Uganda - Bruder Elios ungezählte „Jas“
„Von ihm habe ich gelernt, zu vergeben und zu lieben.“ Bruder Elio Croce hat jahrzehntelang in Uganda gelebt, vieles aufgebaut und unzähligen Menschen geholfen. Im November ist er an Covid-19 gestorben.Dieser rote Staub, der den alten Toyota Land Cruiser bedeckt, könnte viel erzählen. Der Geländewagen steht unter einem Vordach am St. Mary’s Hospital Lacor in Gulu, im Norden Ugandas. Zigtausende Kilometer hat er zurückgelegt auf den staubigen Pisten der Savanne. Er hat als Krankenwagen gedient für Ebola-Patienten und für Verwundete des Bürgerkriegs, als Schulbus für die Waisenkinder des St. Jude Children’s Home, als Leichenwagen für Familien, die es sich nicht leisten konnten, ihre Toten nach Hause zu holen, als kostenloses Taxi für Frauen, die sich in ihren Wehen krümmten. Von all dem und vielem mehr sprechen dieses Kissen für den schmerzenden Rücken, das dort noch auf dem Sitz liegt, die schwarze Baseball-Cap auf dem Beifahrersitz, der Rosenkranz, der am Rückspiegel baumelt (es gab nämlich keine Fahrt, die nicht mit einem Gebet begonnen hätte).
Rückenschmerzen, Kappe und Rosenkranz gehörten zu dem Comboni-Bruder Elio Croce, ein großer Gottesmann mit dem Herzen eines Kindes, der jedem half und dem nichts zu schwer war. Er fuhr nur einen alten Geländewagen, keinen Aston Martin. Aber wenn man die Fotos anschaut: Sieht er nicht aus wie Sean Connery?
Bruder Elio war barmherziger Samariter und Erbauer von „Kathedralen“ zugleich. Der Samariter kümmerte sich um die Ärmsten der Armen, die ihm über den Weg liefen: Waisen, Verwundete, Verstümmelte, Behinderte, Kranke. Nicht ein einziges Mal hat er einen Rückzieher gemacht. Nicht einmal, als man ihn rief, um unter großer Gefahr für sein eigenes Leben die Toten zu begraben, die von den Guerilla-Kämpfern grausam ermordet und wie tote Hunde liegengelassen wurden. Als Baumeister hat er Krankenstationen gebaut, Lagerhäuser, Schulen, Waisenhäuser, Bewässerungsanlagen, eine Ölmühle und schließlich eine wunderschöne Kirche. Damit gab er Menschen Arbeit und brachte ihnen bei, wie man es macht. Sein liebster Ausspruch war: „Wer nicht lebt, um zu dienen, dessen Leben dient zu nichts.“ All diese Unternehmungen sah er nicht als sein eigenes Werk an, sondern als das der Vorsehung. Das ließe sich, so meinte er, ganz leicht überprüfen: Wenn es ein Werk der Vorsehung ist, geht es voran, wenn nicht, hört es bald auf. Bruder Elio hat den Bürgerkrieg überlebt und Ebola. Am 11. November 2020 starb er an Covid-19, im Alter von 74 Jahren, 50 davon verbrachte er in Uganda.
Geboren war er in den Bergen des Trentino, in Moena. Und auch sein Temperament war das eines Bergbewohners (wenig Worte, raue Schale, weicher Kern). Seine Berufung wurde geweckt durch die Berichte von Missionaren, die ihn faszinierten. Er machte eine technische Ausbildung und lernte Englisch in England, um sich auf die Mission vorzubereiten. 1971 schickte man ihn nach Kitgum, in den armen Norden Ugandas, das Land der Acholi, als technischen Leiter des dortigen Krankenhauses. Dorthin kamen in den späten 70er-Jahren auch eine Reihe von Freiwilligen von CL aus Italien, vor allem Mediziner. Aus diesen Anfängen entstand die Bewegung in Uganda. Bruder Elio wurde 1986 nach Gulu versetzt, einer größeren Stadt mit 150.000 Einwohnern, ungefähr 100 Kilometer von Kitgum entfernt. Hier wurde er technischer Leiter des St. Mary’s Hospital Lacor, das sich auch dank ihm zum größten und modernsten Krankenhaus im Norden des Landes entwickelte.
