Kasachstan. Valeriys Zeit
Mehr als zwanzig Jahre lang beobachtete Valeriy vom Standpunkt des „Heiden“ aus, wie seine Frau und die Kinder in der Erfahrung des Glaubens wuchsen und sich veränderten. Jetzt lässt er sich taufen.„Bestimmt hat der liebe Gott dich besonders geliebt ...“ „Klar“, sagt Valeriy Khon trocken, fast ohne seiner Frau Lyubov Zeit zum Übersetzen zu lassen. Mit 66 Jahren wird er am 29. Dezember in der Kathedrale von Karaganda im Herzen Kasachstans getauft werden. „Es hat 33 Jahre gedauert“, erklärt er und berichtet, wie Gott sein Herz Schritt für Schritt, Antlitz für Antlitz erobert hat. Bis er irgendwann zu seinem Bischof, Adelio dell’Oro, ging und ihn um das bat, „was ich immer schon in Händen hatte“.
Ende der neunziger Jahre saßen sie eines Abends bei Kerzenlicht um den Tisch. Es gab keinen Strom damals, in der Zeit des Post-Kommunismus, „es war beinahe romantisch“, erzählt Lyubov, die Ehefrau von Valeriy, eine Lehrerin. Sie hatte 1996 Don Edoardo Canetta kennengelernt. Eine Kollegin von ihr hatte ihn eingeladen, in der Schule einen Vortrag zu halten. „Nie habe ich jemanden so von Religion sprechen hören“, sagt Lyubov. Sie begann, mehr und mehr Zeit mit ihm und seinen Freunden von CL zu verbringen. Und nach eineinhalb Jahren bat sie um die Taufe, für sich und Maxim, ihren ältesten Sohn. „An jenem Abend, einen Monat vor der Taufe, wollte Don Edo mit meinen Mann sprechen.“ Valeriy und Lyubov hatten sich 1980 kennengelernt. „Eine arrangierte Ehe innerhalb der koreanischen Minderheit“, erklärt Lyubov. „Ich war damals wütend auf meinen Vater, weil er mich mit diesem jungen Arzt verheiraten wollte. Aber dann hatte ich doch Glück!“, lacht sie. „An jenem Abend also wollte Don Edo Valeriy vorschlagen, dass wir kirchlich heiraten.“ Zu dem Zeitpunkt hatte er schon das Stethoskop weggelegt und arbeitete in der Mine. „Als Arzt verdiente ich nicht genug, um meine Familie zu ernähren.“ Zehn Jahre lang arbeitete er dort unter Tage, dann als Mechaniker. „Don Edo erklärte mir alles. Ich war Atheist, nicht getauft, also ein ‚Heide‘. Aber ich sagte ihm, ich kenne meine Frau und sehe, wie sie sich verändert ... Ich vertraute ihr. Also habe ich zugestimmt, dass wir kirchlich heiraten.“
Nach und nach wirkte sich das, was Lyubov mit den Freunden der Bewegung erlebte, auch bei ihr zu Hause. „Für mich war alles neu“, sagt Valeriy. „Ich beobachtete, wie meine Frau und meine Kinder, Maxim und Aliosha, in dieser Gemeinschaft lebten. Es war etwas Wahres, Schönes, Richtiges. Ich wünschte ihnen, dass sie diesen Weg weitergehen konnten. Ich persönlich dagegen verspürte nicht das Bedürfnis. Der Glaube war für mich nicht wichtig. Ich war mit der Seele bei ihnen, aber nicht mit dem Kopf ... Ich habe zwanzig Jahre gebraucht um zu verstehen, dass das auch etwas für mich ist.“
