Juli 2015, Homs, Syrien ©Zhang Naijie/Xinhua Press/Corbis

Blumen mitten im Krieg:
TRAPPISTENKLOSTER IN SYRIEN

Kontemplation und Gebet, selbst wenn das Maschinengewehrfeuer näher rückt. Ein bisschen Schönheit mitten im Krieg.
Paola Bergamini  

In Syrien, das von einem blutigen Konflikt zerrissen wird, steht an strategisch wichtiger Stelle ein Trappistenkloster, an dem Christen, Schiiten und Sunniten gemeinsam gebaut haben. Und es wird immer mehr zu einem Zeichen der Hoffnung.

In nächster Nähe haben die fünf Schwestern das Maschinengewehrfeuer gehört, nur ein paar Meter von ihrem Kloster entfernt. In der Region, in der das Trappistenkloster liegt, in der Nähe des maronitischen Dorfes ’Azeir, genau auf halber Strecke zwischen Homs und Tartus, gab es in den letzten vier Jahren mehrere Gefechte zwischen Rebellen und den Truppen Assads. Der Ort ist von strategischer Bedeutung im Zentrum Syriens, mit Rundumsicht bis zum Meer und bis zu den Bergen des Libanon. Deshalb befürchteten die Schwestern während der Kämpfe, dass man sie auffordern würde, ihr Kloster zu verlassen, zu ihrer eigenen Sicherheit. Aber das ist gottseidank nicht passiert. Lediglich drei Nächte mussten sie im Dorf übernachten, in einer Wohnung, die ihnen der Pfarrer zur Verfügung gestellt hatte. Sonst waren sie immer in ihrem Kloster, nur einen Schritt vom Krieg entfernt.

Die Zeit der Kämpfe „vor der Haustür“ lebt wieder auf in den Erzählungen von Schwester Marta, der Oberin. Wir haben sie in Italien getroffen, im Kloster Valserena, wo diese ganze Geschichte ihren Anfang nahm. „Nach fünf Uhr mussten wir aufpassen und sollten lieber nicht aus dem Haus gehen. Aber es hat in all den Jahren nie einen direkten Angriff auf unser Kloster oder auf das Dorf gegeben. Anfangs wussten wir das natürlich nicht, eine gewisse Angst war also da. Aber der Herr verlangt niemals mehr von einem, als man tragen kann. Er hat uns an einen Ort geführt, wo wir bleiben konnten. Und wir sind dort zu einer Präsenz für alle geworden. Sie sprechen von uns als ‚ihren Schwestern‘. Nicht nur die Christen.“



Inzwischen scheint es etwas ruhiger geworden zu sein. Doch welche Bedeutung hat eine christliche Präsenz, haben Gebet und Kontemplation in diesem vom Krieg gebeutelten Land, in einer Gegend, in der fast alle Einwohner Muslime sind (die Mehrheit Alawiten oder Schiiten, die übrigen Sunniten)? Seit der Ankunft der Schwestern vor fünf Jahren sorgt die Errichtung des Klosters und die Bewirtschaftung des Geländes für Arbeit in den umliegenden Dörfern. Sunniten, Schiiten und Christen haben Seite an Seite das Fundament ausgehoben, Zement angerührt, Steine gesammelt für die Kapelle und ein Gebäude nach dem anderen hochgezogen. Wenn einmal das Baumaterial ausging, dann suchten die Schwestern andere Formen der Beschäftigung, damit sie die Arbeiter nicht nach Hause schicken mussten: Mäuerchen aufrichten, Wege anlegen, Drainagegräben ziehen. Irgendetwas fiel ihnen immer ein.

Das Kloster versorgt sich soweit wie möglich selbst. Es hat einen eigenen Brunnen für die Wasserversorgung, einen Gemüsegarten, einen Stromgenerator. Häufig fehlt es zwar an Diesel. Aber dann muss man Geduld haben, erfinderisch sein und versuchen, alles in den paar Stunden zu erledigen, in denen es Strom gibt. Das Mutterkloster Valserena unterstützt sie finanziell. Grundnahrungsmittel kommen überwiegend aus dem Libanon. Das größte Problem ist die Inflation, auch aufgrund der internationalen Sanktionen: Alles ist sehr teuer geworden, vor allem für die Dorfbewohner. Deswegen versuchen die Schwestern den Familien zu helfen. Beispielsweise zahlen sie für einige junge Leute die Studiengebühren oder das Fahrgeld, damit sie zur Uni kommen. Doch nicht das hat sie zu „unseren Schwestern“ gemacht, sondern ihre bloße Gegenwart. Sie bezeugen, dass ein anderes Leben möglich ist und man die Hoffnung nicht aufzugeben braucht. „Wir sind einfach da“, sagt Schwester Marta. Und schon dadurch beeindrucken sie die Leute. „Vor allem durch das gemeinschaftliche Leben, das heißt dadurch, dass wir als Gemeinschaft auftreten. Dann durch die Liturgie, die wir teilweise auch auf Arabisch feiern, die aber auch unabhängig von der Sprache die Menschen berührt. Und dann die Ruhe und Gelassenheit, mit der wir das Alltagsleben anzugehen versuchen. Dass wir Blumen pflanzen, auch mitten im Krieg ein bisschen Schönheit haben wollen. Vielleicht scheint das manchen verrückt, aber in Wirklichkeit ist es ein Zeichen dafür, dass uns etwas anderes die Freude schenkt. Damit bezeugen wir: Wenn das Leben seine wahre Bedeutung in der Beziehung mit Christus findet, dann kann man auch inmitten von Zerstörung leben und etwas aufbauen.“

