MISSIONARE DER BARMHERZIGKEIT: DAS SAKRAMENT DER BEICHTE

Ein wunderschöner Moment - Pater Emiliano Antenucci ist einer der Missionare der Barmherzigkeit, die Papst Franziskus zu diesem Heiligen Jahr ausgesandt hat. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was das Sakrament der Beichte für ihn bedeutet
Alessandra Stoppa

„Weil die Kirche in dieser Zeit großer epochaler Veränderungen gerufen ist, die Zeichen der Gegenwart und Nähe Gottes vermehrt anzubieten.“ So hatte Papst Franziskus letztes Jahr am Sonntag nach Ostern begründet, warum er ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat. Anschließend hatte er in der Verkündigungsbulle erklärt, er habe die Absicht, „Missionare der Barmherzigkeit auszusenden. Sie sollen ein Zeichen der mütterlichen Sorge der Kirche für das Volk Gottes sein, damit es tiefer eindringen kann in den Reichtum dieses für unseren Glauben so grundlegenden Geheimnisses.“

Pater Emiliano Antenucci ist einer von diesen über 1.000 „Missionaren der Barmherzigkeit“. Er gehört dem Orden der Kapuziner an und wurde 2011 in Manoppello zum Priester geweiht. In der Kirche, in der das „Volto Santo“ aufbewahrt wird, war er im Sommer immer als Ansprechpartner für die Pilger eingeteilt. Geboren wurde er vor 36 Jahren in den Abruzzen. Als junger Ordensmann kam er nach Assisi, dann nach Foligno und Aquila. Heute lebt er in Chieti im Kloster „Mater Domini“.

Ein ganzes Jahr hat er in Eremitagen und Klöstern in ganz Italien verbracht, um über die Stille zu forschen. Anschließend hat er einen „Schweigekurs“ ins Leben gerufen, der heute viele junge Leute in Italien, Ecuador, Mexiko und weiteren Ländern begleitet. „Was ein Ordensmann mit Stille zu tun hat?“ Pater Emiliano lacht: „Die Stille ist unser größter Lehrmeister. Wenn ich mit Jugendlichen spreche, spüre ich, dass viele unglücklich sind. Das bedeutet, dass sie nicht gut hinhören auf das, was Gott uns sagen will.“ Der heilige Bonaventura sagte, Ordensmänner seien eine Art „Hilfsarbeiter“ der Seelsorge. Damit meinte er, dass sie predigen, Beichte hören und das geistliche Leben in den Pfarreien unterstützen sollten. „Aber sie sollten sich nicht mit Verwaltung, Organisation und dem Aufrechterhalten von Strukturen abgeben“, sagt Pater Emiliano. „Das Wichtigste ist, sich um die Seelen zu kümmern.“

Pater Emiliano Antenucci

Welchen Auftrag hat der Papst den „Missionaren der Barmherzigkeit“ gegeben, als er sie aussandte?
Sie sollen in erster Linie „lebendiges Zeichen der Liebe des Vaters sein“. Aber das gilt für alle Priester, alle sind in gewisser Weise Missionare der Barmherzigkeit. Eigentlich sogar alle Christen. Alle sind berufen, den Menschen das zu bringen, was man den „zweiten Namen der Liebe“ nennt: die Barmherzigkeit. Ich habe da ein ganz bestimmtes Bild im Kopf: den Schrei des Herzens Christi am Kreuz. Die Barmherzigkeit ist eine Haltung des Herzens, sich selbst und allen anderen gegenüber. Allen. Aber wir können nur deshalb barmherzig sein, weil Gott barmherzig mit uns ist.

Sie sollen „für die Menschen das Sakrament der Versöhnung feiern, damit in dieser Zeit der Gnade, die das Heilige Jahr uns schenkt, möglichst viele, die sich entfernt haben, den Weg zum Hause des Vaters wiederfinden“. Und sie sollen auch „Verkünder der Freude durch die Vergebung“ sein.
Ja, wir sind dazu berufen, die Beichte abzunehmen, mit der zusätzlichen Möglichkeit, einige jener Sünden zu vergeben, die sonst dem Heiligen Stuhl vorbehalten sind: die Entweihung der eucharistischen Gestalten, physische Gewalt gegen den Papst, die Verletzung des Beichtgeheimnisses und die Absolution eines Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot. Die Absolution von der Abtreibung dürfen dagegen in diesem Heiligen Jahr alle Priester erteilen. Neben der Beichte sollen wir Missionare auch Katechesen halten und die Barmherzigkeit durch „Volksmissionen“ verkünden, die von den Diözesen organisiert werden. Ich als Kapuziner empfinde es als eine Hilfe, da auf unsere Heiligen zu schauen, die gewissermaßen auf die Beichte „spezialisiert“ waren wie Leopold Mandić oder Pater Pio.

