Peter Seewald mit seinem jüngsten Buch <em>Letzte Gespräche</em> ©MATTHIAS BALK/AFP/Getty Images

PETER SEEWALD. BENEDIKT XVI. „LETZTE GESPRÄCHE“

Er war aus der Kirche ausgetreten und politisch eher links eingestellt. Arbeitete als Journalist für Spiegel, Stern und das Süddeutsche Magazin. Dann sollte P. SEEWALD den Kard. Ratzinger interviewen.Diese Begegnung hat sein Leben von Grund auf verändert.
 Luca Fiore

Vielleicht ist kein anderer Journalist Benedikt XVI. so nahegekommen wie Peter Seewald. Seine vier Interview-Bücher mit Joseph Ratzinger sind alle Weltbestseller geworden. Seewald, Jahrgang 1954, wurde in eine katholische Familie geboren und war in seiner Heimatgemeinde bei Passau sogar Oberministrant. Doch in den 68ern wandte er sich dem Marxismus zu und trat aus der Kirche aus. Ende der 70er Jahre gründete er eine linksradikale Wochenzeitung, die Passauer Kleine Zeitung. Später arbeitete er für den Spiegel und den Stern. Dann für das Magazin der Süddeutschen Zeitung. Dort entstand die Idee, den damaligen Präfekten der Glaubenskongregation zu interviewen.

Joseph Ratzinger war zu der Zeit als „Panzer-Kardinal“ und „Großinquisitor“ verschrien und auch bei deutschen Katholiken ziemlich unbeliebt. Doch Seewald gelang es, sich für dieses erste Interview von all den Vorurteilen und Klischees freizumachen. So konnte dieses Gespräch sein Leben verändern. Nicht zuerst und nicht nur, weil daraus vier Bücher entstanden, die in aller Welt höchste Auflagen erreichten. Sondern vor allem, weil es seine Rückkehr zur katholischen Kirche einleitete. 2004 berichtete er darüber in seinem Buch Als ich begann, wieder an Gott zu denken.

Erstaunlich ist daran allerdings weniger, dass sich ein Ungläubiger durch Gespräche mit Joseph Ratzinger bekehrt, sondern dass ein Mann wie Ratzinger seine Gedanken der Feder eines Journalisten wie Seewald anvertraut. Aber wie die Geschichte zeigt, ist dieser große Theologe immer wieder für Überraschungen gut. „Wie ich es geschafft habe, Ratzingers Vertrauen zu gewinnen? Das war gar nicht so schwer. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden“, erklärt Seewald. Wir treffen ihn in einem Mailänder Hotel, bevor er an der Katholischen Universität sein Buch Letzte Gespräche vorstellt. „Möglicherweise mochte er die Art, wie ich schrieb, und die Fragen, die ich ihm stellte. Vielleicht hat er auch gemerkt, dass ich ihm als Person ernsthaft begegnete und versuchte, sein Denken zu verstehen.“ Auch nach zwanzig Jahren haben die Fragen, die Peter Seewald in Salz der Erde dem Kardinal stellte, nichts von ihrer Frische verloren: „Immer mehr Menschen [fragen sich], ob denn dieses Schiff Kirche dereinst überhaupt noch fahren wird. Lohnt es sich denn noch, hier einzusteigen?“ „Sie sagten einmal, christlicher Glaube sei keine Theorie, sondern ein Ereignis.“ Was bedeutet das? „Was ist für Sie persönlich das Faszinierendste am Katholischsein?“



Was steckt dahinter? Ursprünglich hätte alles, so berichtet Seewald, mit dem ersten Interview beendet sein sollen. Doch dann kontaktierte Ratzinger selber ihn für das Salz der Erde. „Ich bin Journalist, kein Theologe“, sagt Seewald. „Und ich beschäftigte mich nicht einmal mit religiösen Themen. Doch damals musste ich feststellen, dass mir eine große Aufgabe zugefallen war. Mir war immer klarer geworden, dass die Vorstellung, die die öffentliche Meinung von Ratzinger hatte, mit der Wahrheit nichts zu tun hatte. Dieses Bild verhinderte den Zugang zu seinem Denken und seiner Person.“

Bei der Buchpräsentation in Mailand erzählte er, er habe in all den Jahren nie aufgehört sich zu fragen, ob Benedikt XVI. etwas verberge. „Aber ich habe es nie gefunden, wahrscheinlich weil es eben nicht der Fall ist.“ Hat das nun mehr mit seiner journalistischen Haltung oder mit der Person von Joseph Ratzinger zu tun? „Ich habe gelernt, dass er auch kein perfekter Mensch ist. Auch er hat Fehler gemacht, wie wir alle. Aber ich glaube, es gibt im modernen Journalismus ein weitverbreitetes Laster: dass man immer zuerst nach dem sucht, was schiefläuft. Das ist wirklich eine Berufskrankheit bei uns. Und das passiert vor allem, wenn es um Themen geht, die mit Kirche und Religion zu tun haben. Dann bleibt man meistens an der Oberfläche stehen. Man beschäftigt sich mit Fragen der Organisation, man fixiert sich auf Reformvorschläge, aber man verliert das Wesentliche aus den Augen. Man traut sich nicht, zum Kern der Probleme vorzustoßen. Das ist eine sehr ideologische Art, Journalismus zu betreiben. Man geht immer von einer vorgefassten Meinung aus.“