Steter Tropfen höhlt den Stein, meint Valeriy jetzt. „Ich lebte mit ihnen, und ohne dass ich es merkte, wirkte Jesus. Aber ich musste auch mitarbeiten ... Ich war auf dem Weg und hatte viele Fragen. Aber mehr und mehr drängte sich mir das Gefühl auf, dass diese Geschichte auch für mich etwas wäre.“ Er erzählt zum Beispiel von der Freundschaft mit den drei Priestern, die Ende der Neunziger Jahre aus Italien nach Karaganda gekommen waren: Don Edo Canetta, Don Adelio dell’Oro und Don Eugenio Nembrini. Valeriy erinnert sich, dass sie ihm und seiner Familie nach dem schweren Verkehrsunfall von Maxim auf eine Weise beistanden, wie er es sich nie hätte vorstellen können. Und auch was die Bewegung im Leben von Aliosha bewirkt hat: Von klein an „gab es mit ihm immer Streit und Probleme“. Jetzt ist er Familienvater und lebt in Italien. Valeriy sagt: „Wenn ich auf meine Söhne schaue, bin ich glücklich und stolz, was aus ihnen geworden ist.“
„Erzähl mal, wie du beim Meeting warst ...“, wirft Lyubov ein. Und dann erzählt sie: „Vor acht Jahren wurde er von Freunden aus Italien zum Meeting nach Rimini eingeladen, und er hat sofort zugesagt. Er hatte zwar keine Ahnung, was das war, aber er hat nicht gezögert. Er hat sich sogar vorbereitet, indem er mit Anfang sechzig ein Jahr lang versucht hat, Italienisch zu lernen. Wenn man ihn kennt, ist das alleine schon ein Wunder ...“ Valeriy lächelt. „Ich weiß nicht, wann ich zum ersten Mal von Jesus gesprochen habe. Aber es ging immer durch die Gesichter von Freunden. Ganz einfach.“
„Ich lebte mit ihnen, und ohne dass ich es merkte, wirkte Jesus. Aber ich musste auch mitarbeiten ...“
Letztes Jahr im Februar wurden Lyubov und Valeriy eingeladen, an der Versammlung der Verantwortlichen von CL in Vilnius (Litauen) teilzunehmen. Davor machten sie Ende Januar einen Zwischenstopp in Deutschland, wo Maxim und seine Frau Mascha jetzt mit ihren Kindern wohnen. „Dort habe ich auch nach 38 Jahren zwei ehemalige Kommilitonen aus dem Medizinstudium getroffen, die dort leben“, erzählt Valeriy.
Eine schöne Begegnung mit vielen Umarmungen und Erinnerungen. Kurz vor der Abreise nach Litauen erzählt Valeryi beim Abendessen seinem Sohn von diesen beiden. Dass sie trotz eines erfolgreichen Lebens unzufrieden und traurig sind und Probleme mit ihren Kindern haben. „Papa“, fragt Maxim daraufhin, „was sagt deren Leben dir? Du kannst dir nichts mehr vormachen! Warum lässt du dich nicht taufen?“ „Er hat nicht geantwortet“, berichtet Lyubov. „Auch während der ganzen Reise bis Vilnius hat er nichts dazu gesagt.“ „Ich habe nachgedacht!“, erklärt Valeriy. „Angesichts dieser beiden Freunde wurde mir klar, dass der Mensch ohne Glauben, ohne ein Fundament nicht leben kann. Und dass nur Gott einem diese Wurzel geben kann. Das hatte ich erlebt und erlebe es noch heute.“
Kaum sind sie in Litauen angekommen, sucht Valeriy Don Adelio auf, der auch bei der Versammlung der Verantwortlichen ist. „Ich hatte noch nicht mal mit Lyubov darüber gesprochen, aber ihm erzählte ich alles. Und ich bat darum, getauft zu werden. Denn ohne Glauben kann es keine Tiefe im Leben geben.“
Der Termin ist auf Ende Dezember angesetzt, damit alle Freunde an dieser „Wiedergeburt“ teilhaben können. Maxim und seine Frau Mascha werden Valeriys Paten sein. „Vor ein paar Tagen waren wir bei Don Adelio zum Katechismusunterricht“, erzählt Lyubov. „Er erklärte Valeriy das Christentum mithilfe der Skizze, die Don Giussani immer für seine Schüler auf die Tafel zeichnete, die mit dem X und den Pfeilen. Und wir waren ganz gerührt. Über zwanzig Jahre lang hat Valeriy mich fast jeden Tag gefragt: ‚Gehst du zur Messe?‘ Jetzt fragt er: ‚Gehen wir in die Messe?‘“