 Was lernen Sie von denen?
Zunächst einmal, dass zur Beichte zu gehen nicht bedeutet, eine „schwarze Liste“ zu erstellen. Die Beichte ist auch kein „Persilschein“, um wieder zur Kommunion gehen zu dürfen. Sie ist vielmehr ein echter Weg der Umkehr. Ich spreche lieber vom Sakrament der Versöhnung. Denn das bringt den grundlegenden Charakter dieses Sakramentes besser zum Ausdruck. Das Wichtigste ist nämlich nicht das Bekenntnis der Sünden, sondern die Gnade, die man geschenkt bekommt. Die Beichte ist der Ort, an dem man eine größere Gnade empfängt. Der Papst sagt, allein schon die Tatsache, dass man zur Beichte gehe, sei eine Gnade. Die Gnade der Einsicht.

Schon die Scham ist eine Gnade, meint Franziskus.
Wie wahr! Der Mantel der Scham verwandelt sich in Tränen der Reue und der Freude. Wir müssen anerkennen, dass wir Sünder sind, um Barmherzigkeit zu erfahren. Aber das bedeutet nicht, dass Jesus wegen unserer Sünden Mensch geworden wäre. Jesus ist Mensch geworden, weil er uns liebt. Das ist sehr wichtig. Ich denke, dass wir mit einer bestimmten Art Katechese über die Sünden viele Menschen gedemütigt und eine Art „Askese der Trauer“ erzeugt haben. Aber am Anfang stand die Freude, das Licht, die Gnade – nicht die Sünde und die Finsternis.



Bei der Audienz für CL vor einem Jahr hat Franziskus gesagt: „Der privilegierte Ort der Begegnung [mit Gott] ist die Liebkosung der Barmherzigkeit Jesu Christi für meine Sünde.“
Stimmt! Und das verlangt von uns eine freie Antwort. Denken wir daran, was der französische Schriftsteller Léon Bloy sagt: „Eine Heilige kann fallen und eine Prostituierte kann zum Licht aufsteigen.“ Dies ist die Erfahrung, die wir alle durch das Geschenk der Barmherzigkeit machen. Das Gleichnis vom Barmherzigen Vater hat kein happy end, weil es uns die Wahl lassen will: ob wir den Weg der Heiligkeit oder den der Finsternis weitergehen wollen. Das ist eine Frage an die Freiheit. Man weiß nicht, wie die Geschichte endet. Man weiß nicht, welchen Weg der ältere Bruder geht oder was der jüngere letztlich macht. Wie es ausgeht, liegt bei uns. Wie bei Maria nach der Verkündigung: „Danach verließ sie der Engel.“ Der Herr gibt uns die Gnade, die Gaben, er stellt uns das Gute und das Böse vor Augen. Wir sollen wählen. Und das erinnert uns auch daran, dass die Beichte keine psychoanalytische Sitzung ist: Der Priester vermittelt uns die Gnade Gottes, der Psychoanalytiker nicht.

Was hilft einem, die Beichte bewusst zu leben?
Mir helfen die drei Stufen sehr, die Kardinal Carlo Maria Martini einmal formuliert hat: die confessio laudis, die confessio vitae, die confessio fidei. Besonders die confessio laudis: Bevor ich zur Beichte gehe, muss ich dem Herrn für all die Gaben, die er mir geschenkt hat, danken. Dass er mir das Leben geschenkt hat, die Berufung, das Zuhause – wie viele haben keines! –, die Gesundheit, dass ich studieren oder arbeiten kann, für meine Freunde – einfach  für alles. Alles ist Geschenk. Es ist also wichtig, dass man ein dankbares Herz hat. Im Übrigen ist die grundlegende Sünde meist, dass man „gedankenlos“ ist, dass man die Liebe Gottes vergessen hat. Die Sünde besteht nicht so sehr darin, dass man ein Gesetz übertritt, sondern darin, dass man die Liebe verrät, und denjenigen, der einen liebt. Dann kommt die confessio vitae, also dass ich vor einem Priester – der ein Mensch ist wie ich, ein Sünder und zerbrechlich wie ich – all meine Widersprüche, meine Armseligkeit bekenne. Miseria mia, misericordia Tua, „meine Armseligkeit, deine Barmherzigkeit“, sagte der heilige Augustinus. Was mich am meisten berührt, ist dass wir oft bereits gebeichtete Sünden beichten. Ich meine nicht jene, in die wir immer wieder zurückfallen, sondern solche, die uns schon vergeben wurden. Wir graben sie wieder aus, weil wir uns selber nicht vergeben können. Das ist ein inneres Drama. Aber es bedeutet vor allem, dass wir nicht an die Vergebung Gottes glauben. Doch diese Vergebung ist nicht nur ein Gefühl!

