Michael Peters mit dem Rektor der Priesterbruderschaft, Pater Paolo Sottopietra

Niederlande: Mission in einer säkularisierten Welt

Michiel Peeters ist Holländer und als Missionar in den Niederlanden tätig - einem Vorposten der Säkularisierung. Er stellt seinen Studenten die Frage, die auch sein Leben verändert hat: „Entspricht Christus wirklich dem, wonach mein Herz sich sehnt?"
Michiel Peeters

Michiel Peeters ist Holländer und als Missionar in den Niederlanden tätig. In einem Land, das als Vorposten der Säkularisierung gilt, stellt er Studenten aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen die Frage, die auch sein Leben verändert hat: „Entspricht Christus wirklich dem, wonach mein Herz sich sehnt?“
„Mission bedeutet nicht unbedingt, etwas Großes aufzubauen. Sie besteht darin, dass man seine eigene Beziehung zu Christus lebt, gemeinsam mit den Menschen, die einem gegeben sind – auch wenn es nur wenige sind. Das habe ich gelernt, als ich an der Seite von Pater Francesco Bertolina in Sibirien lebte.“ Pater Michiel Peeters ist 41 Jahre alt und stammt aus den Niederlanden, genauer gesagt aus 's-Hertogenbosch im Nordbrabant. Er gehört zur Priesterbruderschaft der Missionare des heiligen Karl Borromäus. „Die Bewegung Comunione e Liberazione habe ich 1997 kennengelernt, als ich in Leiden studierte“, erzählt er. „Dort habe ich Damiano kennengelernt, einen Erasmusstudenten aus Italien. Der war einfach ein Freund – und immer er selbst.“

Es ist nicht viel los auf der Autobahn von Eindhoven nach Tilburg, der Stadt mit 200.000 Einwohnern, in der Peeters seit 2012 Studentenpfarrer ist. Ein holländischer Missionar in den Niederlanden, einem der säkularsten Länder Europas. Vor sechzig Jahren waren die Kirchen in dieser Gegend des Landes noch voll. Heute müssen die Diözesen Pfarreien schließen und Kirchen verkaufen, weil es nicht genug Gläubige und Priester gibt. „Es gab Zeiten, in denen aus den Niederlanden mehr Missionare in die Welt zogen als aus Italien“, sagt Pater Michiel. „Die Krise in den Sechziger und Siebziger Jahren kam unerwartet. In kürzester Zeit ist alles zusammengebrochen.“

An der Ziegelsteinmauer zur Straße hängen zwei große Banner. Auf dem einen sieht man die Berufung des Matthäus von Caravaggio, auf dem anderen, über dem Fahrradständer, steht: „Are you happy?“ Die Tür zur Kapelle ist offen. In großen roten Buchstaben liest man da: „The church is open“. So empfängt das Zentrum Maranatha, wie sich die Hochschulgemeinde von Pater Michiel nennt, seine Besucher. Hier muss man Klartext reden und darf keine Angst haben, zu provozieren. Da die Architektur nicht erkennen lässt, um was es sich bei dem relativ großen Komplex handelt, ist das auch ein Hinweis darauf, dass hier überhaupt eine Kirche ist. Und warum auf Englisch? Ganz einfach: Viele der 13.000 Studenten hier sind Ausländer.

Es war der frühere Bischof von 's-Hertogenbosch, Antoon Hurkmans, der Peeters nach Tilburg holte. „Ich hatte keine Ahnung, wie man eine Studentengemeinde führt“, sagt Pater Michiel, „und eigentlich weiß das eh niemand. Deswegen habe ich mit dem begonnen, was mir selber hilft. Ich habe die Sonntagsmesse wieder eingeführt, die ich auf Englisch feiere, am frühen Abend. Und am Ende lade ich immer zu zwei Veranstaltungen unter der Woche ein: dem Seminar der Gemeinschaft und den Kulturabenden, die ich Maranatha evenings getauft habe.“ Bevor Peeters kam, waren die Akteure und Besucher der Studentengemeinde ein paar ehemalige Theologiestudenten, die inzwischen weit über sechzig sind. Heute kommen an Sonntagen ungefähr fünfzig Gottesdienstbesucher, überwiegend Studenten aus aller Welt. Während der Messe sitzt ein zweiter Priester in einer Ecke hinter einem Holzgitter und hört Beichte. „In den Niederlanden ist das Bußsakrament nach den Sechziger Jahren praktisch verschwunden. Ich lade nicht dazu ein, sondern biete nur die Möglichkeit an, und jede Woche nutzen das ein Dutzend Leute. Man merkt, dass es den jungen Leuten sehr gut tut.“ Nach der Messfeier gibt es in den Räumen des Maranatha noch Tee und Kuchen. Man lernt die Neuen kennen und erzählt sich ein bisschen, was so los ist im Leben. Einige kommen auch nur, um die lokale katholische Zeitung zu lesen.