Jeder Station seines Lebens entsprach ein Ja von Bruder Elio zu den Herausforderungen der Wirklichkeit und den Umständen, die ihm dort begegneten. Als er in Gulu ankam, brach der Bürgerkrieg aus. Eines Tages berichtete man ihm, die Rebellen hätten ein Flüchtlingslager überfallen, Massaker verübt und Frauen und Kinder entführt, um sie zu Sexsklaven oder Soldaten zu machen. Bruder Elio machte sich gleich auf den Weg. Auf einer großen Lichtung stieß er auf den entsetzlichen Anblick von 60 Frauen, die zusammen mit ihren Kindern erschlagen worden waren. 16 lebten noch. Elio brachte sie ins Krankenhaus, und acht von ihnen konnten gerettet werden. Das Krankenhaus wurde immer mehr zum Zufluchtsort für Menschen, die vor den Entführungen und Vergewaltigungen flohen. Bei Sonnenuntergang kamen Tausende Frauen und Kinder aus bis zu zehn Kilometern Entfernung, um die Nacht in Sicherheit zu verbringen. Morgens gingen sie wieder zurück in ihre Dörfer. Night commuters, „Nachtpendler“ nannte man sie. „Bis zu 32.000 waren es in einer Nacht“, berichtete Bruder Elio einmal in einem Interview, „ein menschlicher Teppich, der jeden Raum ausfüllte, auch die Veranden, die Schuppen, den Rasen. Sogar unter den Vordächern lagen Menschen.“ Jeden Abend um acht ließ er alle den Rosenkranz beten. Egal welcher Ethnie oder Religion sie angehörten, alle beteten gemeinsam zur Muttergottes um Frieden.
Eine weitere große Herausforderung erreichte Bruder Elio durch Bernadetta Akwero, eine Witwe aus der Bevölkerungsgruppe der Acholi, die seit 1982 Waisenkinder aufnahm. Die Frage, ob diese zu ihrer Volksgruppe oder einer verfeindeten gehörten, spiele keine Rolle. Dadurch genoss sie allgemeines Ansehen. Bernadetta bat Elio, ihr beim Bau von Unterkünften für die Kinder zu helfen. Dieser sprach wieder ein Ja, und so entstand das Waisenhaus, das sie schlicht „Home“ nannten, wie das Zuhause einer Familie: St. Jude Children’s Home.
1992 starb Bernadetta, woraufhin Bruder Elio ein schwieriges Erbe antreten musste. Aber er sagte wiederum ja dazu und übernahm die Leitung des Hauses. Heute beherbergt das „St. Jude“ 90 Kinder, 20 bis 30 von ihnen sind behindert, in kleinen Häusern und Unterkünften, die Elio errichten ließ. In jedem leben durchschnittlich acht Kinder mit einer Betreuerin. Diese ist zwar nicht ihre leibliche, aber sonst in jeder Hinsicht eine Mutter für die Kinder.
Als nächstes baute Bruder Elio eine Schule für diese Kinder sowie für diejenigen aus den benachbarten Dörfern. Die Grundschule allein hat 450 Schüler. Dann ist da noch die Farm mit mehreren Hektar Land, die zwar keinen großen Gewinn abwerfen, aber immerhin Lebensmittel für das St. Jude liefern, einigen Menschen Arbeit geben und den älteren Schülern eine Berufsausbildung bieten.