Aufbau. Seit fünf Jahren bieten das Gelände und der Bau des Klosters Menschen aus den Nachbarorten eine Beschäftigungsmöglichkeit.

Das ist die heutige Situation. Wenn man aber wissen will, wie diese italienischen Schwestern nach Syrien kamen, muss man einen Schritt zurückgehen. Nach dem Massaker an den sieben Mönchen von Tibhirine in Algerien 1996 entstand im Zisterzienserorden der Wunsch, ihr Vermächtnis aufzunehmen: das Zeugnis eines gottgeweihten Lebens in einem nicht-christlichen Kontext. In der Trappistengemeinschaft von Valserena erwuchs daraus der Entschluss, ein Tochterkloster zu gründen. Aber wo? Die Vorhersehung wies ihnen den Weg.

Warum hier? Die Schwestern kamen mit Pater Frans van der Lugt (einem Jesuiten, der später in Homs ermordet wurde) in Kontakt. Und der lud sie nach Homs und Aleppo ein, damit sie Syrien kennenlernen konnten. Schwester Marta und Mutter Monica, die Äbtissin von Valserena, machten sich auf in dieses unbekannte Land. In Syrien trafen sie mit Muslimen und Christen verschiedener Glaubensrichtungen zusammen. Schwester Marta erinnert sich: „Sowohl Pater Frans als auch einige der Bischöfe sind uns mit großer Zuneigung begegnet und haben uns darin bestärkt, eine Präsenz des Gebets hier aufzubauen. Da gab es viel Achtung und auch den ausdrücklichen Wunsch nach unserer Lebensform.“ 2005 ziehen vier Schwestern in eine Wohnung in einem Viertel von Aleppo, das hauptsächlich von Armeniern und Muslimen bewohnt wird. Die Schwestern von der heiligen Dorothea helfen ihnen, sich mit dieser neuen Wirklichkeit vertraut zu machen, und sie fangen an, Arabisch zu lernen. „Da haben wir wirklich Ökumene erlebt. Beispielsweise haben wir erst nach einem Jahr gemerkt, dass einige der Freunde, die wir täglich in unserer katholischen Kirche trafen, Orthodoxe waren. Die Christen unterschiedlicher Glaubensrichtungen nahmen einfach an den Gottesdiensten der verschiedenen Konfessionen teil. Vielfach haben wir selbst an Andachten in der griechisch- oder armenisch-katholischen Kirche teilgenommen. Damals war Syrien noch ein Land, in dem die verschiedenen Konfessionen friedlich zusammenlebten.

Schwester Marta und ihre Mitschwestern suchen ein Grundstück, auf dem sie ihr Kloster bauen können. Es bieten sich verschiedene Möglichkeiten. Dann kommt der Hinweis auf jenen Hügel im Zentrum Syriens. Es ist ein sehr schöner Ort, einfach, nicht touristisch. In der Nähe gibt es zwei maronitische Dörfer, doch die meisten Einwohner sind Muslime, Sunniten Schiiten. 2010 übersiedeln die Schwestern nach ’Azeir. Drei Monate später bricht der Krieg aus. „Wenn wir noch in Aleppo gewesen wären, hätten uns unsere Oberen vermutlich zurückbeordert“, meint Schwester Marta.

In einem Amateurvideo, das dieses Frühjahr gedreht wurde, sieht man den Hügel, in der Ferne das Meer, die Blumen im Garten, die Arbeiter. Man sieht die Schwestern (inzwischen sind es fünf), wie sie Oliven ernten, und dann die Liturgie auf Arabisch. Und an einer bestimmten Stelle hört man im Hintergrund Schüsse. Der Krieg ist präsent. Es fehlt an vielem und die Not ist konkret ... „Wir vergessen das nicht. Deswegen helfen wir auch ein paar Familien in Aleppo“, erklärt Schwester Marta. „Aber materielle Hilfe allein reicht nicht. Vor allem die jungen Leute wünschen sich etwas Tieferes. Die dramatische Situation wirft die Frage nach dem Sinn des Lebens auf, nach den letzten Gründen unserer Existenz.“

Einmal besuchte ein junger Mann sie, den sie in Aleppo kennengelernt hatten. Schwester Marta sagte zu ihm: „Das Leben ist hart bei euch.“ Und er erwiderte lächelnd: „Eigentlich beginnen wir jetzt erst zu verstehen, was es heißt, als Christen zu leben.“ Diesen Satz hat sie mit in die Kapelle genommen. Und vor dem Altar wurde er zum Gebet: „Herr, diese schmerzhafte und absurde Situation ist eine Gelegenheit, um die Wahrheit in der Beziehung mit Dir zu suchen. Für alle, Christen wie Muslime.“ Davon ausgehend kann man wieder neu aufbauen.

