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Hürdenlauf

Österreich ist nicht gerade bekannt für seine Willkommenskultur gegenüber Migranten. Doch viele Menschen aus Syrien, dem Irak, dem Iran, Afghanistan nehmen den Kampf mit der Bürokratie auf, um hier leben zu können.
Paola Ronconi

Pater Christoph Matyssek hat in Wien einigen von ihnen geholfen. „Wenn es jemanden gibt, der sich um einen kümmert, dann kann man es schaffen“, sagt er.

In Traiskirchen, zwanzig Kilometer von Wien entfernt, hängen seit Anfang März neue Schilder am Eingang des Flüchtlingslagers. Was vorher ein „Erstaufnahmezentrum“ war, heißt jetzt „Ausreisezentrum“, mit anderen Worten: Zentrum für Abschiebung. Das ist zwar nur ein Detail, aber es sagt viel über das Klima, das hier herrscht.

Die Anti-Immigrationspolitik in Österreich hat Fahrt aufgenommen, seit Sebastian Kurz von der ÖVP Bundeskanzler ist. Schon als Staatssekretär für Integration hatte er 2015 die „Willkommenspolitik“ von Angela Merkel kritisiert und dafür gesorgt, dass die Balkanroute dicht gemacht wurde. Als wichtigstes Ziel gab er aus, dass „die Schiffe gar nicht mehr ablegen“ von den Küsten Afrikas oder der Türkei. Im vergangenen Sommer drohte er mit der Schließung des Brenners und verabredete mit Deutschland und Italien, Flüchtlinge bereits an den Außengrenzen der EU zurückzuweisen oder in ihre Erstaufnahmeländer zurückzuschicken.

Nun schlägt Innenminister Herbert Kickl vor, Asylbewerber, die die Behörden als potenziell gefährlich einstufen, präventiv (also ohne Gerichtsverfahren) zu inhaftieren und möglichst schnell abzuschieben. Für diese „Sicherungshaft“, wie der Minister das auf einer Pressekonferenz im Februar nannte, wäre allerdings eine Änderung der Verfassung erforderlich. So finden diejenigen, die heute in Traiskirchen ankommen, außer dem Schild eine Situation vor, in der ihnen alles nahelegt, nicht hierzubleiben. Auch weil man – eine weitere Neuerung – dieses Lager zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr nicht verlassen darf. Wenn man gegen diese Regel verstößt, wird man in Einrichtungen in abgelegenen Gegenden verlegt, wo man gar keine Lust verspürt, abends auszugehen. Vielleicht nicht einmal tagsüber.

Harte Zeiten also für Menschen, die aus Syrien, Irak, Iran oder Afghanistan (das sind die häufigsten Herkunftsländer) geflohen und in der Heimat Mozarts gelandet sind. Als Anfang 2015 eine große Zahl von Migranten nach Europa kam, „war das Klima noch anders. Österreich hat die Leute viel bereitwilliger aufgenommen“, sagt sagt Pater Christoph Matyssek, , Priester der Bruderschaft vom heiligen Karl Borromäus. Er stammt aus Deutschland und lebt mit seinen Mitbrüdern im ehemaligen Servitenkloster im Zentrum von Wien. Dort ist er Studentenseelsorger an der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG). Er kommt mit vielen Menschen in Kontakt: von den Studenten, die für ein Erasmus-Semester nach Wien kommen, bis hin zu Migranten, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Manchmal schickt die Diözese auch Flüchtlinge zu ihm. Pater Christoph hat einige Zeit in Palästina gelebt und spricht Arabisch. Das ist wichtig für Menschen, die nach Österreich kommen, ohne ein Wort Deutsch oder Englisch zu sprechen. „Heute ist es viel schwieriger, politisches Asyl zu erhalten“, sagt Matyssek. „Die Kriterien haben sich geändert, und es hängt stark von dem Richter ab, mit dem man es zu tun hat. Wenn man nicht in das Raster passt, hilft einem niemand. Die meisten Flüchtlinge bräuchten jemanden, der sie durch den Dschungel der Bürokratie begleitet.“ Wie schafft man diesen Hürdenlauf überhaupt und gelangt ans Ziel?

Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen © Joe Klamar/AFP/Getty Images

Jussef ist Syro-Palästinenser, staatenlos und ohne Papiere. „Er kam allein nach Wien, nahm Drogen und landete im Gefängnis. Als er entlassen wurde, versuchte er, wieder auf die Füße zu kommen. Er hat Asyl erhalten, aber er kann nicht genug Deutsch und findet daher keinen Job.“ Ein Teufelskreis, dem man nicht so leicht entkommt. „Jetzt wohnt Jussef in meinem Zimmer in der KHG“, sagt Pater Christoph. „Denn ich wohne mit den anderen Priestern meiner Bruderschaft in unserer Pfarrei. Und er versucht, den Deutsch-Grundkurs zu bestehen. Wenn es jemanden gibt, der sich um einen kümmert, dann kann man es schaffen. Sonst verliert man sich leicht.“

Vor ein paar Monaten half Pater Christoph in seiner Freizeit, gemeinsam mit einigen seiner Studenten, in einer Wohngruppe der Caritas für „unbegleitete Minderjährige“. Sie machten sauber, räumten auf, kochten und aßen mit den Geflüchteten. Mit achtzehn Jahren müssen diese jungen Männer dann selber schauen, wie sie klarkommen. Einige sind weggezogen, andere blieben in Wien und in Kontakt mit Pater Christoph. Für manche war er der einzige Freund. Einige wohnen jetzt mit den Studenten in der KHG. Wenn sie diese Möglichkeit nicht hätten, wüssten sie nicht, was sie tun sollten. Vom Antrag bis man (hoffentlich) Asyl erhält, vergehen oft Jahre. In dieser Zeit dürfen Flüchtlinge nicht arbeiten und erhalten auch keine kostenlosen Deutschkurse mehr. Sie leben von einer geringen staatlichen Unterstützung.

