Punkte kontrovers abgestimmt wurde. Warum hat das viele so überrascht und manchen sogar Angst gemacht? Als stelle allein schon die Tatsache, dass man sich bestimmten neuen Herausforderungen der Wirklichkeit stellt, die Wahrheit des Glaubens in Frage …
Ich sehe zwei Gefahren, die sich diametral entgegenstehen, aber vielleicht zwei Seiten einer Medaille sind. Auf der einen Seite, das man sich erbittert hinter einer Wahrheit verschanzt, die zur abstrakten Regel wird. Auf der anderen Seite die entgegengesetzte Haltung: Dass man sich die Hände nicht schmutzig machen will, sich dem Thema nicht wirklich stellt und es gewissermaßen betäubt durch eine neue Norm, die mich im Grunde aber außen vor lässt, so dass ich mich mit dem Problem nicht mehr befassen muss. Beides scheint mir den gleichen Ursprung zu haben: eine gewisse Angst, sich der Wirklichkeit so zu stellen, wie sie einem entgegentritt. Der Grund dafür ist eine Schwäche der eigenen Identität. Mir fällt dazu ein, was Don Giussani in seinem letzten Interview gesagt hat: Die Kirche hat die Welt verlassen und umgekehrt, weil wir vergessen haben, wer Christus ist. Wir haben keine klare Identität.

Verpassen wir nicht, wie der Papst sagt, eine Gelegenheit, wenn wir weiterhin nur auf den negativen Aspekt schauen, auf das, „was fehlt“? Dem Menschen von heute öffnet sich doch oft gerade, wenn etwas nicht „hinhaut“ und man die Dinge auch mit neuen Regeln nicht in den Griff bekommt, ein Weg und er interessiert sich wirklich für Christus …
Das erstaunt mich jedes Mal, wenn ich mich in den Beichtstuhl setze. Wenn die Leute merken, dass etwas nicht stimmt, und ihre eigene Sünde erkennen, öffnet sich wirklich der Weg, sich des Geschenks der Barmherzigkeit bewusst zu werden, das uns umarmt. Etwa so, wie uns der Papst am 7. März gesagt hat: Oft wird die Sünde zu dem Ort, an dem wir die Barmherzigkeit am deutlichsten spüren. Wir sollten keine Angst haben, sondern uns des Positiven bewusst werden. Es ist nicht so, dass es an sich positiv wäre, wenn einem etwas fehlt. Aber dieses Fehlen macht einen aufmerksamer für die Barmherzigkeit, die einem zuteil wird.



Gilt das auch für Leute, die der Kirche fernstehen?
Sicher. Es ist sogar so, dass denjenigen, die am fernsten stehen, diese Barmherzigkeit oft besonders zuteil wird.

Welche Beiträge haben Sie bei der Synode am meisten beeindruckt?
Vor allem zwei, auch wenn ich nicht sagen kann, von wem sie kamen. Sie gingen von konkreten Situationen aus und verallgemeinerten nicht. Aber sie haben in diesen konkreten Fällen die unendliche Liebe Gottes für den Menschen gespürt. Ich kann hier nicht in die Details gehen. Aber derjenige, der da gesprochen hat, war bereit, sein Leben einzusetzen, nicht um ein Problem zu lösen, sondern um den Menschen zu umarmen, der es ihm gestellt hatte.

Ist das auch eine Methode für die Hirten ...
Natürlich. Es ist immer etwas anderes, wenn man von der Erfahrung ausgeht, als wenn man nur abstrakt theologisch argumentiert.

Und zum guten Schluss: Was haben Sie persönlich bei dieser Synode gelernt?
Mir nicht zu schnell eine Meinung von etwas zu bilden. Vor allem bei der Arbeit in den Gruppen dachte ich nach vielen Beiträgen: Vielleicht bin ich nicht der gleichen Meinung, aber ich habe begriffen, dass dieses Problem noch andere Aspekte hat, die ich in Betracht ziehen sollte … Das Leben ist größer als die Definitionen. Ich bin froh, dass mir das wieder neu aufgegangen ist.