Unter den Studenten (und ehemaligen Studenten), die sich in der Hochschulgemeinde treffen, sind zum Beispiel Ari und Cindy, ein Paar aus Indonesien. Sie kamen, weil sie eine Sonntagsmesse in einer Sprache suchten, die sie verstehen. „Mein Leben war eine endlose Liste von Dingen, die ich zu erledigen hatte. Und trotzdem schien es mir leer“, sagt Ari. „Zu den Veranstaltungen der Bewegung ging ich zuerst, weil ich dort Leute traf, die froh waren, obwohl sie die gleichen Probleme hatten wie ich.“ Mittlerweile leitet er ein Seminar der Gemeinschaft und meint: „Es ist unglaublich, dass meine Frau und ich erst in die Niederlande kommen mussten, um den Wert unseres Glaubens zu entdecken.“

Berta, aus Mexiko, arbeitet an der Universität. Vor fünf Jahren praktizierte sie ihren Glauben nicht. Dann lud irgendjemand sie zur Messe von Pater Michiel ein. „Nach und nach habe ich gemerkt, dass diese Freundschaft mich menschlicher machte.“ Sie nimmt auch an den Exerzitien von CL teil. „Ich ersticke in Terminen und Verpflichtungen – die Arbeit, die Kinder, mein Mann. Aber mitten in diesem Wirbelsturm ist das ein Ort, an dem ich Ruhe finden kann und die Bedürfnisse meines Herzens wahrnehmen.“ Renier, Holländer, Sohn eines calvinistischen Pastors, studiert Philosophie. Als er in die Studentengemeinde kam, glaubte er nicht mehr. Aber er war neugierig. Und die Art, wie Pater Michiel an den Glauben heranging und die Worte und Gesten begründete, gefiel ihm. Inzwischen ist Renier katholisch geworden und nimmt am Leben der Bewegung teil.

„In den Niederlanden ist das Bußsakrament nach den Sechziger Jahren praktisch verschwunden. Ich lade nicht dazu ein, sondern biete nur die Möglichkeit an, und jede Woche nutzen das ein Dutzend Leute. Man merkt, dass es den jungen Leuten sehr gut tut.“

Auch Rémon kommt aus einer protestantischen Familie. Seit einigen Monaten wohnt er bei Pater Michiel und hilft ihm mit den praktischen Dingen in der Gemeinde. „Ich bin hierher gekommen in einem Moment, als ich mit meiner Abschlussarbeit nicht weiterkam. Ich hatte aber den Eindruck, es lag daran, dass ich nicht frei war, was nicht nur etwas mit dem Studium zu tun hatte. Mit Pater Michiel konnte ich darüber sprechen. Jetzt hilft mir die Freundschaft mit ihm und den anderen, meinen Fragen über das Leben auf den Grund zu gehen.“ Er sagt, er habe nicht vor, katholisch zu werden. Aber er nimmt am Seminar der Gemeinschaft teil, an den Maranatha evenings und sogar an den Exerzitien von CL. Letztes Jahr war er beim Meeting in Rimini und dieses Jahr beim Rhein-Meeting in Köln.

Maddalena ist nach Tilburg gekommen, weil ihr damaliger Freund und jetziger Ehemann Carlo hier eine Stelle in der Forschung bekam. Sie stammt aus Vittorio Veneto und hatte früher in ihrer Pfarrei Schlechtes über CL gehört. Maranatha lernten sie kennen, weil Carlo eine katholische Messe suchte. Maddalena hatte sich etwas von der Kirche entfernt. „Ich ging dann öfter zu den kulturellen Abenden, weil sie auf Englisch waren. Filme, Kunst, Musik: Pater Michiel hatte immer interessante Sachen parat. Außerdem ist er gut darin, einen einzubeziehen. Plötzlich machte ich bei Initiativen mit und wusste gar nicht, wie ich dazu kam. Aber anschließend war ich immer froh. Die Freundschaft mit ihm und den Leuten von CL hat uns die Angst genommen, kirchlich zu heiraten. Wenn ich die anderen Familien sehe, denke ich jetzt, dass ist kein Endpunkt, sondern ein neuer Anfang.“

Xüe, eine Studentin aus Peking, hilft Pater Michiel in der kleinen Bücherei, die zum Maranatha gehört. Dort gibt es Bücher von Don Giussani, Péguy, Claudel, Miłosz, Eliot. „Ich fühlte mich ein bisschen verloren, als ich herkam. Da hat Pater Michiel mir vorgeschlagen, zum Seminar der Gemeinschaft zu kommen.“ Gefragt, ob sie katholisch ist, antwortet Xüe: „Nein, ich bin Chinesin ...“

Velyana ist orthodoxe Christin und stammt aus Bulgarien. Anna kommt aus Tschechien. Christina ist Slowakin, sie ist katholisch. Heba gehört der Malankara Syrisch-Orthodoxen Kirche an und kommt aus Kerala, Indien. So bunt ist Tilburg!