Wollte man all die Werke der Nächstenliebe aufzuzählen, die Bruder Elio vollbracht hat, würde daraus ein Lexikon. Lassen wir lieber die Zeugen sprechen. Zum Beispiel Josephine Ogwette, die stellvertretende Direktorin des Waisenhauses: „Wir sind groß geworden, indem wir diesem Mann folgten, der immer in Bewegung war, nie müde wurde und ein so großes Herz für jeden hatte. Er war wie ein Vater für alle.“
Oder Anna Rita Corciulo, Program Manager im St. Jude Children’s Home: „Bruder Elio war für uns alle ein Zeuge der Liebe Gottes. Wer ihm begegnete, stellte sich unwillkürlich die Frage: ‚Wie kommt es, dass er so ist? Woher hat er die Gabe, die Hoffnung nie aufzugeben und anderen immer mit Liebe zu begegnen?‘“
Alfred Opiyo, 35 Jahre alt und Ingenieur, hat einen Eisenwarenladen in Gulu: „Mein Vater wurde ermordet, als ich fünf Jahre alt war. Eines Tages erzählte jemand mir von einem Comboni-Bruder, der Waisenkindern helfe, wenn sie nur bereit seien zu lernen. Ich beschloss, ihn aufzusuchen. Damals war ich 14 Jahre alt. Ich weiß noch genau, es war Montag, der 13. Dezember 1999. An diesem Morgen standen viele Leute vor seinem Haus, die mit ihm sprechen wollten. Er hörte uns alle an und versuchte jedem zu helfen. Ich erinnere mich noch an seine Worte: ‚Dein Leben ist wie ein Ei, das du in Händen hältst. Du musst dich selber darum kümmern. Mit Faulheit gewinnt man keinen Pokal.‘“
Martin Oyat, ein ehemaliger Schüler im St. Jude, ist jetzt verantwortlich für das Lager und die Mühle der Farm. „Manchmal habe ich mit ihm gestritten. Er hat es mir nie nachgetragen, sondern war immer bereit, mir zu verzeihen. Er hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich bin Katechet geworden und habe, sogar mitten in der Pandemie, beschlossen zu heiraten.“
Patrick Onencan leidet an einer schweren Form von rheumatischer Arthritis, die ihn seit Jahren ans Bett fesselt. „Um meine Schmerzen zu lindern, besorgte Elio mir Medikamente, Bandagen und Lebensmittel. Im Gegenzug bat er mich, meine Krankheit Jesus aufzuopfern für die Bekehrung der Welt. Da er von meiner Verehrung für den heiligen Pio von Pietralcina wusste, kaufte er mir einen kleinen Fernseher, mit dem ich die Gottesdienste von dort verfolgen kann. Von ihm habe ich gelernt, zu vergeben und zu lieben.“
Vito Schimera ist Chirurg am Lacor Hospital. Zwei seiner Kinder sind in Kitgum geboren. „Elio war die Personifizierung des ‚Seins wie die Kinder‘, von dem das Evangelium spricht. Er konnte über alles staunen. Er hätte niemals so viel schaffen können, wäre nicht dieses Kind in ihm gewesen. Das Leuchten in den Augen von Julián Carrón hat ihn so beeindruckt, dass er mich um weitere Exemplare bat, die er verteilen wollte.“
Samuele „Sasa“ Rizzo ist 1978 in Kitgum geboren. Er hat eine Uganderin geheiratet und zwei Töchter, die in Gulu geboren wurden. „Ich hatte das Privileg, zehn Jahre lang mit Elio befreundet zu sein. Sonntags nach der Messe tranken wir einen Kaffee zusammen. Wenn wir in dem Waisenhaus Caritativa machten, konnte ich beobachten, wie er mit den Kindern umging. Ich war in allem noch Anfänger. Er war ein Bezugspunkt auch für meine Berufung und den Beruf, den ich ergriffen habe. Beim ihm sah ich eine tätige Nächstenliebe, die unerklärlich wäre, wenn sie nicht aus der Liebe zu Christus käme. Und das wollte ich auch lernen.“
Dann kam die Corona-Pandemie. Die erste Welle überstand Bruder Elio unbeschadet. Doch im Herbst erhält Seve (Matteo Severgnini, der Direktor der Luigi Giussani High School in Kampala) eine Nachricht von Elio: „Ich habe den Covid-Test gemacht. Ich bin positiv. Gott sei Dank.“ Wie kann er Gott dafür danken? Seve begreift es erst später, als er sich von dem Schreck erholt hat: „Elios wahre Größe lag nicht in seiner Fähigkeit, etwas aufzubauen, sondern in seinem Willen zu gehorchen.“ Im November begann der letzte Abschnitt des Weges für Elio. Seine beiden letzten Nachrichten lauteten: „Seinem heiligen Willen ergeben“ und „Totus tuus“. So hat sich schließlich alles vollendet und ist deutlich geworden. Beim Requiem drückte es ein Acholi sehr treffend aus: „Wenn man mich fragen würde, wie man heute Christus nachfolgen kann, dann wäre meine Antwort einfach: indem man einem Mann wie Elio folgt.“