Papst Franziskus und Patriarch Kyrill in Havanna, 12. Februar 2016.

BEGEGNUNG ZWISCHEN PAPST FRANZISKUS UND PATRIARCH KYRILL

Es ist schon etwas da! Ein Papst und ein russischer Patriarch treffen sich. Das hat es noch nie gegeben.
Luca Fiore

Paolo Pezzi, der katholische Erzbischof von Moskau, erklärt, warum die Umarmung zwischen Franziskus und Kyrill in Kuba nicht nur ein neues Kapitel in der Geschichte eröffnet, sondern auch zeigt, wie der Papst die Welt, die Politik und die Barmherzigkeit sieht.

„Ich will nicht behaupten, dass es prophetischen Charakter hatte, aber die Ikonen, die ich auf dem Altar meiner Kathedrale habe aufstellen lassen ... stellen den heiligen Petrus und den heiligen Andreas dar. Schließlich waren sie Brüder. Der eine wurde zum Vater der lateinischen Kirche in Rom, zum ersten Papst. Der andere war das Haupt der Kirche von Konstantinopel, aus der auch die Kirche von Moskau hervorgegangen ist, und wurde so auch zum Patron Russlands.“

Patriarch Kyrill bei der großen Wasserweihe in der Moskauer Erlöserkirche am 18. Januar 2016.

Vor etwas weniger als einem Jahr hatte Paolo Pezzi, Erzbischof des Erzbistums der Mutter Gottes von Moskau, die beiden Ikonen aufstellen lassen. Und nun die Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill in Havanna. „Die Umarmung zwischen Papst und Patriarch ist die Umarmung zwischen Petrus und Andreas. Wenn ich die Fotos sehe, habe ich das Gefühl, dass in dieser Umarmung schon alles liegt.“

Johannes Paul II. hatte noch davon geträumt, Benedikt XVI. hatte sich darum bemüht und Franziskus hatte seit seinem ersten Erscheinen auf dem Balkon des Petersdoms davon gesprochen. Aber es schien unmöglich, aufgrund jahrhundertealter Vorbehalte und der Abkühlung des Verhältnisses in den letzten Jahrzehnten, angesichts der Einwände der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine, der katholischen Diözesen, die nach dem Ende des Sowjetregimes in Russland errichtet wurden und der darauf folgenden Proselytismus-Vorwürfe gegen Rom. Paolo Pezzi selber ist Anfang der 90er-Jahre als Missionar der Bruderschaft vom heiligen Karl Borromäus nach Russland gekommen und hat lang genug die Kälte der sibirischen Winter und der Beziehungen zur orthodoxen Kirche am eigenen Leib gespürt.

Am 12. Februar trafen sich Papst Franziskus und Patriarch Kyrill am Flughafen von Havanna, sprachen lange miteinander und unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung, die nicht nur die Beziehungen der beiden Schwesterkirchen verändern wird. Der Text war vorher von Unterhändlern der kirchlichen Diplomatie ausgearbeitet worden und reicht von der Christenverfolgung bis zum Säkularismus, von der Verteidigung der Familie bis zur Verurteilung des Relativismus. Doch in Paolo Pezzis Kopf und Herz bleibt vor allem dieses eine Bild: „Der Papst, der sagt: ‚Endlich! Wir sind doch Brüder!‘ Und der Patriarch, der antwortet: ‚Jetzt wird alles einfacher.‘ Wenn ich in Zukunft die Ikonen in meiner Kathedrale in Moskau anschauen werde, werde ich immer an diese Umarmung denken.“

Paolo Pezzi, katholischer Erzbischof von Moskau

Was haben Sie empfunden, als Sie von Moskau aus das Treffen in Havanna verfolgt haben?
Dankbarkeit. Als ich erfahren habe, dass dieses Treffen stattfinden würde, und als es dann tatsächlich stattfand, war ich wirklich von Dankbarkeit erfüllt. Das ist das Wichtigste für mich: Das Treffen hat wirklich stattgefunden. Bei der Gebetsvigil in unserer Kathedrale habe ich gesagt, es habe für uns Christen einen großen Wert, dass man sich überhaupt trifft. Nur durch eine Begegnung kann das Christentum weitergegeben werden. Um jemandem zu begegnen, muss man ein lebendiger Mensch sein. Wenn das möglich ist, dann gibt es auch Hoffnung und es eröffnen sich neue Perspektiven.

Wie beurteilen Sie die gemeinsame Erklärung?
Es gibt darin einige neue Aspekte, und das sehe ich sehr positiv. Das Dokument spricht über viele Dinge und vielleicht kann man über manche Wendungen auch spekulieren. Aber ich bin kein Exeget. Ich sehe auf jeden Fall zwei wichtige Aspekte: Erstens, dass die Notwendigkeit eines gemeinsamen Zeugnisses betont wird. Die Aufgabe der Kirchen, im Grunde die Aufgabe jedes Christen, ist, Christus zu bezeugen. Wenn wir das gemeinsam tun, wird das Zeugnis wesentlich kraftvoller. Wenn man dann noch bedenkt, dass der Inhalt des Zeugnisses die Barmherzigkeit, die Vergebung, eine Umarmung ist, gewinnt diese Dynamik noch mehr Kraft.

Und der zweite Aspekt?
Ich weiß nicht, wie viele damit einverstanden sein werden. Denn es betrifft eine spezifische und heikle Frage, die Ukraine. Aber meiner Ansicht nach ist es wichtig, dass das Dokument von der griechisch-katholischen als einer Kirche spricht. Damit wird zunächst einmal anerkannt, dass auch diese katholische Präsenz etwas Gutes ist. Und man betrachtet den anderen nicht nur als politischen oder religiösen Gegner, sondern als jemanden, mit dem man sprechen kann, dem man begegnen kann. Wahrscheinlich werden nicht viele diesen Abschnitt so verstehen, aber ich sehe das so.