„Die Beichte ist auch kein 'Persilschein', um wieder zur Kommunion gehen zu dürfen. Sie ist vielmehr ein echter Weg der Umkehr“.

Können Sie das genauer erklären?
Für Gott heißt vergeben vergessen. Für ihn ist es, als wenn wir das nie getan hätten. Aber diese Barmherzigkeit ist für uns ein Skandal.

Geht es bei der confessio fidei darum?
Ja, dass ich mit Gewissheit glaube, dass die Barmherzigkeit Gottes größer ist als meine Armseligkeit. Ich weiß nicht, ob die Sonne morgen aufgeht, aber ich weiß, dass die Barmherzigkeit noch vor der Sonne aufgehen wird. Es kommt darauf an, in dieser Gewissheit zu wachsen. Gott bedeckt uns mit seinem unendlichen Mantel der Barmherzigkeit. Der ist größer als all unsere Armseligkeiten, die er auf dem Grund des Meeres versenkt hat.

Was lernen Sie durch das Heilige Jahr der Barmherzigkeit und Ihren speziellen Auftrag?
Vor allem habe ich vom Papst gelernt, was das Wichtigste ist: „Nehmt die Leute freundlich auf. Sagt ihnen, dass Gott sie liebt. Und wenn ihr ihnen nicht die Absolution geben könnt, dann gebt ihnen euren Segen.“ Viele Menschen entfernen sich von der Kirche, weil wir sie nicht freundlich aufnehmen. Daher hat auch für mich Priorität, dass ich zuhöre. Einem anderen zu helfen, heißt nicht unbedingt, ihm irgendwelche Dinge zu geben. Ich erinnere mich an einen sehr wertvollen Ratschlag, den mir Don Oreste Benzi gegeben hat: „Arm ist nicht derjenige, der nichts hat, sondern der, der nichts ist.“ Insofern sind wir alle arm. Das Wahrste, was ich einem anderen sagen kann, ist: „Du bist Gott wichtig, du bist mir wichtig. Du bist so viel wert, dass Jesus sein Blut für dich vergossen hat. Du bist ein Kunstwerk und sehr wertvoll in den Augen Gottes.“ Die erste Tugend eines Beichtvaters ist nicht, die Sünden anzuschauen, sondern mit den Augen eines Sünders zu schauen. Auch der heilige Franziskus schreibt in einem Brief an die Gläubigen: „Denkt nicht, die anderen seien bessere Christen.“ Und in einem Brief an einen Ordensoberen sagt er: „Auch wenn ein Bruder tausend Mal sündigt, nimm ihn tausend Mal wieder auf.“

Welche Erfahrungen machen Sie als Beichtvater? Was bedeutet es für Sie, in persona Christi zu handeln?
Für mich ist es eine großartige Erfahrung, die Meisterwerke Gottes, jede einzelne Person anzunehmen. Und ich merke wirklich, wenn ich die Beichte höre, dass nicht ich es bin, der spricht. Es ist ein Anderer, der durch mich spricht. Ich habe ein fotographisches Gedächtnis für Gesichter, aber was ich sage, kann ich mir nicht merken. In dem Moment spricht der Heilige Geist aus mir. Das ist eine Erfahrung, die ich auch von der anderen Seite her mache. Ich ging zum Beispiel einmal bei einem Benediktinermönch beichten mit einer großen Frage in mir, was das Gebet wirklich sei. Wir begannen und er fing gleich an, über das Gebet zu sprechen. Ohne dass ich ihm irgendetwas gesagt hätte. Da macht man die Erfahrung, dass Gott zu einem spricht. Und gerade deshalb ist es wichtig, sich auf die Beichte vorzubereiten. Nicht „kalt“ hinzugehen, wie wir es oft tun, sondern gewissermaßen „aufgewärmt“. Und es ist wichtig, vorher den Heiligen Geist anzurufen. Sowohl für uns selber, dass er uns die Gnade gibt, unsere Sünden zu erkennen, als auch für den Beichtvater, dass er ihm die Gnade gibt und die richtigen Worte für uns.