Sich ernsthaft mit den Themen auseinanderzusetzen und sich zu bemühen, zur eigentlichen Substanz der Dinge vorzustoßen, sagt Seewald, habe er von Benedikt XVI. gelernt. Aber in persönlicher Hinsicht ist das noch nicht einmal das Wichtigste. „Was sich bei mir geändert hat in diesen Jahren? Da würde ich lieber bei den äußeren Unterschieden bleiben. Ganz einfach: Ich hatte die Kirche verlassen und bin zu ihr zurückgekehrt. Das ist natürlich eine paradigmatische Veränderung, die sich auch im Bewusstsein niederschlägt, in der Vorstellung, die ich vom Leben habe, und in meinem Verhalten. Ich habe gelernt, die Religion nicht mehr als ein Problem zu sehen, sondern als eine Chance. Ein Abenteuer. Ich habe eine neue Dimension entdeckt, durch die etwas wächst und ohne die ich nicht mehr leben könnte.“ Inzwischen hat der Journalist Seewald sich auch mit der Person Jesu Christi beschäftigt und 2009 das Buch Jesus Christus: Die Biographie publiziert.



Das Erbe. Rückblickend spricht er davon, dass ihn eine Art „Schicksal“ mit dem Papa emeritus verbinde. Sein Vorname ist Peter, Petrus. Und die Gespräche, aus denen im Jahr 2000 das Buch Gott und die Welt entstand, fanden in Montecassino statt, dem Kloster des heiligen Benedikt, dessen Namen Joseph Ratzinger sich als Papstnamen wählte. Doch auch nach den vielen Stunden des Dialogs und des Zusammenseins traut Seewald es sich nicht zu, ein endgültiges Bild von Benedikt XVI. zu zeichnen. „Er ist eine sehr komplexe Persönlichkeit und hat viele Facetten. Ich habe bis jetzt noch niemanden getroffen, der von sich behaupten könne, er verstünde den Menschen, der in Joseph Ratzingers Werk aufscheint, vollständig. Für viele bleibt er rätselhaft.“ Doch für Seewald ist klar, dass „wir es hier mit einem Menschen zu tun haben, der schon sehr früh seine Berufung zum Diener und Apostel Christi erkannt hatte. Ein Mensch, der sein Leben nie in Funktion einer Karriere gesehen hat, sondern seine Aufgabe erfüllen wollte und dabei einen Weg gegangen ist, der manchmal auch schwierig und schmerzhaft war.“

„Er hat die Sensibilität für Christus wiederbelebt und uns den ganzen Jesus gezeigt. Das ist immens wichtig für die Zukunft der Kirche und des Glaubens.“

Ein voreingenommener Berichterstatter könnte jetzt meinen, Seewald streiche die Größe Ratzingers heraus, um sich selbst in dessen Licht zu sonnen. Aber wer etwas genauer hingeschaut hat während des Pontifikats oder eines der Interview-Bücher gelesen hat, weiß, dass er nicht übertreibt: „Wir haben einen der größten Intellektuellen unserer Zeit vor uns und einen Kirchenlehrer, wie es in der Moderne nicht mehr viele geben wird. Die meisten Päpste bleiben in Erinnerung aufgrund dessen, was sie während ihres Pontifikates getan haben. Aber bei Benedikt XVI. ist das nicht so. Sein Werk wäre unvergesslich geblieben, auch wenn er nie den Stuhl Petri bestiegen hätte.“ Was ist sein Erbe? „Er hat die Sensibilität für Christus wiederbelebt und uns den ganzen Jesus gezeigt. Das ist immens wichtig für die Zukunft der Kirche und des Glaubens.“

Ein Aspekt hat Peter Seewald an Joseph Ratzinger besonders fasziniert: „Ich finde das Erstaunliche und Überzeugende an seiner Persönlichkeit, dass er gleichzeitig bescheiden und mutig ist. Mich hat immer seine Fähigkeit beeindruckt, sich einem gewissen Zeitgeist entgegenzustellen. Das erforderte eine gute Portion Widerstandsfähigkeit und die Bereitschaft, unpopulär zu erscheinen.“ Und wenn Seewald nach zwanzig Jahren, die er Ratzinger nun kennt, und hunderten von Fragen, die er ihm gestellt hat, sagen soll, was die überraschendste Antwort gewesen sei, kommt er auf das erste Buch, Salz der Erde, zurück: „Damals hatte ich noch ein ganz anderes Bild von ihm und fragte ihn, wie viele Wege zu Gott es gebe. Er antwortete: ‚So viele, wie es Menschen gibt.‘“