Welche Beziehung besteht zwischen dem Zeugnis und dem Streben nach Einheit?
Ich denke, wenn man dem Zeugnis Priorität gibt, geht man schon von etwas Gemeinsamen aus. Sonst könnte man nicht von gemeinsamem Zeugnis sprechen. Das, was eint, kann sehr fragil sein. In der Erklärung ist von einer „gemeinsamen Tradition“ die Rede, die allerdings auch viele Risse und Wunden hat. Mir scheint aber, hier wird vor allem etwas anerkannt, das schon da ist, nicht etwas, das wir noch schaffen oder wiederherstellen müssten. Auch so etwas wird es geben. Aber wenn wir von dem Schatz ausgehen, den wir schon haben, von der christlichen Erfahrung, dann können wir das auch mitteilen, also Zeugnis geben.

Papst Franziskus hat mit Macht auf diese Begegnung hingearbeitet, die sich schon seine Vorgänger gewünscht hätten. Viele hatten allerdings die Sorge, dadurch würden seit Jahrhunderten ungelöste Probleme unter den Teppich gekehrt.
Ich denke, dass dieser Papst und sein Stil Teil der „Überraschungen Gottes“ ist, von denen er selber oft spricht. Er überholt uns immer. Wir müssen uns daran gewöhnen, uns von Gott überraschen zu lassen. Mir scheint, dass gerade der Zugang, den dieser Papst wählt, sehr wirkungsvoll ist. „Wenn du mich rufst, dann komme ich.“  Keine Vorbedingungen für die Begegnung stellen. Dass er sagt: „Wir sprechen als Brüder miteinander, wir haben dieselbe Taufe“ ... Das eröffnet eine Perspektive, durch die die Probleme – vielleicht, zu dem Zeitpunkt, den Gott bestimmt, nicht wir – gelöst werden können. Aber ohne eine solche Perspektive werden sie nie gelöst werden. In diesem Sinn halte ich das, was geschehen ist, für sehr bedeutsam. Vergessen wir nicht, dass der Papst unmittelbar nachdem er die Erklärung unterschrieben hatte, gesagt hat: „Die Einheit bildet sich im Unterwegssein“. Das bedeutet nicht, dass die gemeinsamen Erklärungen nichts nützen. Aber es heißt, dass man sich auf die Perspektive der Begegnung einlassen muss. Dafür muss man sich ins Angesicht schauen und den anderen nicht als Gegner, sondern als möglichen Weggefährten betrachten.

Jemand hat von einer „Diplomatie der Barmherzigkeit“ gesprochen: eine unpolitische Haltung, die „politische“ Folgen hat, weil sie Probleme löst und neue Prozesse anstößt.
Jetzt sage ich einmal mutig: Genau das ist die Aufgabe des Christentums. Jesus Christus dachte gar nicht daran, die politischen Probleme zu lösen. Aber er hat durch Seine Gegenwart auch eine Perspektive eröffnet, wie man sie angehen und lösen kann. Die Kirche hat in ihrer ganzen Geschichte das gleiche getan. Ihre Aufgabe ist es, Ratschläge, Hinweise und Hilfestellungen zu geben. Sie schlägt Dinge vor, die auch politische Lösungen erleichtern können. Und ihre Gesprächspartner sind alle Menschen guten Willens, diejenigen, die politische Verantwortung und Macht haben, nicht ausgeschlossen. Franziskus denkt in diese Richtung. Gewiss manchmal etwas radikal, aber das gehört zum Wesen des Christentums und der Kirche. In einigen Fällen hat das fast unmittelbar politische Folgen. Denken wir nur an die Beziehungen der Vereinigten Staaten mit Kuba, an den mutigen Besuch in Zentralafrika, an die Gebetsaufrufe für Syrien.

Gläubige bei der traditionellen großen Wassersegnung im Rahmen des orthodoxen Epiphanie-Festes in der Gegend von Jaroslawl (Russland).

Wird die Begegnung zwischen Papst und Patriarch Ihre alltägliche Arbeit verändern?
Es hat sich schon etwas verändert: meine Haltung. Besonders seit ich Bischof bin, ist mir klar: Es gibt praktisch keinen Abstand zwischen „Persönlichem“ und dem Dienst an der Kirche mehr. Deshalb stehe ich jetzt morgens dankbarer auf. Wenn ich meine Arbeit aufnehme, versuche ich mehr darauf zu schauen, danach zu fragen, zu suchen, wie Gott mich wieder überraschen und in Erstaunen versetzen will. Ich sehne mich mehr danach, mich zu bekehren. Diese Veränderung hat die Perspektive bei mir ausgelöst, die durch die Umarmung zwischen Franziskus und Kyrill eröffnet worden ist.

Und die Orthodoxen in Ihrem Umfeld, wie sehen die das?
Was mir aufgefallen ist und mich beeindruckt hat, ist, dass sie weniger Scheu vor der Begegnung haben. Nach dem Treffen in Kuba habe ich bemerkt, dass einige Orthodoxe weniger Berührungsängste haben und zum Beispiel die katholische Kathedrale von Moskau besichtigen.  Sicher, das kann auch eine instinktive Reaktion sein, so als dächten sie: „Da hat es dieses Treffen gegeben. Gehen wir mal schauen, wer diese Katholiken sind.“ Jedenfalls sehe ich diese Effekte positiv und betrachte sie auch als Begegnungen.