Der Papst sagt, das Geheimnis der Barmherzigkeit Jesu bestehe darin, dass er „über das Gesetz hinausgeht und uns vergibt, indem er die Wunden der Sünde streichelt“.
Jesus verurteilt nicht durch das Gesetz, denn das größte Gesetz ist die Liebe. Wir hingegen tragen ständig die Angst vor Gott mit uns herum. Wir fürchten, dass Gott uns verurteilet, uns züchtigt. Da haben wir als Kirche auch eine Verantwortung, wie wir Gott „kommunizieren“. Gott schaut nicht auf unsere sündhaften Verrücktheiten. Gott ist verrückt nach uns. Er hat unabhängig von unseren Sünden Fleisch angenommen. Er liebt uns unabhängig von dem, was wir tun. Denn er liebt uns als seine Kinder. Das wird dann auch zur Methode der Katechese. Vom Christentum als Kasteiung, als einem Weniger an Leben zu sprechen, geht nicht an. Das Gegenteil ist der Fall! Es ist ein Mehr an Leben. Das hat uns doch auch Don Giussani gelehrt, oder?

Was bedeutet es für einen Beichtvater, barmherzig zu sein?
Die Barmherzigkeit ist kein Gutmenschentum. Der Beichtvater muss dem Menschen helfen, sich bewusst zu werden, wem er da begegnet. Das ist kein nettes Gespräch unter Freunden. Der Beichtende trifft nicht Pater Emiliano, sondern Jesus. Und wenn man Jesus trifft, dann empfindet man Ehrfurcht und zittert. Gleichzeitig ist man erfüllt von Staunen und Verwunderung, wie ein Kind. Aus dem Staunen erwächst eine neue Art zu leben. Also darf der Beichtvater nicht herumschnüffeln, wie uns der Papst gesagt hat. Aber er darf auch nicht schweigen. Er muss Worte finden, die wie Medizin sind. Sie sollen Trost und Hoffnung schenken. Wir müssen über das, was wir sagen, Rechenschaft ablegen.

Der Papst stellt auch einen Zusammenhang zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit her und sagt: „Sünder ja, korrupt nein“.
Barmherzig zu sein heißt nicht, dass man Skandale mit komplizenhaftem Schweigen zudeckt. Das sagt der Papst auch innerhalb der Kirche. Wir decken zu und vertuschen … Doch das führt zu großen Schmerzen. Wir lassen uns alle korrumpieren, wenn wir uns an die Sünde gewöhnen. Wir lassen uns von ihr einlullen und merken gar nicht mehr, dass wir etwas Böses tun. Wir müssen wachsam sein, dürfen nicht das Gefühl haben, es sei alles in Ordnung. Wachsam und aufmerksam sein und sich vom täglichen Leben wieder aufwecken lassen!

Wie leben Sie als Beichtvater die Beziehung zwischen Wahrheit und Nächstenliebe?
In dieser Hinsicht besteht die Aufgabe von uns Priestern auch darin zu erziehen. Damit meine ich, den anderen sanft zur Wahrheit über sich selbst zu führen. Ihn „aus sich heraus“ zu holen, von der amor sui, der Eigenliebe, zur amor Dei. Das bedeutet, ihn von sich selbst zu befreien: von falschen Selbstbildern, von Blockaden, die er in sich trägt. Und auch die Gaben, die Charismen, die er hat, freizusetzen. Wir Priester sollten nicht nur Verwalter der heiligen Gaben sein, sondern Erzieher. Wir sollen heiligen und unterscheiden, aber auch die Seelen erziehen. Ich hatte das Glück, eine Zeit in der Kartause von Serra San Bruno verbringen zu können, wo auch André Louf gelebt hat, einer der großen Meister der Unterscheidung. Er sagte: „Man muss einer Seele in allem zur Seite stehen, aber immer einen Schritt hinter ihr, damit sie an jeder Kreuzung selbst entscheiden kann.“ In Freiheit. Und außerdem denke ich, dass wir aus unserem Wortschatz als Beichtväter den Begriff „Strenge“ streichen müssen.

Was meinen Sie damit?
Strenge schafft Soldaten. Gott möchte aber Söhne und Töchter haben, keine Soldaten. Ein Soldat gehorcht, aber sein Herz ist vielleicht nicht dabei. Ein Sohn oder eine Tochter ist fügsam und gehorcht aus Liebe, weil er oder sie sich geliebt fühlt.

Was haben Sie gedacht, als Sie zum Missionar der Barmherzigkeit ernannt wurden?
Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien entschieden wurde. Aber ich weiß, dass Gott uns nie vergisst, und ab und zu erinnern sich auch unsere Oberen an uns. Nein, Scherz beiseite! Jede Sendung ist ein Geschenk und Geheimnis Gottes. Ich habe diesen Auftrag mit dem Amen Mariens angenommen, das sich dem Plan der Liebe, den Gott für mich hat, zur Verfügung stellt. Ich glaube, Gott wählt nicht denjenigen aus, der fähig ist, sondern er macht uns fähig durch die Kraft des Heiligen Geistes. Maria hilft uns bei all dem und lässt uns jeden Tag das Antlitz ihres Sohnes sehen in den Gesichtern der Söhne und Töchter, die die Liebe des Vaters brauchen.