Was interessiert diese jungen Leute? Was fasziniert sie, dass sie herkommen und auch bleiben? „Den Weg bahnt sich Gott schon, bevor sie herkommen“, sagt Peeters. „Wenn sie durch die Tür der Studentengemeinde treten, dann ist schon vorher etwas geschehen. Was ich tue, ist einfach nur, mich zu zeigen, damit die Leute wissen, dass da ein Priester ist, zu dem man gehen kann. Aber am Anfang steht bei allen eine Wunde. Maranatha ist ein Feldlazarett.“ An der Universität von Tilburg hat ein Drittel aller Studenten irgendein psychisches Problem. „Manche sind Legastheniker, andere depressiv, wieder andere haben Konzentrationsstörungen ... Man versucht das zu lösen, in dem man aus jedem einen Fall für den Psychiater macht. Es gibt ein Student Advisory Office, das auch psychologische Beratung anbietet. Da sind die Wartelisten sehr lang. Aber nicht selten leiden genau diese Berater dann unter Burnout. Woher sollten sie die Kraft nehmen, die labilen Studenten zu stützen? Das weiß ich, weil ich die Berater kenne. Ich habe das Vertrauen einiger gewonnen und sie selber schicken mir inzwischen die Studenten.“

Also kommen alle hier an mit einem spezifischen Problem. Einer Krankheit, einer Enttäuschung,  Problemen beim Lernen. „Ich höre allen zu, aber normalerweise antworte ich: ‚Ich verstehe, dass das, was du mir sagst, wichtig ist. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dein Problem größer ist, als das, was du mir erzählt hast. Denn es hat mit dem Leben als ganzem zu tun. Ich schlage dir einen Weg vor, um herauszufinden, ob es sich lohnt zu leben oder nicht.‘“ Manch einer taucht nie wieder auf. Andere willigen ein und gehen den Weg, den Peeters ihnen vorschlägt. „Niemand widerspricht, wenn ich ihm sage, dass das Problem größer ist. Die interessante Frage ist, ob Christus wirklich die Antwort auf die großen Fragen des Lebens ist. Ich habe entdeckt: Ja, er ist es! Auf dem Weg, der zu dieser Entdeckung führt, habe ich viele Menschen aufblühen sehen, auch mich.“

Pater Michiel verhehlt nicht, dass auch er seine Probleme hatte. „Es gab eine Zeit, in der ich wütend war auf das Leben. Und was mich in diesen Jahren als Missionar am meisten beeindruckt hat, ist, wie ich selbst gewachsen bin. Meine Unzufriedenheit und meine Klagen hingen nicht so sehr von den Umständen ab, sondern von meiner Schwäche.“

Es war während seiner Zeit in Russland. Es schien ihm, dass Vieles nicht gut lief. „Ich habe dann einem Freund geschrieben und ihm all meine Probleme aufgezählt. Er hat mir nicht geantwortet: ‚Da liegst du falsch‘, oder: ‚Das siehst du nicht richtig‘. Er hat mich an einen Satz des heiligen Thomas erinnert: ‚Das Leben des Menschen besteht in der Zuneigung, die ihn am meisten trägt und in der er seine größte Befriedigung findet.‘“ Von da an begann Pater Michiel, wie er sagt, wiederzuentdecken, was die Bewegung eigentlich ist: „ein Weg, der es einem ermöglicht, genau in der Situation zu leben, in der man sich gerade befindet. Auch wenn man allein ist. Alles geht immer von der ersten Liebe aus.“

Und warum wollte er dann ausgerechnet nach Holland gehen als Missionar? „Als mir bewusst wurde, wie viele unwahrscheinliche Umstände Gott verkettet hat, um mich hier abzuholen, wo ich geboren bin, wie er mich hat CL begegnen lassen, da habe ich gedacht, das müsse irgendetwas zu bedeuten haben ...“ Er berichtet, dass ihm, als er CL kennenlernte, aufgefallen sei, wie sehr ihm in den Jahren der Schule und der Universität ein Ort gefehlt habe, wo er ganz er selbst sein konnte und nicht nur nach dem beurteilt wurde, was er konnte. „Die Niederlande sind eines der unchristlichsten Länder der Erde. Hier Missionar zu werden, war ein Wunsch, den ich meinen Oberen gegenüber geäußert habe, beinahe sofort, nachdem ich ins Seminar eingetreten war.“ Ihre Antwort war: „Hör nicht auf, dir das zu wünschen.“ Das hat er getan. Bis ihn die Umstände schließlich nach Tilburg führten. „Jetzt merke ich, wie sehr ich einen Ort wie die Niederlande brauche, um wach zu bleiben. Es ist ein schwieriger Ort. Aber Gott benutzt ihn, um meine Trägheit zu besiegen ...“