Eine tiefergehende Antwort.
Ein anderer Jugendlicher aus Aleppo fragte die Schwestern, ob er mit einer Gruppe von Pfadfinderleitern kommen könnte und sie ihnen auf ihrem geistlichen Weg helfen würden. „Die leben in einer zerstörten Stadt. Wenn sie aus dem Haus gehen, wissen sie nicht, ob sie wieder zurückkommen werden. Aber sie haben den Wunsch, spirituell zu reifen. Deshalb denken wir, dass es nicht reicht, den Leuten Wasser und Essen zu bringen (was natürlich auch äußerst wichtig ist und zuerst kommen muss). Aber die Tiefe des Lebens, seine Würde muss auch genährt werden.“

Auch ein junger Mann aus Damaskus, dessen Vater von einem Heckenschützen erschossen wurde, verspürt inmitten der Krise das Bedürfnis nach einer tiefergehenden Antwort für sein Leben und bittet die Schwestern, ihn geistlich zu begleiten. „Wir haben noch einige Schwierigkeiten mit der Sprache, aber oft behelfen wir uns mit Englisch. Und vor allem mit dem Herzen. Damit kann man immer kommunizieren.“ Als sie mit einer kleinen Gruppe von Jugendlichen über die Barmherzigkeit, die Liebe Gottes sprechen, platzt ein Mädchen heraus: „Noch nie hat jemand zu mir so über Gott gesprochen ... Man hat mir vielleicht gesagt, dass man dies tun darf und das nicht. Aber Sie sagen etwas ganz anderes.“

In dem Video tauchen auch Gebäude auf, die noch nicht fertiggestellt sind. Sie erinnern an die trulli in Apulien. Das sollen zehn Gästezimmer werden, in denen Leute wohnen können, die am Gebetsleben des Klosters teilnehmen wollen. Nach und nach wird deutlich, durch die Beziehungen, die Tag für Tag wachsen, durch solche Anfragen, dass die Schwestern vor allem durch die Art, wie sie leben, Zeugnis ablegen. „In diesen speziellen Zeiten wird unsere Berufung schon an sich zu etwas Missionarischem“, sagt Schwester Marta. „Den geistlichen Weg unserer Schwestern und Brüder zu begleiten, ist etwas, was die Kirche heutzutage den Orden aufträgt. Man braucht nur an die wunderschönen Briefe von Papst Paul VI. an die Ordensleute zu denken. Ordensmann oder -frau zu sein bedeutet, so gut man kann die Beziehung zum Herrn zu leben, der zum Sinn unserer Tage wird. Und das teilt sich mit. In der Stille, im Zuhören, im Dialog.“

Der Dialog – eine weitere Schlüsselerfahrung dieser Nonnen in der alltäglichen Begegnung und im Austausch mit einem anderen Glauben. Der Dialog darf weder naiv sein („ich muss mir darüber im Klaren sein, wen ich vor mir habe, ich muss ihn wirklich kennen“), noch arrogant („ich habe natürlich recht und hoffe, dass Gott dich auch erleuchten wird“). „Im Mittelpunkt steht immer die Person, die ein Geheimnis ist, in dem der Heilige Geist wirkt. Im Dialog, im Austausch mit dem anderen vertiefe auch ich meine religiöse Identität. Aber ich bin mir bewusst, dass auch du deinen Weg hast, deine Beziehung mit Gott. Es ist nicht unser Bemühen, einander barmherzig, wohlwollend, offen zu begegnen, was den Dialog ausmacht, sondern der Dialog geschieht in Gott. Er ist der Mittelpunkt. Er schafft die Einheit unter uns. Denn wenn wir ehrlich und aufrichtig auf Ihn schauen, jeder gemäß dem Weg, den Er ihm vorgezeichnet hat, dann können wir einander begegnen. Das macht uns frei. Es befreit uns auch von der Angst voreinander, dass wir meinen, uns verteidigen zu müssen. Das ist ein langer Weg, aber er ist möglich und er ist uns aufgetragen. Auch angesichts dieses Krieges, der am grünen Tisch entstanden ist und durch die Angst voreinander geschürt wird.“ Es ist möglich. Es geschieht schon heute, in so vielen alltäglichen Begegnungen. Auch in diesem von Gewalt so zerrissenen Syrien.