„Als Hussein zu uns in die Pfarrei kam, war er verzweifelt. Er wollte ‚etwas tun‘“, berichtet Matyssek. „Wenn man nichts zu tun hat, wird man verrückt. Hussein war depressiv und konnte nicht mehr schlafen. Ich konnte ihm nichts anderes vorschlagen, als mich zu den Schwestern von Mutter Teresa zu begleiten. Sonntags feiere ich regelmäßig die Messe bei ihnen. Die Schwestern betreiben eine Suppenküche. Als wir dort waren, bot Hussein an, nach dem Essen den Gästen die Haare zu schneiden. Im Irak war er Friseur.“ Jetzt geht er zweimal pro Woche dorthin, um unentgeltlich zu tun, was er gut kann. Inzwischen lebt er auch bei den Studenten der KHG. „Er hat sich erholt und hilft mir auch in der Pfarrei. Er sucht eine Arbeit, die es ihm ermöglicht, anständig zu leben.“



Wenn heutzutage Fremdenfeindlichkeit und Angst vor anderen leider weit verbreitet sind, so gibt es doch auch viele positive Geschichten. „Ich begleitete seit einiger Zeit eine Frau aus Syrien. Sie ist ursprünglich Palästinenserin und hat keinen Pass. Im Alter von 16 oder 17 Jahren kam sie nach Wien, und sie war schwanger. Jetzt hat sie eine zweijährige Tochter und einen Lebenspartner aus dem Irak. Ein zweites Baby ist unterwegs. Sie wohnten in einem Appartement. Aber wenn man keine Arbeit und keine Papiere hat, dann verlangen die Vermieter eine doppelt oder dreimal so hohe Kaution. Und sobald man einmal die Miete nicht zahlen kann, werfen sie einen raus.“ Die Angst, unter der Brücke zu landen, ist groß. Was, wenn eine unerwartete Rechnung kommt, die sie nicht bezahlen können? Doch in der Pfarrei gibt es eine Familie, die gerade eine Wohnung herrichtet. Sie stellen sie nicht in die Zeitung, sondern bieten sie diesem Paar an. „Wir wollen, dass sie dort wohnen.“ Die Lage bleibt schwierig, aber jetzt leben die vier wenigstens mit etwas mehr Würde und Ruhe.

Und dann ist da noch Nesrin mit ihrem Mann Amir und den Kindern Aryan und Mehdi. Sie kamen ursprünglich aus Teheran. Ihnen ging es wirtschaftlich gut. Kurz nachdem sie nach Wien gezogen waren, lernten sie die Priester der Bruderschaft vom heiligen Karl Borromäus an der Servitenkirche kennen. Nach einiger Zeit baten sie um die Taufe. Als sie aber über die Feiertage in den Iran fuhren, fand Amirs Mutter in Nesrins Koffer eine Bibel und Fotos, die sie in Österreich in einer Kirche zeigten und ohne Schleier. Da brach eine wahre Hexenjagd los. Die Verwandten zeigten sie bei den Mullahs an. Man wollte sie zur Scheidung zwingen und ihnen die Kinder wegnehmen. Daher beschlossen sie zu fliehen. Noch in derselben Nacht, mit nur dem, was sie am Leib trugen, und obwohl ihr Konto gesperrt war. Zurück in Wien baten sie um politisches Asyl. Aber dazu mussten sie ihre Wohnung verlassen, ihre Arbeit aufgeben und in ein Flüchtlingszentrum ziehen. Zu viert in ein Zimmer. Die Hoffnung trägt in diesem Fall das Gesicht eines Beamten, der ihre Situation versteht, sieht, dass sie Freunde haben, die sie unterstützen, und dem es gelingt, die Wartezeit für das Asyl von zwei Jahren auf drei Monate zu verkürzen. Mit Hilfe ihrer Taufpaten finden sie eine neue Wohnung und Arbeit. Amir, der jetzt Martin heißt, beschließt, sich selbständig zu machen, mit einem von ihm entwickelten und patentierten Schnellladegerät für Elektroautos. Er meldet dazu eine Firma an, auch wenn er noch keinerlei Umsätze macht. Aber die Stadtverwaltung meint, die Geschäftstätigkeit habe bereits begonnen, und streicht ihnen die Unterstützung und die Krankenversicherung. Wieder gerät die Familie in Not. Ohne die Hilfe von Freunden hätten sie alles verloren, auch die Wohnung. Europa ist für sie ein Hürdenlauf, vor dem auch ein Olympionike kapitulieren würde. Aber sie geben nicht auf! Sie wollen es schaffen und halten durch. Was bewegt wohl all diese Menschen?